Prozess gegen Schützen von Unterföhring:"Entschuldigung wird nicht angenommen"

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Polizisten stehen vor dem S-Bahnhof in Unterföhring, wo ein psychisch kranker Mann am 13. Juli 2017 einer Beamtin in den Kopf schoss. (Foto: Sven Hoppe / dpa)
  • Am zweiten Verhandlungstag im Prozess gegen den Schützen vom S-Bahnhof Unterföhring, Alexander B., hat der Polizist Kilian I. ausgesagt.
  • Der Polizeibeamte war im Juli 2017 mit seiner Kollegin Jessica L. auf Streife in Unterföhring, bevor der Angeklagte der Frau mit I.'s Dienstwaffe in den Kopf schoss.
  • Aller Voraussicht nach wird der psychiatrische Gutachter Alexander B. eine paranoid-schizophrene Störung diagnostizieren.

Von Stephan Handel

Er hat seine Uniform angezogen, als könnte sie ihn schützen wie eine Rüstung - vier Sterne auf den Schulterklappen, Polizeihauptmeister also, das Wappen auf der Brust, die Mütze liegt vor ihm auf dem Tisch. Wenn Kilian I. spricht, bemüht er sich um einen dienstlichen Tonfall. Schließlich ist er Polizist, von einem persönlichen Drama wird er sich nicht beeinflussen lassen, wenn es darum geht, vor Gericht auszusagen.

Kilian I., 31 Jahre alt, war mit seiner Kollegin Jessica L. auf Streife in Unterföhring am 13. Juni 2017 - ein normaler Dienst, Beginn um 6 Uhr früh. Zunächst verwarnten sie ein paar Verkehrsteilnehmer, dann machten sie eine kurze Pause. Schließlich erreichte sie ein Ruf aus der Zentrale, kurz vor 8 Uhr: Körperverletzung in der S-Bahn, der Zug mit dem Delinquenten stehe am Bahnhof Unterföhring. "Wir dachten an eine Schlägerei im Berufsverkehr, irgendetwas Banales und Routiniertes", sagt Kilian I. Dass er dies vor Gericht sagt, als Zeuge in einem Mordprozess, zeigt, dass der Einsatz beileibe nicht so banal und routinehaft ablief, wie die beiden Beamten erwartet hatten.

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Alexander B. ist wegen dreifachen Mordversuchs angeklagt. Der psychisch kranke Mann hat einer jungen Polizistin am S-Bahnhof in den Kopf geschossen. Sie wird ihr Leben lang ein Pflegefall bleiben.

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Am zweiten Verhandlungstag im Prozess gegen Alexander B. sagte Kilian I. am Mittwoch aus. Als Zeuge dafür, wie der Angeklagte an jenem Morgen in Unterföhring der jungen Polizistin in den Kopf schoß, mit Kilian I.s Dienstwaffe, die er ihm zuvor entwunden hatte. Jessica L. ist seit der Verletzung Wachkoma-Patientin. Kilian I. konnte in den Polizeidienst zurückkehren.

Ohne Zweifel aber haben die 23 entscheidenden Sekunden am S-Bahnhof sein Leben verändert. Die 23 Sekunden von Alexander B.s unvorhersehbaren Angriff auf ihn, wie sie miteinander rangen, wie Jessica L. schrie: "Pass auf, der will deine Waffe!" Wie er merkte, dass es dem Angreifer gelungen war, die Pistole aus dem Holster zu holen. Wie sich Kilian I. in Deckung flüchtete, weil er dachte: "Solange ich an ihm dran bin, schießt Jessy nie." Dass er dann, während des Sprungs hinter die Rolltreppe, seine Chancen kalkulierte: Wenn er dir in die Beine schießt, das musst du aushalten. Was in die schusssichere Weste geht, geht in die Weste. Also schütz deinen Kopf! Schütz den Kopf!

Eine Stunde lang sagt Kilian I. aus im unterirdischen Gerichtssaal der Stadelheimer Justizvollzugsanstalt, wo auch der zweite Verhandlungstag des Prozesses stattfindet. Alexander B. ist zwar des versuchten Mordes angeklagt, doch schon jetzt ist klar, dass er nicht ins Gefängnis kommen wird: Eine paranoid-schizophrene Störung wird der psychiatrische Gutachter aller Voraussicht nach diagnostizieren. Das bedeutet Schuldunfähigkeit zum Tatzeitpunkt, und weil Alexander weiterhin gefährlich sein könnte für sich selbst und für andere, wird er in die Psychiatrie kommen - und dort bleiben.

So gesehen ist der Tathergang nicht von überragender Bedeutung: Wäre Alexander B. nicht psychisch krank, dann würde sein Verteidiger sicher mehr Wert auf die Frage legen, wie der Angeklagte an die Polizei-pistole kommen konnte, denn die Antwort auf diese Frage könnte ein paar Jahre mehr oder weniger Gefängnis bedeuten. So aber begnügen sich Gericht, Staatsanwalt, Nebenkläger und Verteidigung mit Kilian I.s Aussage, er wisse nicht mehr, ob er das Pistolenholster geöffnet habe, als sie auf den Bahnsteig gingen: "Das ist automatisiert, als würde man einen Autofahrer fragen, wie oft er in der letzten halben Stunde auf die Kupplung getreten ist."

Eine Stunde lang berichtet Kilian I. von diesen 23 Sekunden im Juli 2017. Dass ihn die Bilder nicht so schnell verlassen werden, scheint klar - seine schwer verletzte Kollegin am Boden, er zieht sein Diensthemd aus und drückt es auf die Schusswunde am Hinterkopf: "Wie hilflos man sich in dem Moment fühlt."

Ganz kann Kilian I. seine Rolle als kontrollierter Polizeibeamter im Prozess nicht durchhalten - von Zeit zu Zeit bricht die Stimme, er muss sich Tränen aus den Augen wischen. Einmal ist seine Stimme hart und klar und ohne jeden Zweifel. Als der Angeklagte das Wort erhält und sagt, er bitte für seine Tat um Entschuldigung, da schaut ihn Kilian I. direkt an und sagt: "Die Entschuldigung wird nicht angenommen."

© SZ vom 12.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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