Mittlerer Ring München:Ude und Gauweiler rechnen ab

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Auf kleinen Zetteln rechneten Ude (links) und Gauweiler vor 20 Jahren mögliche Kosten für die Münchner Ringtunnel aus. (Foto: N/A)

Fluch oder Segen? Vor 20 Jahren stritten der Münchner OB Ude und CSU-Kämpfer Gauweiler aufs Heftigste über den Bau von Tunneln auf dem Mittleren Ring. Heute zeigt ein Blick auf ihre alten Notizzettel, wie richtig beide lagen - und wie weit daneben.

Von Frank Müller

Es ist einer der ganz heißen Nachmittage dieses Sommers, unter den halbwegs kühlenden Sonnenschirmen des Spatenhauses am Max-Joseph-Platz sitzen auf Einladung der SZ zwei mittelalte Herren: Christian Ude und Peter Gauweiler. Jeder Münchner, der nicht mehr blutjung ist, erkennt sie im Vorbeigehen. Beide sitzen hier, weil sie etwas aufzurechnen haben. Vor 20 Jahren stritten der SPD-OB und der CSU-Kämpfer aufs Heftigste über ein Thema, das nun endet: Der Bau der großen drei Tunnel am Mittleren Ring wird in diesen Tagen mit der Eröffnung des Luise-Kiesselbach-Tunnels abgeschlossen.

Udes empfindlichste Niederlage

Es war eine Auseinandersetzung, wie sie heute nicht mehr vorstellbar ist im Münchner Rathaus, im Zeichen der großen Koalition mit einer bescheidener gewordenen SPD und einer sanfteren CSU. 1993 waren Ude und Gauweiler als OB-Kandidaten gegeneinander angetreten. Die brachiale Schlacht endete mit einem knappen Sieg Udes im ersten Wahlgang und mit vielen Verletzungen.

Drei Jahre später, 1996, brachte Gauweiler Ude dann die empfindlichste und teuerste Niederlage bei, als er ein Bürgerbegehren zur Untertunnelung des Mittleren Rings anzettelte. Das endete wiederum sehr knapp, aber für Gauweiler. Die rot-grüne Stadtregierung hatte sich aufgebäumt gegen das Votum, aber vergeblich.

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Aber was heißt schon Niederlage, wenn man gut 20 Jahre älter ist, die Sonne scheint, München schön ist und der Gauweiler auch kein so harter Knochen mehr. Ude bestellt Spezi und sagt einen bemerkenswerten Satz: "Es ist wirklich ein großer demokratietheoretischer Erfolg." Er spricht über seine Niederlage. Nicht immer ist er in Rückblicken auf Missratenes so gelassen.

Gauweiler bestellt Kaffee. "Dass wir da anderer Meinung waren, das nennt man Demokratie", sagt er. Man merkt, wie das Feuer noch in ihm brennt, etwas so Großes mit kluger Strategie gegen mächtige Gegner geschafft zu haben. Er ist bis heute überrascht über das, was nach dem Entscheid geschah: Die Verwaltung und die rot-grüne Stadtregierung setzten ihn ohne Tricks um. "Ich hab's so nicht erwartet, dass das Rathaus sagt: ,Wir akzeptieren das.'" Die Geschichte der Ringtunnel ist auch eine Geschichte von sich auflösenden Vorurteilen und Frontstellungen.

Zur Milde trägt bei, dass beide vor sich Zettel haben, die sie vor dem Entscheid, im Januar 1996, selbst geschrieben hatten. Die SZ hatte sie um griffige Kurzberechnungen gebeten, als niemand mehr durchblickte, ob die Stadt nun an den Tunnelbauten pleite zu gehen drohte. Oder ob sie sie durch Staatszuschüsse quasi geschenkt bekäme. Ude und Gauweiler machten mit. Das war souverän. Und nicht ohne Risiko.

Nun guckt Gauweiler noch einmal auf den Zettel Udes und Ude auf den Gauweilers. Fazit: Jeder lag ganz gut, aber auch daneben. Ude hat mit überraschender Präzision die Gesamtkosten vorhergesagt, sich aber politisch in zwei Punkten vergaloppiert: dass der Topf für Staatszuschüsse "leer" sei und dass die Stadt viel eigenes Geld brauche, das "nicht da" ist.

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Ude ist froh, dass es damals Gauweiler gab

Gauweiler dagegen hat weitsichtig formuliert, dass es ohne Tunnel ein Ende der "Schadens-Kette" durch tägliche Staus nicht geben könne. Aber er war bei der eingeplanten Höhe der Zuschüsse viel zu optimistisch.

Ude weiß heute, wie froh er sein muss, dass es damals Gauweiler gab. "Der Verkehr auf dem Ring war das einzige Problem, das Rot-Grün nie hätte lösen können." Es war die Zeit, als Autofahrer ideologisch drangsaliert wurden durch Stolperschwellen und ein Nein gegen Errungenschaften wie Parkleitsysteme. Gleichzeitig war es Udes Ziel, die Messe nach Riem zu verlagern. Das wäre ohne den Richard-Strauss-Tunnel nie genehmigt worden: eine Sollbruchstelle für Rot-Grün. War Gauweiler mit seiner Tunnelhilfe durch die Bürger der Stabilisator für das Rathausbündnis? Gauweiler versteht die Ironie, aber es macht ihm wenig aus. "Ich hatte einfach immer ein gutes Gefühl bei dem Projekt." Der Konstruktivpolitiker siegt über den taktischen Zerstörer.

Ude macht es ihm leicht. Er gibt offen zu, dass er schon beim damaligen Tunnelkampf gemerkt habe, dass die eigene Position nicht haltbar ist. "Da gab es Gegenargumente, die einem wirklich den Boden unter den Füßen heiß gemacht haben."

Eineinhalb Stunden sind vorbei, Zeit zu gehen. Ude faltet die Zettel akkurat zusammen, Gauweiler lässt sie sich eher beiläufig geben. Dann gehen beide zu Gauweilers Auto. Sie fahren zum Luise-Kiesselbach-Platz, dort soll ein Erinnerungsfoto gemacht werden. Beim Eröffnungsfestakt am Samstag wird Ude da sein, Gauweiler hat keine Einladung. Aber nicht einmal das erbost ihn. Der Tunnel deckt einfach alles zu. Gauweiler wird dann eben mit Genuss durchfahren, nächste Woche.

Einst stritten sich Peter Gauweiler (links) und Christian Ude heftig über den Bau von Tunneln in München. 20 Jahre später ziehen sie Bilanz. (Foto: Robert Haas)
© SZ vom 24.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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