Lebensmittel:Das Schockbild vom Bio-Hof, das keines ist

Lesezeit: 3 min

Tierschützer kritisieren die Kastenstände als nicht artgerecht. (Foto: privat)
  • Aus dem Musterbetrieb Gut Herrmannsdorf sind Bilder von einer eingepferchten Sau mit ihren Ferkeln aufgetaucht.
  • Unter den Kunden haben sich die Anschuldigungen scheinbar noch nicht rumgesprochen.
  • Tatsächlich sind auch in Bio-Betrieben verpönte Methoden erlaubt - aber unter anderen Voraussetzungen.

Von Franz Kotteder und Christian Sebald, München

"Wir Herrmannsdorfer meinen es ernst, sehr ernst, wenn es um das Wohlergehen unserer Tiere geht", schrieb Karl-Ludwig Schweisfurth, der Gründer der Herrmannsdorfer Landwerkstätten in seinem weihnachtlichen Rundschreiben an Freunde des Hauses im vergangenen Dezember. "Das ist uns ein großes Anliegen, mit Herz und Verstand." Dieses Anliegen ist nun sehr infrage gestellt durch Fotos und Fernsehbilder, die auf dem Musterbetrieb im Gut Herrmannsdorf bei Glonn entstanden sind.

Die Organisation "Soko Tierschutz" hat sie gemacht, sie zeigen eine Muttersau, eingepfercht in einen Kastenstand, so groß wie sie selbst, in dem sie sich nicht umdrehen kann. Um sie herum winzige Ferkel und eine Blutlache - das Bild ist kurz nach der Geburt entstanden. Und vor Dezember 2015: Denn inzwischen hat man auch in Herrmannsdorf auf ein moderneres System mit großen "Abferkelboxen" umgerüstet, seitdem werden die Sauen nicht mehr fixiert.

Das sagt Karl Schweisfurth, der Sohn des Gründers und jetzige Chef des Guts. Er spricht deshalb von "verleumderischen Anschuldigungen von einer Organisation, die die gesamte Tierhaltung abschaffen und die Gesellschaft zur veganen Lebensweise umerziehen will".

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Was der Betrieb zu den Vorwürfen sagt

Am Donnerstagvormittag ist man etwas geknickt in der Herrmannsdorfer Filiale am Max-Weber-Platz. "Ja, wir haben den Bericht gesehen", sagt Filialleiter Sebastian Finsterwalder, "aber von der Kundschaft gibt es bisher noch kaum feststellbare Reaktionen." Den Bericht in der ARD-Sendung "Fakt" vom Dienstag fand er "schon etwas ungerecht": Bilder aus Herrmannsdorf seien mit Aufnahmen aus anderen Betrieben vermischt worden.

Unter den Kunden im Laden haben sich die Berichte offenbar noch nicht sehr herumgesprochen, der Laden ist kurz vor elf Uhr gut gefüllt. Eine Frau steht an der Ladentheke und kauft Schweinefleisch. "Nein, davon habe ich noch nicht gelesen", sagt sie, "aber ich vertraue schon darauf, dass es bei Herrmannsdorfer mit rechten Dingen zugeht und das Wohl der Tiere im Vordergrund steht." Das sei schließlich auch einer der Gründe, warum sie dort einkaufe.

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Das Problem, das die Herrmannsdorfer Landwerkstätten und mit ihnen die ganze Bio-Branche jetzt hat, ist die Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Oder die Tatsache, dass auch die Bio-Landwirtschaft ein Kompromiss ist, wie Josef Brunnbauer sagt. Er ist Geschäftsführer von Biokreis, dem Bioverband, bei dem die Herrmannsdorfer Landwerkstätten Mitglied sind. "Natürlich bemühen sich unsere Biobetriebe, dass sie bei der artgerechten Haltung und beim Tierwohl ganz weit vorne sind", sagt Brunnbauer. "Aber auch wir kommen nicht völlig ohne Medikamente aus, viele haben Kastenstände."

Selbst wenn viele Verbraucher das in ihrer Sehnsucht nach einer heilen Landwirtschaft nicht wahrhaben wollten. Gleichwohl, und das ist zentral für Brunnbauer, sind die Unterschiede zur konventionellen Landwirtschaft gravierend.

Gerade bei den Antibiotika. "Ganz klar: Alle amtlich zugelassenen Antibiotika sind auch in Bio-Betrieben erlaubt", sagt der Tierarzt und Ingolstädter Umweltreferent Rupert Ebner. "Aber es steht fest, dass sie auf ihnen ungleich seltener eingesetzt werden als in der konventionellen Haltung." Und erst, wenn alle alternativen Methoden versagt haben. Außerdem dürfen Biobauern immer nur einzelne erkrankte Schweine gezielt behandeln und nicht - wie ihre konventionellen Kollegen - präventiv ganze Gruppen.

Der wohl gravierendste Punkt aber ist für den Tierarzt, dass Antibiotika auf Biohöfen "zu 99 Prozent bei ganz jungen Ferkeln eingesetzt werden, die starke Durchfälle haben oder an Atemwegserkrankungen leiden und denen sonst nichts mehr hilft". In der konventionellen Schweinehaltung hingegen würden vor allem Masttiere damit behandelt.

Mehr Platz für Schweine in Biobetrieben

Ähnlich sind die Unterschiede bei den Haltungsbedingungen. Natürlich sind die Schweine-Bestände von Biobauern sehr viel kleiner als die ihrer konventionellen Kollegen. Selbst ein großer Bio-Betrieb wie Herrmannsdorfer liegt im Zahlen-Vergleich zu konventionellen Mästern mit seinen 600 Tieren an der untersten Grenze. Außerdem haben die Tiere in der Biohaltung deutlich mehr Platz, sie dürfen raus an die frische Luft, sich suhlen und herumwühlen - alles also, was Schweine lieben. Die Anbindehaltung - also dass ein Tier im Stall fixiert wird - ist tabu.

Einzige Ausnahme ist die Zeit rund um die Geburt der Ferkel. "Ganz klar: Da ist die Haltung der Muttersauen in Kastenständen auch auf Biohöfen erlaubt", sagt Hubert Heigl, Vizechef der Landesvereinigung ökologischer Landbau (LVÖ) und selbst Ferkelerzeuger. "Wenn auch nur wenige Tage rund um die Geburt der Ferkel."

Auch Heigl hat auf seinem Hof sogenannte Abferkel-Boxen eingerichtet, in denen die Sauen viel mehr Platz haben. Heigls Erfahrung: Es geht ohne Kastenstände, "und zwar richtig gut".

© SZ vom 29.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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