Bouldern:Im Fluss felsaufwärts

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David Firnenburg aus Hannover wird Vierter beim Münchner Boulder-Weltcup. Er steht für eine Gruppe aufstrebender deutscher Kletter-Allrounder

Von Max Ferstl

David Firnenburg ließ sich den Fehler kaum anmerken. Er schaute kurz fragend zu Bundestrainer Udo Neumann, zuckte leicht die Achseln und schritt dann zur Tat. Der Stadionsprecher hatte soeben die Zuschauer dazu animiert, den Kletterer Firnenburg wie einen Fußballspieler auf die Bühne zu holen. "Hier kommt" - die Stimme ein anschwellendes Crescendo - "aus München: David?" Die Aufgabe der Zuschauer wäre gewesen, laut im Chor "Firnenburg" zu rufen. Doch die Antwort war ein lauter, unverständlicher Klangbrei. David wer?

Man darf es ihnen nicht verübeln; dem Stadionsprecher, der den Hannoveraner Firnenburg zu einem Münchner machte, und den Zuschauern, denen der Name nicht geläufig war. Schließlich hatte beim Weltcup-Finale im Olympiastadion niemand mit David Firnenburg gerechnet. Firnenburg war nie zuvor bei einem Weltcup auch nur ins Halbfinale vorgedrungen. Er wurde diesmal Vierter. Zwar knapp am Podium vorbei, aber was viel wichtiger war: "Das ist sein internationaler Durchbruch", freute sich Bundestrainer Neumann.

David wer? Das Münchner Publikum muss David Firnenburg erst kennenlernen, aber dann unterstützt es ihn lautstark. (Foto: Claus Schunk)

Firnenburg erklärte später, er habe an diesem Tag den "Flow" gefunden; jenen "optimalen Zustand zwischen Anspannung und Entspannung". Firnenburg, der früher oft im Kopf blockierte, zeigte seine beste Leistung: "Alles ist gelungen, alles war im Fluss." Dieser Flow trug ihn durch die Qualifikation am Freitag und ließ ihn im Halbfinale alle vier Wände erklimmen. Als einziger Deutscher zog er ins Finale der letzten Sechs ein. Obwohl dort die Routen schwerer, die Griffe trickreicher wurden, schob sich Firnenburg zwei Mal bis zum Zielgriff empor. Nur weil der Russe Alexey Rubtsov einen Versuch weniger benötigte, reichte es nicht für das Podest. "Im nächsten Jahr dann", versprach er und lachte.

Firnenburg gehört zu einer Gruppe junger Kletterer, die sich gerade an die Weltspitze herantasten: Alexander Averdunk aus Markt Schwaben, der verletzungsbedingt seinen Heimweltcup verpasste, Moritz Hans aus Stuttgart, der ins Halbfinale kletterte, und eben David Firnenburg, der in der Schweiz lebt und nun seinen Durchbruch geschafft hat. Alle drei haben natürlich registriert, dass das Internationale Olympische Komitee (IOC) ihren Sport ins olympische Programm gehoben hat. Sie wissen, dass noch viel ungenutztes Potenzial in ihnen schlummert. Firnenburg sagt: "In vier Jahren wäre ich 25. Es heißt, Kletterer wären da auf ihrem Zenit."

Bei den Frauen sichert sich Miho Nonaka den Tagessieg. (Foto: Claus Schunk)

Bei der kommenden Weltmeisterschaft in Paris wird er in allen drei Kletterdisziplinen antreten: Bouldern (Klettern in Absprunghöhe), Speed (Klettern auf Tempo) und Lead (Klettern einer Route am Seil). "Der David kann eine Menge gut", weiß Bundestrainer Neumann. Das macht Firnenburg für Olympia umso interessanter. Denn dort werden die Varianten als Triathlon gewertet, es wird der beste Allrounder gewinnen. "Fast alle unsere jungen Leute sind breit aufgestellt", sagt Neumann, der aber in München einmal mehr gesehen hat: "In der Spitze müssen wir aufholen."

Dort liegen aktuell die Japaner. Am Samstag gewann Tomoa Narasaki und verdrängte Landsmann Kokoro Fujii, der das Finale verpasst hatte, von der Spitze der Gesamtwertung. Bei den Frauen gewann Nonaka Miho vor Shauna Coxsey (England), die bereits zuvor als Gesamtsiegerin feststand. Aus deutscher Sicht sollte vor allem Jan Hojer, Deutschlands bester Kletterer, in diese Phalanx eindringen. Doch Hojer blieb überraschend in der Qualifikation hängen. Auch der Münchnerin Monika Retschy war viel zugetraut worden, immerhin kletterte sie beim Weltcup in Mumbai auf Platz zwei. Doch Retschy schaffte es nicht, "ihre eigentlich gute Form" (Neumann) daheim vorzuführen. "Das war nicht ideal", fand Neumann. "Aber dafür sind andere eingesprungen." Allen voran Firnenburg.

Der leopardengemusterte Franzose Manuel Cornu sieht sich den Felsen erst mal von unten an. (Foto: Claus Schunk)

Das freute nicht zuletzt auch Matthias Keller, den Organisator des Weltcups. "Es tut immer gut, einen Deutschen im Finale zu haben", sagte er. Das betrifft weniger die Zuschauerzahlen. Die hätten ein wenig unter dem Schmuddelwetter am Freitag und dem verlängerten Wochenende gelitten. Knapp zehntausend Zuschauer sind am Wochenende gekommen, einige hundert weniger als im vergangenen Jahr.

Firnenburg hob vor allem die Stimmung auf ein höheres Level. Die anderen Starter erhielten wie gewohnt freundlichen Applaus inklusive Anfeuerungen in ihrer Heimatsprache: "Allez" für die Franzosen, "Dawai" für die Russen; und für die Japaner etwas, das wie ein Krustentier klingt: "Gamba". "Wir haben ein sehr faires Publikum, das alle Athleten anfeuert", fand Keller. Wenn Firnenburg auf die Bühne trat, war es, als hätte jemand den Lautstärkeregler weiter aufgedreht. In Zukunft dürfte sich auch die Sache mit dem Namen einfacher gestalten: David Firnenburg ist jetzt schließlich kein Unbekannter mehr.

© SZ vom 16.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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