Public Viewing in München:Fiebern mit dem Team in der Ferne

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"Steht auf, wenn ihr Bayern seid": Wie 60.000 Fans von München aus das Finale der Champions League erlebten - und durchlitten.

Florian Fuchs

Gökhan ist ein besonderer Fall. "Ich komme aus Giesing", sagt der 18-Jährige, und er meint damit nicht nur seinen Wohnort. Gökhan ist Fan von 1860, von den Blauen. Heute aber geht er zu den Roten, zu Bayern. Zum Public Viewing in die Allianz Arena. "Naja, ist schon ein bisschen komisch", sagt Gökhan auf dem Weg von der U-Bahn ins Stadion, "aber ist ja Champions-League-Finale, da kann man schon mal zu Bayern halten. Und außerdem spielt ja heute Altintop." Der ist auch Türke, genau wie Gökhan.

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Der Moment, als der Traum vom Triple zerplatzte: Wie die Fans in der Münchner Arena das Finale der Champions League erlebten.

Die Bilder.

Ein Blauer also auf dem Weg, den Roten im Finale gegen Inter Mailand die Daumen zu drücken. Auch sonst ist hier einiges unnormal, es findet ja gar kein richtiges Spiel statt in der Arena an diesem Samstagabend. Es werden nur die Bilder aus Madrid übertragen, auf den beiden je 100 Quadratmeter großen Anzeigetafeln. Und trotzdem fühlt es sich an, als würden die Bayern am Samstagabend in der Fröttmaninger Arena auflaufen. Schon in der U-Bahn singen die Fans, vor dem Stadion sitzen Hunderte im provisorischen Biergarten und trinken und feiern und besingen die Mannschaft von Louis van Gaal. Fast 70 000 Freikarten sind weggegangen, tatsächlich kommen etwa 60 000. Es ist, als würde hier wirklich das Finale stattfinden.

Bis kurz vor Anpfiff. Da gehen plötzlich die Lichter aus im Stadion, nur noch ein paar Flutlichtlampen leuchten. Aber das ist kein technischer Defekt, das ist Absicht: So wirkt das Bild schärfer auf den Anzeigetafeln, auf dass der Ball gut zu erkennen ist. Die Fans in der Südkurve, da, wo auch sonst die eingefleischten Fans stehen, lassen sich nicht irritieren. Sie machen, was sie immer machen: Bei der ersten Parade von Torwart Jörg Butt brüllen sie: "Butt, Butt, Butt!" Beim ersten Foul an Robben pfeifen sie, als würde Chivu, der Übeltäter von Gegner Mailand, unten über den Rasen laufen. Und schon in der siebten Minuten erheben sich alle: "Steht auf, wenn ihr Bayern seid", skandieren 60 000 Bayern-Anhänger. Spätestens jetzt ist klar: Fans von Inter Mailand sitzen an diesem Abend nicht im Stadion.

Erst nach dem 0:1 durch Diego Milito wird es etwas ruhiger, auch wenn sich die Bayern-Fans zur Pause schon wieder ganz gut erholt haben von dem Schreck, plötzlich hinten zu liegen. "Das packen wir schon noch", krächzt Christiane, sie ist bereits etwas heiser. Die Münchnerin ist Dauerkartenbesitzerin, sie steht bei jedem Heimspiel in der Südkurve, zusammen mit ihrem Freund Michael. "Wir haben versucht, Karten für Madrid zu bekommen, sind aber leer ausgegangen", sagt Michael, "deshalb sind wir in die Arena gekommen: Wir wollen Stadion-Stimmung." Stefan dagegen ist zum ersten Mal in der Südkurve, er geht nicht so oft ins Stadion. Deswegen wollte er die Möglichkeit heute nutzen: "Super Atmosphäre hier, aber Bayern muss direkter nach vorne spielen. Das ist noch zu viel Quergeschiebe."

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Gegenüber, in der Nordkurve, hat Oliver mit einem ganz anderen Problem zu kämpfen: Ihm sind die Anzeigetafeln zu klein. "Wenn der Ball in Großaufnahme zu sehen ist, kann ich ihn erkennen", meckert er, "sonst eher weniger." Oliver hätte sich Großbildleinwände gewünscht, in der Mitte vom Rasen. "Das muss doch möglich sein, in Berlin, beim Public Viewing zur Weltmeisterschaft, ging das doch auch." Auf der Haupttribüne sind sie ebenfalls nicht ganz glücklich, und das liegt nicht nur am Rückstand. "Ich habe die ganze Zeit nach rechts auf die Anzeigetafel geschaut, jetzt habe ich einen steifen Hals", sagt Udo, "in der zweiten Hälfte schaue ich auf die linke Tafel." Wenigstens werden die Leute im VIP-Bereich der Haupttribüne mit feinem Catering für das kleine Bild entschädigt: Es gibt Spargelterrine im Kräuterschinkenmantel, Seehechtfilet und Schweinekrustenbraten.

Zur zweiten Hälfte scheint es, als würden die Bayern-Spieler den Wunsch nach weniger Quergeschiebe erhören. Bayern macht jetzt Druck, Müller vergibt eine Großchance, die Spannung in der Arena steigt. Doch dann schlägt Milito wieder zu, 2:0 für Inter. Jetzt hat hier nur noch ein kleines Häuflein Unentwegter Hoffnung, ganz vorne in der Mitte des Südkurven-Unterrangs trommeln und singen sie noch immer. Im Rest des Stadions ist es still. "Inter war besser", bilanziert Oliver aus der Nordkurve, "mit Glück wäre vielleicht noch was gegangen, aber da kann sich keiner beschweren." Es will sich auch gar keiner beschweren in der Arena. Nach Schlusspfiff erheben sich noch einmal fast alle von ihren Plätzen und klatschen den Verlierern Beifall. Dann kommt das Vereinslied "Stern des Südens". Die Bayern-Fans singen mit.

© SZ vom 25.05.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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