SPD in München nach Ude:Entzauberter Übervater

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Christian Ude neben seiner Frau Edith (Foto: REUTERS)

Wie soll es weitergehen in Deutschlands reichster Millionenstadt? Die Münchner SPD steht vor einer Gratwanderung: Bei der Kommunalwahl 2014 fällt der Ude-Bonus weg. Dieter Reiter, seinem Wunschnachfolger im Amt des Oberbürgermeisters, wird nichts anderes übrig bleiben, als sich von seinem langjährigen Chef zu distanzieren - ohne ihn zu demontieren.

Von Dominik Hutter, Silke Lode, Katja Riedel und Melanie Staudinger

Es war der Traum der Münchner SPD. Erst erobert mit Christian Ude einer der Ihren die Staatskanzlei. Und anschließend wird im Fahrwasser des großen Siegers der bislang ein wenig blasse Dieter Reiter nach oben gespült: auf den Chefsessel des Münchner Rathauses, der seit dem Umzug des strahlenden Vorgängers in die Staatskanzlei vakant ist.

Vor Monaten, als alles noch offen war, vertraten die Sozialdemokraten diese Rückenwind-These noch ganz offensiv. Nachdem die Umfragen schlechter geworden waren, traten sie den verbalen Rückzug an. Plötzlich hieß es, dass die Münchner die politischen Ebenen ja sehr sauber zu trennen wissen. Dass sie schon immer beim Landtag ganz anders abgestimmt haben als für den Stadtrat.

Das ist natürlich richtig. Bei der Stadtratswahl im März 2008 erreichten die Sozialdemokraten 39,8 Prozent, die CSU lag etwa zwölf Prozentpunkte dahinter. Wenige Monate später, bei der Landtagswahl im September, fuhr die CSU zwar ihr historisch schlechtestes Ergebnis ein, lag aber in München mit 32 Prozent immer noch drei Punkte vor der SPD. Und jetzt? Nach den ersten, bislang sehr instabilen Münchner Ergebnissen haben die Sozialdemokraten zumindest in der Landeshauptstadt ein gutes Ergebnis eingefahren.

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Alt-Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel, der am Sonntag zur SPD-Wahlparty im Schlachthof gekommen war, warnt ganz prinzipiell davor, von einem Wahlergebnis auf ein anderes zu schließen. "Ich bin da ja gewissermaßen ein Sachverständiger: Wahlen in Bayern und München kann man nicht vergleichen", sagt er. Auf Landesebene seien die SPD-Ergebnisse auch zu seiner Zeit eher bescheiden gewesen, selbst wenn er in München 78 Prozent erreichte. "Da gibt es einfach keinen unmittelbaren Zusammenhang", sagt Vogel.

Dennoch lässt sich nicht verleugnen, dass ein Ministerpräsident Ude die Ausgangsposition der SPD für die Kommunalwahl erheblich verbessert hätte. Der jahrelang so beliebte OB hat seine Partei stets mit nach oben gezogen - in München diesmal wohl auch bei der Landtagswahl. Nur: Das war es dann auch. Im März 2014 wird der Name Ude nicht mehr auf dem Wahlzettel auftauchen.

Man spricht nicht gerne darüber in der Münchner SPD. Doch die Nervosität ist unübersehbar. Könnte tatsächlich der Machtverlust drohen in der Landeshauptstadt, die mit Ausnahme der Jahre 1978 bis 1984 stets sozialdemokratisch regiert war? Immerhin fällt bei der Kommunalwahl 2014 der komplette Ude-Bonus weg. Dennoch kann Ude das Münchner Landtagswahl-Ergebnis in guten Teilen auf sein Konto verbuchen und mit erhobenem Haupt in den Kommunalwahlkampf eingreifen. Das hat die Münchner SPD bitter nötig, der Bekanntheitsgrad ihres Kandidaten Reiter ist noch sehr ausbaufähig. Nach Umfragen liegt der SPD-Mann in etwa gleichauf mit seinem CSU-Konkurrenten Josef Schmid.

Anders als der Oppositionspolitiker Schmid steckt Udes Wunschnachfolger Dieter Reiter jedoch in einer Zwickmühle: Ihm wird nichts anderes übrig bleiben, als sich - zumindest ein wenig - von seinem Übervater zu distanzieren. Denn natürlich will der Wirtschaftsreferent nicht als Ude der Zweite ins Rathaus einziehen, sondern als Politiker mit eigenem Profil. Wer aber Aufbruchstimmung erzeugen will, kommt nicht daran vorbei, echte oder vermeintliche Versäumnisse des Vorgängers zu benennen. Reiter wird verkünden müssen, was er anders oder besser machen will als sein Mentor. Hinter vorgehaltener Hand wird auch bei der SPD eingeräumt, dass dem in die Jahre gekommenen rot-grünen Rathausbündnis ein wenig frischer Wind ganz gut täte.

Das Ganze ist jedoch eine Gratwanderung - und vor allem auch für die von der SPD beauftragte Wahlkampfagentur eine echte Herausforderung. Denn Ude wird es nicht dulden, dass plötzlich in den eigenen Reihen an seiner Amtsbilanz herumgemäkelt wird, diesen Einfluss hat er auch nach einer Wahlniederlage noch. Es wäre aber ohnehin wenig glaubwürdig, wenn die Münchner SPD sich allzu deutlich von der eigenen Arbeit der vergangenen Jahre distanzieren würde. Zumal Reiter als Wirtschaftsreferent ja festes Mitglied der Ude-Mannschaft war und obendrein von diesem selbst auf den Schild gehoben wurde.

Der "Ude-Effekt" hat sich von München aus nicht in den Freistaat übertragen. (Foto: Hildenbrand/dpa)

Ohnehin dürfte die SPD Ude schmerzlicher vermissen, als sie es zugeben wird: seiner kommunalpolitischen Kompetenz und Eloquenz wegen, aber auch wegen seines bundesweiten Renommees. Und: Der Oberbürgermeister gilt als das wichtigste Scharnier im Bündnis mit den Grünen. Es zeichnet sich schon heute ab, dass die Zusammenarbeit mit dem kleinen Partner nach der Kommunalwahl nicht einfacher wird.

Zumal die Grünen nun wohl erst einmal mit sich selbst beschäftigt sind. Blickte das rot-grüne Münchner Lager vor der Wahl noch bangend auf das Ergebnis der SPD, zeigt sich nun: Das Sorgenkind sind in Wahrheit die Grünen, die anders als die SPD in München Verluste hinnehmen mussten. Dazu kommt: Die Grünen haben ein ähnliches Problem wie die SPD. Wie setzt man neue Akzente, ohne die Ära Ude/Monatzeder herunterzureden?

Das könnte möglicherweise den Stammwählern der Mitte missfallen. Das wenig berauschende Ergebnis bei der Landtagswahl dürfte die Partei nun aber nachdenklich werden lassen - beurteilt doch mancher einstige Sympathisant die Grünen inzwischen als verbissen, besserwisserisch und spießig. Das passt schlecht zum Image der ewig aufstrebenden Strahlemannschaft, in deren Reihen bei positiven Umfrageergebnissen sehr schnell von Grün-Rot statt Rot-Grün die Rede ist.

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Berufsoptimisten wie der Grünen-Landesvorsitzende Dieter Janecek sehen die Grünen trotzdem auf Augenhöhe mit der SPD. "Wir können in München die Oberbürgermeisterin stellen", sagte er bei der Wahlparty in der Muffathalle. Allerdings ist es den Sommer über ziemlich still geworden um die grüne OB-Kandidatin Sabine Nallinger. Das ist durchaus nachvollziehbar - drehte sich doch alles um die Landtags- und Bundestagswahl. Reiter und sein CSU-Konkurrent Josef Schmid haben aber trotzdem weitergemacht und zumindest ihre Stadtteilspaziergänge absolviert.

Für die Rathaus-CSU ist die landespolitische Entzauberung des oft als übermächtig empfundenen Ude ein echtes Geschenk. Jetzt kann sie bei jeder Gelegenheit behaupten, dass sich Münchens Noch-OB politisch auf dünnerem Eis bewegt als er selbst immer wieder behauptet. Dass er und vielleicht auch die kommunale Herrschaft der SPD ein Auslaufmodell sind.

Ob Schmid auch persönlich als OB-Kandidat von dieser Situation profitieren kann, ist allerdings völlig offen. Ebenso wie Reiter und Nallinger muss der CSU-Mann noch gewaltig zulegen, um auf Augenhöhe mit dem jetzigen Oberbürgermeister zu gelangen. Auch wenn die Latte seit diesem Sonntag etwas tiefer liegt.

© SZ vom 16.09.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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