Unterföhringer im Hilfseinsatz:"Die Flüchtlinge kommen. So oder so"

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Nur einmal hat die Besatzung der Sea Eye, in der Zeit als Andreas Sliwka an Bord war, Flüchtlinge von einem Schlauchboot gerettet. (Foto: Andreas Sliwka/oh)

Der Arzt Andreas Sliwka verbrachte zwei Wochen auf einem Boot, um im Mittelmeer Menschen aus Seenot zu retten

Interview von Christina Hertel, Unterföhring

Mehr als 1300 Flüchtlinge sind dieses Jahr im Mittelmeer ertrunken. Im Schnitt überlebt einer von 37 Menschen die Überfahrt nicht. Der Unterföhringer Arzt Andreas Sliwka hielt diese Zahlen irgendwann nicht mehr aus. Er wollte helfen. Im Juli verbrachte er zwei Wochen auf der Sea Eye, dem Schiff einer gleichnamigen Hilfsorganisation aus Regensburg. Ihre Mission: Menschen vor dem Ertrinken retten. Was so heldenhaft klingt, stößt auch immer wieder auf Kritik. Erst am Donnerstag beschlagnahmte die italienische Justiz ein Boot der Organisation "Jugend Rettet". Die Aktivisten hätten illegale Einwanderung befördert und mit Schleppern kooperiert, lautet der Vorwurf. Sliwka erzählt, warum er solche Anschuldigungen für absurd hält, wie man sich die Zeit an Bord vertreibt und wie die Menschen auf der anderen Seite des Mittelmeeres damit umgehen, dass so viele Tote an den Küsten angespült werden.

SZ: Sie waren zwei Wochen im Mittelmeer unterwegs. Wie erging es Ihnen danach?

Andreas Sliwka: Als ich von Malta zurückfliegen sollte, musste man mich fast ins Flugzeug prügeln. Ich wollte nicht weg. In München habe ich mir nur gedacht: Was will ich eigentlich hier? Diese ganzen Luxusprobleme. Auf dem Boot ist das Leben einfach. Man hat einen klaren Auftrag. Und am Ende auch ein Erfolgserlebnis. Dass 275 afrikanische Mütter nicht mehr um ihre Söhne bangen müssen, zum Beispiel. Das ist ein Supergefühl.

Das klingt ein bisschen nach Abenteuerurlaub. Dabei ist der Grund, warum Sie in See stachen, ja nicht besonders lustig.

Nur weil man bei einer ernsten Mission dabei ist, muss man nicht den ganzen Tag mit hängenden Mundwinkeln herumlaufen. Wir haben auch sehr viel Freude miteinander gehabt. Außerdem ist uns die große Katastrophe erspart geblieben. Wir haben nur an einem Tag Flüchtlinge aus einem Schlauchboot gerettet und das ging ganz gut. Die Leute waren noch gesund und fit.

Wie läuft so ein Einsatz ab?

Wir haben nachts um drei den Funkspruch vom Maritime Rescue Coordination Centre bekommen. Die sitzen in Rom und bei denen laufen alle Meldungen ein. Sie gaben uns die Koordinaten durch, wir haben die Motoren angeworfen und sind dann losgebrettert. Bei Sonnenaufgang waren wir vor Ort. Die kleineren Boote wie unseres nehmen keine Menschen mit an Bord. Wir fahren hin, verteilen Rettungswesten und warten, bis ein größeres Schiff kommt, das die Flüchtlinge nach Italien bringt.

Sind Sie enttäuscht, dass Sie keinen richtigen Einsatz hatten, bei dem es um Leben und Tod ging?

Zuerst habe ich mir schon gedacht: Ich bin hier, um Leute zu retten, und jetzt kommen keine. Aber es geht ja nicht um mich. Derjenige, der bloß darauf wartet, dass er in Aktion treten kann, hat ein Ego-Problem. Er will sich in Szene setzen, als Retter dastehen. Dabei kommt es nicht darauf an, dass sich der Einzelne profilieren kann.

Wie viele Einsätze gibt es denn normalerweise?

Manche Missionen kommen zurück und es ist gar nichts passiert. Andere erzählen, dass jeden zweiten Tag etwas los war und dass sie mehr als 2000 Menschen gerettet haben. Das kann man vorher nicht abschätzen.

