München:Vom HJ-Heim zum Zufluchtsort

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Von czg

Die Kehrseite eines Idylls: Im russisch-orthodoxen Kloster nahe Schloss Blutenburg leben die Mönche in drangvoller Enge. (Foto: Florian Peljak)

Gäste empfängt die Bruderschaft in der Bibliothek. Die deckenhohen Holzregale sind übervoll mit Büchern. Auf einem Sofatisch liegt eine russische Broschüre, die an den 90. Jahrestag der Ermordung der Zarenfamilie erinnert. An den Wänden hängen Ikonen, ein Samowar steht kalt da, eine Wespe tanzt nervös an der Fensterscheibe. Vater Hiob, groß, langer Bart, schwarze Kutte, bringt Tee, eben haben er und seine acht Mitbrüder im Refektorium im Keller ihr Frühstück eingenommen. Die Mönche vom Kloster des heiligen Hiob von Počaev sind früh auf den Beinen, um 3.30 Uhr beginnt für sie der Tag, mit Beten, vier Stunden lang. Vater Hiob, der mit weltlichem Namen John Bandmann hieß, ist Mönchsdekan. Damit ist der gebürtige Berliner, Jahrgang 1986, so etwas wie der Sprecher von Erzbischof Mark, der als Leiter der russisch-orthodoxen Auslandskirche eine dringende Botschaft hat: Wenn nicht ein weltliches Wunder geschieht, wird sein Kloster nach mehr als 70 Jahren den Standort nahe der Obermenzinger Blutenburg verlassen müssen. Denn auch den Mönchen des heiligen Hiob reißt einmal der Geduldsfaden.

Pater Meliton arbeitet in seiner Silberschmiede. (Foto: Florian Peljak)

Die Gemeinschaft, als Diözesan- und Bischofssitz auch ein geistliches Zentrum und Anlaufpunkt für die russische Immigration, lebt sehr beengt und möchte seit Langem ihre denkmalgeschützte Klosteranlage erweitern. Nach einer "Ämter-Odyssee", erläutert Pater Hiob bei einem Rundgang, müsse man allmählich zu der "traurigen Gewissheit" gelangen, "dass wir hier, wo wir seit 1946 leben, arbeiten und beten, keine Zukunft haben". Die Ämter, das sind der Freistaat Bayern als Vermieter, die Bayerische Schlösser- und Seenverwaltung, das Planungsreferat der Landeshauptstadt und das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege. Bei all diesen Stellen sind die Mönche mit ihren Ausbauplänen abgeblitzt.

Pater Anatol zieht Kerzen aus 75 Grad heißem Wachs. (Foto: Florian Peljak)

Vater Hiob öffnet eine der Türen, die vom Flur im Langbau des Klosters abgehen. Es ist die Zelle von Erzbischof Agapit, ein schlauchförmiger Raum, in den kaum das Bett passt. Die anderen Mönchszellen unterm Dach, sagt Hiob, seien noch weniger komfortabel. Im oberen Trakt gebe es eine Toilette, im Erdgeschoss, wo auch Erzbischof Mark lebt, immerhin drei WCs, eine Dusche, eine Badewanne und drei Waschbecken.

Die Klostergemeinschaft, die als Auslandskirche autark ist vom Patriarchat in Moskau, finanziert sich über Spenden und durch den Verkauf ihrer Publikationen und Kerzen, die in den eigenen Werkstätten im Keller entstehen. Auch dort herrscht drangvolle Enge, wird jeder Zentimeter Raum genutzt. "Gelagert wird überall, wo Platz ist", sagt Hiob. Es riecht modrig, Feuchtigkeit im alten Gemäuer, die Papier nicht unbedingt gut bekommt. Nur in der Kerzenzieherei duftet es nach Wachs. Und nach Weihrauch im Herzstück des Klosters, einem zweischiffigen Raum mit Gewölbebögen, in dem die Mönche ihre reich verzierte Kirche eingerichtet haben.

Das Kloster, sagt Vater Hiob, habe seelsorgerische, administrative, repräsentative und missionarische Aufgaben. Um ihnen gerecht zu werden, soll die Anlage auf dem Grundstück nach Westen hin dreikanthofartig erweitert werden, auch eine neue Kirche ist geplant. Bislang hat der Architekt der Mönche seine Entwürfe immer wieder den Einwendungen der Ämter angepasst. Das Planungsreferat etwa verweist auf die sensible Lage im Außenbereich direkt an einem Landschaftsschutzgebiet und hält allenfalls einen kleinen Ergänzungsbau und die behutsame Sanierung des Bestandes für denkbar. Die Schlösser- und Seenverwaltung fürchtet um die Baumreihen auf dem nordseitigen Erdwall und dessen abschirmende Funktion. Bayerns Generalkonservator Mathias Pfeil kann den Plänen der Klostererweiterung nicht zustimmen, weil er die Sichtachse, den sogenannten Durchblick zwischen Schloss Nymphenburg und der Blutenburg, in Gefahr sieht.

Keine zwei Meter breit: Mönchsdiakon Hiob entfaltet sich in einer Zelle. (Foto: Florian Peljak)

Eigentlich möchten die Mönchen gerne bleiben, dort am Rande des Blutenburgparks, auch wenn sie dort zuletzt sehr geplagt waren von Partylärm und auch mit einem Brandanschlag fertig werden mussten. Weil sich aber nicht unbedingt ein weltliche Wunder in den Amtsstuben erwarten lässt, setzen sie auf anderen Beistand: Man habe sich an Erzbischof Reinhard Marx gewandt, ob nicht ein früheres katholisches Kloster zur Verfügung stünde. Die Mönche warten auf Antwort.

© SZ vom 30.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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