Prozess:"Das Bild des Monsters muss in der Öffentlichkeit aufrecht erhalten bleiben"

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  • Die Tagesmutter Angelika S. soll einen Säugling so sehr geschüttelt haben, dass er schwerst behindert bleiben wird - sie dementiert das.
  • Vor dem Landgericht München I wird am Mittwoch ein Protokoll verlesen, in dem die Tagesmutter minutiös den Ablauf des Unglückstages schildert.

Von Susi Wimmer

"Das Bild des Monsters muss in der Öffentlichkeit aufrecht erhalten bleiben, ich darf mich nicht wehren, alles ist unfair, (...) alles kaputt, ohne Schuld gehabt zu haben." Nahezu theatralische Worte enthalten die Briefe, die Angelika S. aus der Haftanstalt in Stadelheim nach draußen schickt an ihre Freundinnen. Angelika S. ist die Tagesmutter, die im September 2016 einen zehn Monate alten Säugling so heftig geschüttelt haben soll, dass dieser laut Anklage "schwerst behindert" bleiben wird.

Sie erklärte, das Kind sei beim Spielen auf den Kopf gefallen. Vor dem Landgericht München I wird am Mittwoch auch ein Protokoll verlesen, in dem die 54-Jährige minutiös den Ablauf des Tages schildert - und der im Gegensatz zu ihren ersten Schilderungen vor Gericht Widersprüche erkennen lässt.

Im Sommer 2016 hatten die Eltern des Buben Kontakt zu der Tagesmutter aufgenommen und mit dem Säugling im Juli Eingewöhnungstage bei ihr verbracht. Im September begann die reguläre Betreuung. Das Kind habe "mehr geweint als andere", sagte Angelika S. am ersten Verhandlungstag vor Gericht, und er habe sich immer wieder an den Kopf gefasst. Sie schilderte den Tattag, dass sie gegen Mittag in der Küche gewesen sei und sie den Buben am Lego-Korb habe stehen sehen, wo er sich hochgezogen hatte. Als nächstes habe sie einen dumpfen Knall gehört und das Kind schreiend auf dem Rücken vorgefunden.

Etwas anders formuliert es das Protokoll, das Angelika S. verfasst hat. Hier beschreibt sie detailliert, wie das Kind steht, sich "auf einem Füßchen" dreht und mit dem Kopf auf dem Holzboden aufschlägt. Was den Schluss zulassen könnte, dass sie den Sturz beobachtet hatte. Das Kind habe sich beruhigen lassen, wollte aber nichts essen und sei zur Mittagsruhe eingeschlafen. Als sie ihn - und zwei Mädchen, die ebenfalls in Tagespflege bei ihr waren - gegen 14.30 Uhr wecken wollte, sei er nicht richtig wach geworden. "Er fing an zu jammern. Ich nahm ihn auf den Arm, sein Köpfchen fiel auf meine Brust, die Arme krampften nach hinten, er verdrehte die Augen."

Einer der alarmierten Notärzte stellte im Soforttest einen Blutzucker von 280 fest. Der Arzt habe gefragt, ob das Kind Diabetiker sei. "Nicht dass ich wüsste", habe sie geantwortet. Mit der verständigten Mutter seien sie in die Kinderklinik gefahren. Dort habe man zur Senkung des Hirndrucks ein Loch in den Schädel des Kindes bohren müssen. Die Eltern hätten sie nach Hause geschickt mit den Worten: "Angelika, Dich trifft keine Schuld."

Die Staatsanwaltschaft war Monate später nach medizinischen Gutachten anderer Meinung und ließ die Tagesmutter im Januar 2017 festnehmen. Der Säugling hatte ein schweres Hirnödem erlitten, Hirnblutungen links und rechts sowie Einblutungen in der Netzhaut des linken Auges. Laut Anklageschrift werde der Bub überwiegend über eine Sonde ernährt, könne weder sitzen, stehen oder laufen. Letztlich werden die Gutachten Aufschluss darüber geben, ob die Verletzungen durch Schütteln verursacht wurden oder auch von einem Sturz herrühren könnten, und ob eventuell die Schädigung der Netzhaut auf eine mögliche Diabeteserkrankung zurückgeführt werden kann. Richterin Nicole Selzam hat dafür neue Verhandlungstage bis Ende Februar angesetzt.

Verlesen wurde vor Gericht auch eine Anweisung des Stadtjugendamtes an die Tagesmütter, dass jeder Unfall mit den Kindern zu dokumentieren sei. Auch nach vermeintlich harmlosen Unfällen, bei einem Sturz auf den Kopf, müssen man das Kind anschließend lückenlos beobachten.

"Ich verstehe in Bezug auf das Verfahren nichts mehr", schrieb Angelika S. aus dem Knast. Bei ihr konnten die Kinder "nur sein", sie habe die Zeit mit ihnen genossen, "wir haben uns einander ausgesucht". In Gedanken rede sie mit dem verletzten Kind, frage es, warum das ausgerechnet bei ihr passiert sei, und nicht vor der Bringzeit oder nach der Abholung. "Er sagt es mir. Aber ich kann es nicht hören."

© SZ vom 04.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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