Flüchtlinge in Traglufthallen:Die Luft ist noch lange nicht raus

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Traglufthallen, wie hier in Neubiberg, könnten noch längere Zeit zum Ortsbild mancher Gemeinden gehören. (Foto: Angelika Bardehle)

Trotz aktuell sinkender Flüchtlingszahlen hält Landrat Christoph Göbel an seiner Strategie einer gerechten Verteilung im Landkreis fest. Die Traglufthallen in Grünwald und Unterföhring könnten bis nächstes Jahr stehen bleiben.

Von Stefan Galler und Martin Mühlfenzl, Landkreis

Auch wenn die Zahl der Flüchtlinge aktuell massiv zurückgeht, dürften einige der Traglufthallen, in denen Neuankommende untergebracht werden, noch bis ins nächste Jahr hinein stehen bleiben. Wie die SZ erfuhr, könnten die beiden Hallen in Unterföhring und im Grünwalder Ortsteil Wörnbrunn länger als zwölf Monate in Betrieb bleiben.

Aktuell gibt es im Landkreis sieben Traglufthallen, in denen bis zu 2100 Menschen Platz finden. Mit den aufblasbaren Hallen reagierte der Landkreis auf die große Zahl Schutzsuchender, die seit September die Region erreichten.

Die Prognose wurde auf 7500 Flüchtlinge gesenkt

Seit mehreren Wochen, seit Schließung der Balkanroute, geht die Zahl der Asylsuchenden zurück. Die Regierung von Oberbayern weist den Landkreisen derzeit keine neuen Flüchtlinge mehr zu und Landrat Christoph Göbel (CSU) hat in Absprache mit den Bürgermeistern aller 29 Städte und Gemeinden die Prognose für das laufende Jahr von 9000 auf 7500 unterzubringende Menschen abgesenkt.

Bewusst hat der Landrat der Absenkung das Prädikat "vorsichtig" vorangestellt. Denn jetzt wurde bekannt, dass die beiden Traglufthallen in Unterföhring und im Grünwalder Ortsteil Wörnbrunn länger als zwölf Monate in Betrieb bleiben könnten. Dies bestätigte Unterföhrings Bürgermeister Andreas Kemmelmeyer (Partreifreie Wählerschaft, PWU) am Mittwoch der Süddeutschen Zeitung. Beide Unterkünfte gingen als letzte in Betrieb - die in Grünwald im Dezember, die in Unterföhring im Januar. "Und wenn es die Situation erfordert, kann es sein, dass unsere Traglufthalle über den Winter in Betrieb bleibt", sagt Kemmelmeyer und meint damit: über den Januar hinaus. "Wir werden die Menschen nicht mitten im Winter vor die Tür setzen."

Eine Verlängerung, sagt der Rathauschef, würde gemeinsam mit dem Landratsamt und der Firma Paranet, die die Hallen baut und aufstellt, entschieden: "Das sind fliegende Bauten, die zunächst eine Betriebserlaubnis für ein Jahr bekommen. Nach einer Prüfung kann noch einmal eine Verlängerung erfolgen." Dies werde aber nur der Fall sein, wenn die Halle noch benötigt werde. "Aber das können wir heute noch nicht sagen", so Kemmelmeyer.

Landrat Göbel lobt die Solidarität der Akteure im Landkreis

Momentan gehen die Zahlen zurück. Doch ändern der Landkreis, die Städte und Gemeinden jetzt ihre Strategien bei der Unterbringung? Ruhen sich jene Kommunen, die bisher nicht so schnell vorangekommen sind, weiter aus? Landrat Göbel sagt mit Bestimmtheit: "Was ich auf keinen Fall tun will, ist in der Öffentlichkeit Fleißbildchen oder gelbe Karten an einzelne Gemeinden verteilen." Die Solidarität der Akteure sei keineswegs wegzudiskutieren: "Im Landkreis München ziehen alle bei der Unterbringung der Asylbewerber voll engagiert mit. Und das ist das Geheimrezept, warum es bei uns so gut läuft."

Obwohl der akute Druck, innerhalb kürzester Zeit neue Unterbringungsmöglichkeiten zu schaffen, offenkundig nachlässt, treibt der Landkreis seine eigenen Projekte weiter voran: Derzeit entstehen auf dem Gelände der Universität der Bundeswehr auf Unterhachinger Gemeindegebiet zwei neue Traglufthallen; zudem ist die Erstaufnahmeeinrichtung der Regierung von Oberbayern im umgebauten Gebäude des ehemaligen Musikkorps mittlerweile in Betrieb. Dort sind derzeit 84 Schutzsuchende untergebracht. Und diese Aufnahmeeinrichtungen wird es auch wieder brauchen, sagt Unterhachings leitender Beamter Simon Hötzl: "Sie glauben doch nicht, dass die Zahlen nicht wieder nach oben gehen."

Ottobrunn und Höhenkirchen-Siegertsbrunn handeln zügig

Umso entscheidender ist es, dass die Kommunen feste Unterkünfte schaffen. Und es gibt welche, die Projekte zügig umsetzen, wie Göbel betont: Ottobrunn und Höhenkirchen-Siegertsbrunn etwa. Diese dürften für ihre anpackende Art keinen Nachteil haben, indem sie deutlich mehr Asylbewerber unterbringen müssten als andere. "Dann nämlich könnte in diesen Gemeinden eine andere Stimmung in der Bevölkerung entstehen. Und das würde die Bereitschaft zur Integration schwächen."

Auch wenn Göbel niemanden explizit öffentlich rügen will, reagiert er doch deutlich, wenn man ihn etwa auf die Bemühungen der Gemeinde Pullach bei der Einquartierung von Schutzsuchenden anspricht. "Pullach gehört zweifellos zu den Gemeinden, die sich gewaltig anstrengen müssen, weil sie im Landkreisvergleich deutlich im Hintertreffen liegen." Er habe deshalb erst kürzlich bei einer Sitzung des Gemeindetags Bürgermeisterin Susanna Tausendfreund (Grüne) beiseite genommen und sie noch einmal darauf aufmerksam gemacht, dass es ohne eine größere Gemeinschaftsunterkunft nicht gehe.

28,6 Prozent der Flüchtlinge im Landkreis kommen aus Afghanistan

Auch andere Kommunen, die derzeit im Soll liegen, sollten die aktuelle Entwicklung nicht falsch einschätzen: Es sei keineswegs ausgeschlossen, dass die Zahl der Zuteilungen wieder nach oben gehe. Für den Sommer rechnet Göbel mit weiteren Neuankömmlingen. Und dann sei da noch die große Unbekannte: der Familiennachzug. "Da bestehen definitiv Ansprüche, und es ist zu erwarten, dass die Flüchtlinge davon Gebrauch machen, etwa unbegleitete Minderjährige, die ihre Eltern holen." Göbel bezweifelt zudem, dass Afghanistan als sicheres Herkunftsland eingeordnet wird. Sollte jedoch eine Rückführung afghanischer Asylbewerber irgendwann gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention vollzogen werden, würde der Landkreis spürbar entlastet: Aktuell stammen 28,6 Prozent der im Landkreis lebenden Schutzsuchenden aus diesem Land.

© SZ vom 21.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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