München:Ätzende Lauge in S-Bahn - Putzfrau zu Geldstrafe verurteilt

Lesezeit: 2 min

Auf einem Sitz in der S-Bahn war die Lauge ausgelaufen - die Putzfrau hatte es bemerkt, aber nichts unternommen. (Foto: Claus Schunk)
  • Eine Auszubildende hatte sich im Oktober 2015 morgens in der Münchner S-Bahn auf einen Sitz gesetzt, auf dem eine Flüssigkeit ausgelaufen war.
  • Wenig später bekam die 16-Jährige schlimme Schmerzen, ein Arzt stellte schwere Verätzungen fest.
  • Durch Video-Auswertungen kamen die Ermittler auf eine Putzfrau, die zuvor in der S-Bahn unterwegs war und zwar gemerkt hatte, dass Flüssigkeit ausgelaufen sei, sich aber nicht weiter gekümmert habe.

Von Christian Rost

Die 16-Jährige ist in Tränen aufgelöst, als Amtsrichter Matthias Braumandl sie am Mittwoch in den Zeugenstand bittet. Die Auszubildende aus dem Landkreis Rosenheim hatte sich am 5. Oktober 2015 morgens auf dem Weg zur Berufsschule in der Münchner S-Bahn auf einen mit Natronlauge getränkten Sitz gesetzt. Durch die stark ätzende alkalische Lösung zog sie sich schwere Verletzungen an Po und Oberschenkeln zu. Zweimal musste Haut transplantiert werden, noch zwei Jahre lang muss sie Tag und Nacht Silikonpflaster tragen. Es ist schlimm für die junge Frau zu wissen, dass sie wegen der Unachtsamkeit einer Putzfrau ein Leben lang gezeichnet sein wird von Narben: "Irgendetwas sehen wird man auf jeden Fall, auch wenn es geheilt ist", schluchzt sie.

Ebenfalls mit Tränen in den Augen sitzt die Angeklagte auf ihrem Stuhl. Die Staatsanwaltschaft hat die 49-jährige Putzfrau wegen gefährlicher Körperverletzung angeklagt. Sie soll an jenem Tag eineinhalb Stunden vor der Auszubildenden mit der S-Bahn gefahren sein und auf einem Sitz eine Tüte mit Reinigungsmitteln abgestellt haben. Obwohl sie bemerkt habe, dass Flüssigkeit ausgelaufen sei, habe sich die Angeklagte nicht weiter darum gekümmert. Sie habe sich, wie ein Video aus der S-Bahn zeige, vor dem Aussteigen aus dem Zug sogar noch zu dem Sitz hinuntergebeugt.

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Die seit dem Vorfall an Depressionen leidende Frau ist zunächst selbst nicht in der Lage, Stellung zu nehmen. Ihr Verteidiger Santosh Ernst Gupta erklärt, dass ihr die Tat "unheimlich leid" tue, sie aber nicht bemerkt habe, dass etwas ausgelaufen sei. Die Frau selber fügt noch mit leiser Stimme an: "Ich entschuldige mich aus tiefstem Herzen. Ich bin selbst Mutter und habe noch nie jemanden etwas Böses getan."

Wie die Beweisaufnahme ergibt, hatte sie einen Ofenreiniger in ihrer Tüte, der ausgelaufen sein muss. Dieser Reiniger ist nach den Worten des Chemikers Manfred Gimbel vom bayerischen Landeskriminalamt "nichts anderes als extrem starke Natronlauge" und "das Extremste, was man im Haushalt einsetzt". Für den Menschen sei Lauge viel gefährlicher als Säure. Wer mit Lauge in Kontakt komme, solle sie rasch mit möglichst viel Wasser abwaschen. Dazu hatte die Auszubildende keine Gelegenheit, weil sie in ihrer Klasse in der Berufsschule saß, als die Schmerzen plötzlich unerträglich wurden.

Rechtsmediziner Wolfgang Eisenmenger erklärte in seinem Gutachten, dass Säure die Haut verätze und zum Gerinnen bringe. Natronlauge mit einem ph-Wert von 14 indessen verflüssige das Gewebe und dringe tiefer ein. In solchen Fällen könne nur die plastische Chirurgie den Hautdefekt beheben, wobei aber Narben bleiben würden. Im Fall der 16-Jährigen sei das Ausmaß der Verletzungen erheblich gewesen, so Eisenmenger.

Die Staatsanwaltschaft beharrte auf einer Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung. Richter Braumandl schloss sich aber der Sicht der Verteidigung an und verurteilte die derzeit arbeitslose Angeklagte wegen fahrlässiger Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 1800 Euro. Die Folgen für das Opfer seien schrecklich, so der Vorsitzende, aber es wäre der jungen Frau nicht damit geholfen, wenn man die Angeklagte einsperren würde und sie kein Geld verdienen könne, um Schmerzensgeld zu zahlen.

© SZ vom 14.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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