Schulpolitik:Das ist die Exotin unter den Münchner Schulen

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In der Schule wird am Nachmittag auch Ballett unterrichtet. (Foto: Robert Haas)
  • Die Elly-Heuss-Realschule in Giesing stellt sich gegen den Trend an städtischen Realschulen und bietet kaum Ganztagsklassen an.
  • Der Unterricht findet in der Regel vormittags statt, am Nachmittag gibt es Wahlkurse für die Schüler.

Von Melanie Staudinger

Das Interesse seiner Schüler hat Günther Lohr anfangs doch überrascht. Alleine mehr als 20 Kinder wollten nachmittags länger bleiben, um Schach zu spielen, berichtet der Leiter der Elly-Heuss-Realschule in Giesing.Genauso begehrt sind Ballett, die Fahrradwerkstatt oder die Gärtner-AG. "Dass das Angebot so rege wahrgenommen wird, hat mich gewundert und gefreut zugleich", sagt Lohr.

Und es hat ihn auf seinem Weg bestärkt: Einen verpflichtenden Ganztag für alle will er an seiner Schule nicht anbieten, auch wenn er sich damit gegen den Trend an städtischen Realschulen stellt. Lohr setzt auf Freiwilligkeit. Und seine Strategie funktioniert offenbar: Mehr als die Hälfte seiner Schüler geht mittags nicht nach Hause.

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Der Ausbau der Ganztagsklassen klappt in München nicht so, wie geplant. Viele Eltern lassen ihre Kinder am Nachmittag nicht in der Schule. Das hat auch mit den Öffnungszeiten zu tun.

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Der Ausbau des gebundenen Ganztags steht in München ganz oben auf der Prioritätenliste. Zwar betonen Bildungspolitiker immer wieder, dass alle Formen der Nachmittagsbetreuung gleichberechtigt sind. Bildungsgerechtigkeit könne aber nur der gebundene Ganztag bringen, bei dem sich Lernen, Spielen und Erholen den ganzen Tag über abwechseln und bei dem der Nachmittagsunterricht verpflichtend ist.

Dies trägt aus Sicht von Experten dazu bei, ungleiche Startchancen auszugleichen. Das sehen nicht alle Eltern so. Vor allem an den weiterführenden Schulen bevorzugen sie flexiblere Betreuungsformen, damit ihre Kinder noch Zeit für Hobbys haben.

In den Realschulen zeigen sich der Trend zum gebundenen Ganztag und die damit verbundenen Probleme ganz besonders. Denn von den 23 öffentlichen Einrichtungen gehören 20 der Stadt, die wiederum die Zahl der Ganztagsklassen stark ausgebaut hat. Eine solche besucht knapp die Hälfte der Münchner Realschüler, bei den Fünftklässlern sind es sogar schon mehr als 60 Prozent. Familien, die die Halbtagsrealschule bevorzugen, müssen durchaus länger suchen, bis sie einen Platz finden.

Lohr verteufelt den gebundenen Ganztag nicht. Er bietet selbst je eine solche Klasse in den Jahrgangsstufen fünf und sechs an, die anderen 18 Klassen führt er im Halbtag. Damit ist die Elly-Heuss-Realschule eine Exotin unter ihresgleichen in München. Größer sei der Bedarf nach verpflichtendem Unterricht am Nachmittag in Giesing nie gewesen, sagt der Schulleiter.

Eine Betreuung bräuchten manche Eltern trotzdem. Lohr und sein Kollegium setzen auf Bewährtes: An der Elly-Heuss-Realschule findet in der Regel vormittags Unterricht statt und nachmittags gibt es Wahlkurse, wie sie die meisten Erwachsenen heute noch aus ihrer Schulzeit kennen.

Im Keller der Schule am Giesinger Bahnhof gibt es schallisolierte Übungsräume für den Musikunterricht. (Foto: Robert Haas)

Diese Extra-Stunden werden von Lehrern übernommen. Gerade Schüler aus schwierigeren Verhältnissen bräuchten feste Bezugspersonen, sagt Lohr. Das sei bei den oft wechselnden externen Partnern nicht der Fall, die für den Zusatzunterricht im gebundenen Ganztag verantwortlich seien - also Vereine oder Musikschulen zum Beispiel. Und auch die Lehrer profitierten, weil sie ihre Interessen einbringen könnten, erklärt der Schulleiter. Die Gefahr, Impulse von außen zu verpassen, sieht er nicht: Sein Kollegium sei vielseitig genug, um unterschiedliche Gebiete abzudecken.

Zu den Schwerpunkten zählt die Musik. Im Keller der Schule am Giesinger Bahnhof befinden sich schallisolierte Übungsräume. Instrumentalunterricht erhält jeder Fünft- und Sechstklässler in der Musikstunde. "Wir wollen ihnen die Gelegenheit geben, ein Instrument lieben zu lernen", sagt Lohr. Nachmittags kann dann Schlagzeug, Saxofon, Gitarre oder Keyboard gespielt werden. Die Schule stellt die Instrumente zum Ausprobieren - viele Familien könnten sich das andernfalls gar nicht leisten.

"Die meisten Kinder hier haben daheim keinen eigenen Garten"

Auch sonst hat sich die Elly-Heuss-Realschule auf ihre Giesinger Klientel eingestellt. Die Kinder, die vorwiegend aus Familien mit Migrationshintergrund oder sozial schwachen Elternhäusern stammen, sollen nachmittags das machen können, was ihnen daheim oft verwehrt bleibt. Zum Beispiel schrauben sie in der Werkstatt an alten Fahrrädern.

"Das machen die meisten Familien heute nicht mehr", sagt Lohr. Seit vielen Jahren wird auch klassisches Ballett unterrichtet, eine Kunstform, mit der die Schüler sonst eher nicht in Berührung kommen. Und im Schülercafé lernen die Jugendlichen, dass gesunde Ernährung auch schmecken kann.

Verschiedene Arbeitsgruppen kümmern sich um die Gestaltung des Schulhauses. Kunstinteressierte Schüler haben die Gänge bemalt, die Umwelt- und Garten-AG ist für den Außenbereich zuständig. Sieben bis acht Jugendliche bepflanzen Blumengefäße, bauen Kräuterspiralen und ziehen Tulpen. "Die meisten Kinder hier haben daheim keinen eigenen Garten", sagt Lohr. Die Verschönerungsarbeiten werden aber wohl bald ruhen müssen, an der Ungsteiner Straße wird umgebaut.

Die Bagger rücken nach aktuellem Planungsstand im Schuljahr 2018/19 an, wie Lohr erzählt. Das zum Teil marode Gebäude weicht einem Neubau, der bis September 2022 fertig sein soll. Der jetzige Schulleiter bekommt das nur noch aus der Ferne mit: Er geht Ende Juli in den Ruhestand. Ob die Elly-Heuss-Realschule danach ihrer Linie treu bleibt oder ein neues Profil entwickelt, entscheiden dann andere.

© SZ vom 04.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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