Prozess:Opfer seit 24 Jahren: Stalker treibt Frau fast in den Suizid

Lesezeit: 2 min

  • Eine Frau wird seit 24 Jahren von einem Stalker verfolgt - längst ist sie mit den Kräften am Ende.
  • Der Mann bestreitet die Vorwürfe, verschickt aber Briefe mit verleumdenden Lügen über seine ehemalige Jugendfreundin.
  • Ihre rechtliche Situation ist bisher nahezu aussichtslos.

Von Christian Rost, München

Er warf einen Ordner in Richtung des Vorsitzenden Richters und zeigte seiner Anwältin den Mittelfinger. Martin S. sah bei seinem Termin am Dienstag vor der 8. Strafkammer am Landgericht München I keinen Anlass, sich an die Regeln des Rechtsstaats und des Anstands zu halten.

Das tut er im Übrigen seit 24 Jahren nicht, wenn es stimmt, was die Staatsanwaltschaft ermittelt hat. So lange soll der an paranoider Schizophrenie erkrankte 48-Jährige einer ehemaligen Jugendfreundin nachgestellt haben. Die heute 47-Jährige litt unter dem Stalker derart, dass sie sich in psychiatrische Behandlung begeben musste, arbeitsunfähig war und Suizidgedanken hegte.

Stalking
:Die Saat der Angst

Silvia Meixner wird seit Jahren gestalkt. Erst Stöhnen am Telefon, dann eine Morddrohung. Über den Horror eines Opfers.

Protokoll: Lars Langenau

Die Frau lernte Martin S., den die Staatsanwaltschaft wegen Allgemeingefährlichkeit zwangsweise in einer psychiatrischen Einrichtung unterbringen lassen will, vor etwa 30 Jahren kennen. Die Freundschaft der beiden endete 1992, weil S. nicht akzeptieren wollte, dass die Frau keine Beziehung mit ihm einging. Seither stellt er ihr laut Antragsschrift mit Unterbrechungen nach.

Anrufen, Auflauern, Vandalismus - es könnte jederzeit von vorne beginnen

Er soll sie mit nächtlichen Anrufen belästigt, ihr aufgelauert, die Reifen ihres Autos zerstochen, Türen und Fahrzeugschlösser verklebt und das Haus ihrer Eltern beschmiert haben. Zwar erwirkte die Frau 2004 ein Kontaktverbot, S. ignorierte das aber. Ein erstes Verfahren der Staatsanwaltschaft im Jahr 2006, ihn zwangsweise unterzubringen, scheiterte aus rechtlichen Gründen: Weil Martin S. wegen seiner Erkrankung geschäftsunfähig ist, konnte ihm eine Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz nicht zugestellt werden.

Während der Fall weiter bei der Justiz fest hing, begann im März 2014 der Horror für die Geschädigte erneut. S. soll nun in seinen Wahnvorstellungen überzeugt gewesen sein, dass die Frau missbraucht worden war, dass er mit ihr Millionen im Lotto gewonnen hatte, die auf einem Konto in der Schweiz liegen, und dass er sie auf pornografischen Seiten im Internet erkannt hat.

Nichts von dem entspricht der Wahrheit, doch S. verfasste Briefe, Postkarten und E-Mails und sendete die verleumderischen Mitteilungen nicht nur der Geschädigten, sondern auch ihrem Vermieter, der Justiz und Polizei zu. Überdies beschmierte er Verkehrsschilder, Trafohäuschen und Telefonzellen mit Beleidigungen und Bezichtigungen. Schreiben mit bedrohendem, beleidigendem und verleumderischen Inhalt erhielt auch sein ehemaliger gesetzlicher Betreuer.

"Ich habe keine Krankheit, das ist die einfachste Erklärung für euch"

Dass er seinem einstigen Betreuer diese Briefe geschickt hatte, räumte S. vor Gericht ein. Er leugnete aber, seiner ehemaligen Jugendfreundin nachgestellt zu haben. "Ich habe keine Krankheit, das ist die einfachste Erklärung für euch", sagte er zu den Prozessbeteiligten.

Sein Opfer aber bestätigte, dass sie seit Jahren schwer unter ihm leidet: "Ich habe Angst, dass es nicht aufhört", sagte die Frau. Das Gericht will sie nun von einem Sachverständigen untersuchen lassen, um festzustellen, wie sehr der Stalker ihrer Psyche und Gesundheit zugesetzt hat. Am 8. November geht das Verfahren weiter.

Auf der Spur von Stalkern
:Gefährlicher Liebeswahn

Eine 17-Jährige wird per Anzeige für tot erklärt, obwohl sie lebt. Ein Geschäftsmann verteilt Zettel mit der Handynummer seines Opfers und dem Wort "Nutte". Eine junge Mutter wird von einer Internetbekanntschaft verfolgt - und am Ende getötet. Wie Stalker ihren Opfern das Leben zur Hölle machen.

Beate Wild

Opfer von Stalking können sich an den Frauennotruf München (Telefon 089/763737) und an die Opferberatung der Polizei (089/2910 4444) wenden.

© SZ vom 22.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: