Oktoberfest:Drei Mass Freiheit

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Es gibt Wichtigeres als das Oktoberfest - aber die Freude daran sollte man sich nicht von Fanatikern nehmen lassen. (Foto: Getty Images)

Das Oktoberfest und der FC Bayern prägen das Bild von München in Deutschland und der Welt. Der liberale Isar-Patriot findet das ungerecht. Aber so falsch ist es dann auch wieder nicht.

Kommentar von Kurt Kister

Es gibt Wichtigeres auf der Welt als das Oktoberfest. An diesem Samstag, der kein Sonnabend ist, beginnt es wieder einmal, und deswegen wird es zumindest in München in diesen Tagen doch nichts Wichtigeres auf der Welt geben - es sei denn, Markus Söder würde zu Fuß über den Starnberger See wandeln oder SZ, NDR und WDR fänden heraus, dass Horst Seehofer sich in seinem Eisenbahn-Keller heimlich mit Frauke Petry trifft.

Zu keiner anderen Zeit kommen so viele Leute nach München wie in der zweiten Septemberhälfte jedes Jahres. Für sehr viele Menschen, die nicht in München leben, bestimmen zwei Phänomene das Bild, das sie sich von München machen: Einerseits ist es das Oktoberfest, andererseits die gerade zu Oktoberfestzeiten noch mutwilliger bavarisierte Fußballmannschaft des FC Bayern.

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Die zwangsweise belederhosten Edelsöldner gewinnen fast alles, was es im Fußball zu gewinnen gibt. Sie sind unter den Unterhaltungsbetrieben, die sich in der Bundesliga zusammengeschlossen haben, die erfolgreichste Sportausübungsfirma - so wie das Oktoberfest eben das größte, bedeutendste, brüllend-gemütlichste Massenfest zwischen Las Vegas und Wladiwostok ist.

Einen Münchner allerdings, der nicht zur Mia-san-mia-Fraktion gehört, aber ein liberaler Isarpatriot ist, muss es da eigentlich schaudern. Das Image der Stadt wird vom demonstrativ ausgebreiteten Erfolg bestimmt - das größte Fest, die meisten Tore, die teuersten Mieten. Die Stadt steht weltweit in dem Ruf, eine protzige Bier-und-Spiele-Metropole zu sein.

Das ist ungerecht, gewiss. München ist Heimat bedeutender Firmen, verfügt über Universitäten von großer Reputation, hat wunderbare Orchester und die eine oder andere bemerkenswerte Bühne. Es ist die südlichste deutsche Großstadt und in vielerlei Hinsicht näher an Florenz, vielleicht sogar an Wien als an Bielefeld oder gar Bautzen. Man kann, wenn man sich sehr bemüht, auch eine Art intellektuelles Leben finden in München (das jedoch ist in Berlin und sogar in Hamburg ausgeprägter).

Wenn jemand München als solches schlechtmachen will

Auf jeden Fall gibt es in München einen sehr entwickelten Bürgersinn. Der war nicht nur in den Monaten des großen Flüchtlingstrecks zu besichtigen. Er führt auch dazu, dass Rechtsradikale in dieser Stadt marginalisiert sind. Auch die Münchner CSU bemüht sich heftig, so liberal zu sein, wie es ihre bayerische Mutterpartei nie war und gerade jetzt auf keinen Fall sein möchte.

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Zwar gibt es die rot-grüne Stadtregierung nicht mehr, aber dennoch durchweht der Geist, der sie getragen hat, immer noch die Stadt. Münchens irgendwie rot-grün fühlende, mehr oder weniger ergraute, Dingsbumsfünfziger sind zwar einerseits jederzeit bereit, die Auswüchse des Kapitalismus zu geißeln. Aber sie rotten sich auch, gerne auf Fahrrädern, zusammen, wenn jemand München als solches schlechtmachen will. Der Lokalpatriotismus reicht von der ostentativ kommerzkritischen Glockenbachwerkstatt bis hinein in die spitzensteuersatzcoole Szene von Schumann's Bar. Die Übergänge dabei sind fließend; in kaum einer anderen Stadt erzählen die Wohlhabenden so gerne, wie schlecht es ihnen früher ging.

München, furchtbar teuer, manchmal furchtbar schick, gelegentlich nur furchtbar, ist nicht nur die Hauptstadt Bayerns, auch wenn es hie und da im Rest des Bundeslands so unbeliebt ist wie das einst Berlin im Rest Deutschlands war (in Nürnberg, Augsburg oder Würzburg mag man nicht so viel vom Glanz Münchens hören). Es ist darüber hinaus auch die Kapitale des relativ reichen Südens der Republik, der in erster Linie aus den Ländern Baden-Württemberg und Bayern besteht.

Ja, Stuttgart ist auch eine größere Stadt in der SGZ, in der Südlichen Geldzone. Aber das Symbol des Südwestens ist nicht Stuttgart. Für Baden und viel mehr noch für Württemberg stehen jene zwei- bis dreistöckigen, autobahnnahen Firmenflachbauten, die jede einen Weltmarktführer in der Produktion von Klickflanschen oder Flanschklicken beherbergen. Stuttgart als Kapitale der SGZ? Na ja, der VfB steht gerade auf dem 9. Platz in der Zweiten Liga, und das größte Volksfest in BaWü ist in Bad Cannstatt, wo man Stuttgart für einen leicht überkandidelten Stadtteil hält.

In diesem Jahr allerdings stehen beim Oktoberfest vor dem Anstich weder der Bierpreis (sauteuer wie immer) noch das spezifische Münchner Selbstbewusstsein im Vordergrund. Die Anschläge in Paris, Brüssel und Nizza haben drastisch vor Augen geführt, dass Terroristen Großveranstaltungen als für sie nahezu ideale Ziele verstehen. Und nachdem in Ansbach und Würzburg suizidale Einzeltäter auch in Deutschland Menschen verletzt und sich dabei auf den sogenannten Islamischen Staat berufen haben, stellt sich mancher die bange Frage: Ist das Oktoberfest sicher?

Es ist nicht sicher. Zäune und verstärkte Kontrollen, Polizeipräsenz und Wachsamkeit können Risiken vermindern. Genau dies geschieht rund um die Theresienwiese: Risikoverminderung. Die Behörden geben sich dabei größte Mühe. Wenn aber ein . . . , nein, man muss sich so etwas nicht ausmalen. Zweifelsohne würden Horrornachrichten über einen Anschlag auf das Oktoberfest weltweit größte Aufmerksamkeit erregen - eben weil dieses Fest ohnehin weltweit Aufmerksamkeit erregt. Schon vor 36 Jahren hat ein rechtsradikaler, deutscher Attentäter, der vermutlich nicht allein handelte, diese Signalwirkung des Oktoberfests blutig ausgenutzt.

In der Ära der sekundenschnellen globalen Kommunikation ist jeder öffentliche Ort von einiger Bedeutung für Feinde der Menschlichkeit leider auch ein Ziel. Aber Menschen, die zusammenkommen, um zu feiern, dürfen sich dieses Menschenrecht auf Freude nicht von Fanatikern streitig machen lassen. Wer ohnehin auf die Wiesn gehen will, soll das tun und wenn er dabei Lederhosen vom Discounter tragen will, sei's drum.

Zur Freiheit gehört auch die Möglichkeit, auf dem Oktoberfest all das zu tun, was anderen nicht schadet und wofür man sich am nächsten Mittag nicht heftig schämen muss. Mit ironischem Pathos gesagt: Es ist in Ordnung, wenn einer nach der dritten Mass glaubt, er verteidige nun auch die Freiheit.

© SZ vom 17.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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