Prozess:Elfjährige bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt: "Ich habe geglaubt, dass ich sterbe"

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Der wegen versuchten Mordes und versuchten Totschlags Angeklagte im Verhandlungssaal. (Foto: dpa)
  • Ein 27-Jähriger muss sich vor dem Landgericht München wegen versuchten Mordes an einem elfjährigen Mädchen verantworten.
  • Der Mann soll das Kind beim Spazierengehen angefallen und so lange gewürgt haben, bis es bewusstlos zusammenbrach.

Von Susi Wimmer

In der Anklageschrift sind es nur ein paar Zeilen: Dass der 27 Jahre alte Damian C. im August 2016 an einem kleinen Wäldchen in Pasing die willkürlich ausgewählte, elfjährige Elena (Name geändert) aus unerfindlichen Gründen plötzlich gewürgt hat, bis das Mädchen bewusstlos wurde. Was der Angriff für das Leben der Elfjährigen bedeutete, wie die Schülerin bis heute unter den Folgen leidet, schilderte ihre Mutter am Mittwoch vor dem Landgericht München I, wo gegen Damina C. wegen versuchten Mordes verhandelt wird.

Es war ein Abend wie jeder andere für die Familie, man hatte im Garten zu Abend gegessen, dann wollte Elena noch mit dem kleinen Schoßhund der Familie die übliche Runde in der Grünanlage nahe der Ecke Paosostraße und Joseph-Haas-Weg drehen. "Da braucht man normalerweise so 20 Minuten", meint die Mutter. Doch an jenem Abend kam Elena später zurück. "Sie läutete, mein Lebensgefährte öffnete die Türe, und ich hörte nur ein Wimmern", erzählt die 45-Jährige. Dann sah sie ihre Tochter: mit blutverschmiertem Gesicht, verheult, völlig durcheinander - und nur mit einer Unterhose bekleidet. "Ich bin gewürgt worden", habe sie gewinselt, sich auf die Couch gelegt und dann in ihrem Bett verkrochen. Unterhose und T-Shirt seien nass gewesen, berichtet die Mutter, "sie hatte sich eingenässt". Erst als Polizei und die alarmierten Sanitäter im Haus waren, seien ihr die Würgemale am Hals ihrer Tochter aufgefallen.

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Drei Tage und Nächte verbrachte die Elfjährige in einer Klinik. Sie habe Schmerzen am Hals gehabt und Wochen später noch waren die punktförmigen Einblutungen in den Augenbindehäuten zu sehen, die durch das Würgen entstanden waren. Elena hatte das Bewusstsein verloren. Der Angeklagte Damian C., gegen den seit 6. November verhandelt wird, schreibt die Tat dem Alkohol zu. Er könne sich kaum erinnern, erst als er das Mädchen gewürgt habe, sei er zu sich gekommen. Ein sexuelles Motiv streitet er ab. Die Staatsanwaltschaft glaubt, dass der 27-Jährige aus Frust über sein verpfuschtes Leben völlig willkürlich die Elfjährige in ein Wäldchen auf der anderen Seite des Bahndamms locken wollte, um seine Aggressionen an dem Mädchen auszulassen.

"Ich habe geglaubt, dass ich sterbe", vertraute das Kind im Krankenhaus seiner Mutter an. Die ersten zwei Monate nach dem Angriff habe sich Elena noch halbwegs normal verhalten, berichtet die Mutter. Doch dann brach das Mädchen regelrecht zusammen. Sie habe jeden Morgen beim Aufstehen geweint, sei apathisch gewesen und nicht mehr in der Lage, in die Schule zu gehen. "Und wenn sie doch gegangen ist, kam eine halbe Stunde später der Anruf aus der Schule, ich möge sie doch bitte wieder abholen, weil Elena nur weine", erzählt sie. Abends wollte das Mädchen nicht einschlafen, "ich musste mich lange Zeit zu ihr legen", und jeden Abend dieselbe Frage: "Ist die Haustüre richtig zu?" Elena mied öffentliche Verkehrsmittel, fuhr nicht mehr alleine mit dem Bus, "da sind so viele Menschen", sagte sie. Sie ging auch nicht mehr mit dem Hund alleine Gassi, schon gar nicht in der Nähe des Tatortes. "Wenn wir mit dem Auto vorbeifahren, macht sie die Augen zu."

Bis heute kann Elena nicht über die Tat sprechen, trotz Kunst- und Gesprächstherapie. Sie wollte ihre Schule verlassen, weil dort in der Klasse bekannt wurde, dass sie überfallen worden war. Wohl um Gespräche darüber zu vermeiden, wechselte sie die Schule. Momentan sei sie in einer Förderklasse untergekommen, natürlich völlig unterfordert. "Aber sobald der momentane Rhythmus irgendwie gestört wird, bricht sie wieder zusammen, bekommt Kopfschmerzen und ist antriebslos", so die Mutter. Deshalb will sie das Modell beibehalten, bis Elena sich noch mehr stabilisiert hat. Zumindest treffe sie sich wieder mehr mit Freunden und zeige wieder Interesse an den Musikinstrumenten, die sie zuvor gespielt hatte. Und auch die Mutter hat - über ein Jahr nach der Tat - immer noch mit den Auswirkungen zu kämpfen. "Sobald es Elena schlechter geht, kommen bei mir die Ängste wieder." Sie gerate immer sofort in Panik, wenn Elena alleine unterwegs ist und zehn Minuten später nach Hause kommt.

Damian C. entschuldigt sich am Ende des Verhandlungstags bei der Mutter. "Ich hoffe, ihre Tochter wird das verkraften", sagt er. Der 27-Jährige soll ein paar Tage nach dem Angriff einen anderen Obdachlosen mit einer Steinplatte verletzt haben. Laut Gericht habe das zweite Opfer mitteilen lassen, dass er nicht aussagen wolle. Momentan soll der Mann irgendwo in Polen abgetaucht sein.

© SZ vom 16.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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