Warum, glauben Sie, war bei Ihnen nichts los?

Es gab einen Dauerwind von Frankreich Richtung Mittelmeer. Die Wellen waren zweieinhalb bis drei Meter hoch. Da kriegen die Libyer die Schlauchboote gar nicht aufs Meer raus. Die fliegen denen gleich wieder um die Ohren und an den Strand.

Wie haben Sie sich die Zeit vertrieben?

Auf einem Schiff gibt es immer was zu tun. Zwei Tage habe ich nur damit verbracht, Medikamente zu sortieren. Außerdem haben wir Reparaturen durchgeführt, die Reling gestrichen. Dann ist man noch zur Wache eingeteilt und schaut mit dem Fernglas Richtung Horizont, hört den Funk ab.

Was war der emotionalste Moment der Mission?

In Tunesien lernten wir einen Mann kennen, der ehrenamtlich die Wasserleichen bestattet, die an den Strand gespült werden. Er sagte: Es kann nicht sein, dass die bloß verscharrt werden. In einem Monat beerdigte er 30 Menschen, also jeden Tag einen. Wir haben auch einmal einen Mann gemeinsam bestattet, einen Stern auf sein Grab gestellt. Wir wollten ihm die Würde zurückgeben. In den Medien werden die einzelnen Menschen zu Zahlen gemacht. 12 000 gerettet, 5000 ertrunken. Das gibt mir wirklich zu denken.

Der österreichische Innenminister behauptet, dass Flüchtlingshelfer wie Sie mit Schleppern zusammenarbeiten. Was halten Sie davon?

Es ärgert mich schon. Es ist ein Verbrechen, dass die sattesten Staaten der Welt zugucken, wie Menschen absaufen. Da muss ich es doch eigentlich nicht rechtfertigen, einen jungen Mann vor dem Ertrinken zu bewahren oder davor, dass er zwei Wochen später in Tunesien an den Strand gespült wird.

Ein Vorwurf ist, dass die privaten Hilfsorganisationen zu nah an die libysche Küste heranfahren. Kritiker sagen, die Schlepper rechnen mittlerweile damit, dass die Flüchtlinge gerettet werden und verwenden immer billigere Boote .

Andreas Sliwka ist Frauenarzt, Psychotherapeut und Yoga-Lehrer in Unterföhring. Außerdem hält er Sprechstunden für Flüchtlinge ab. In Krisengebiete ist Sliwka immer wieder gereist. (Foto: Catherina Hess)

Bei Sea Eye, für die ich fahre, ist es verboten, näher als 30 Seemeilen an die libysche Küste heranzufahren. Außer es kommt der Funkspruch, dass Leute gerade am Absaufen sind. Da muss man hin. Das ist Seerecht. Die Politiker sollten einfach mal mitfahren, damit sie mitreden können. Auch die Sache mit den Lichtzeichen. Das ist so was von blödsinnig.

Sie meinen den Vorwurf, dass Hilfsorganisationen Schleppern mit Lichtzeichen den Weg weisen.

Genau. Wenn man 30 Seemeilen von der Küste entfernt ist, was müsste man da für ein Licht machen? Das müssten Sie 200 Meter hochschießen. Das Zweite ist: Den Schleppern ist es doch so oder so wurscht, ob da Menschen ertrinken. Die wollen die Leute bloß aus den Augen haben, wenn sie sie abkassiert haben.

Die italienische Regierung wollte, dass Hilfsorganisationen einen Verhaltenskodex für die Seenotrettung unterschreiben. Doch diese lehnten ab. Warum?

Die Italiener wollen sich vorbehalten, dass sie NGO-Schiffe betreten können, sie durchsuchen können, also auf gut Deutsch: denen das Leben schwer machen.

Was sollte die Regierung daran für ein Interesse haben?

Ich glaube, dass es eine allgemeine Ratlosigkeit gibt, wie man mit diesem Problem umgeht. Das wissen die Italiener nicht und die ganzen anderen Staaten auch nicht. Außerdem ist Wahljahr und es gibt die Rechtspopulisten. Da wollen die anderen Parteien vielleicht den rechtsorientierten Menschen nach dem Mund reden. Ich glaube aber, die Flüchtlinge kommen. So oder so.

© SZ vom 08.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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