SZ-Serie: Oh, mein Gott! - Teil 8:Ein Glaube, der die Freiheit befördert

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Martina Reiner unterrichtet Kinder und Jugendliche am Gymnasium in katholischer Religionslehre. Für sie ist Kirche etwas, das die Gemeinschaft prägt, inklusive verschiedener Strömungen.

Von Markus Mayr, Unterschleißheim

In der Woche vor den Osterferien war Martina Reiner mit einer 9. Klasse am Schliersee. Drei Tage lang widmeten sich die Schüler dort den Sinnfragen des Lebens. Als "besinnlich" beschreibt dann auch die noch junge Lehrerin den Aufenthalt dort. Bereits kurz nach ihrer Rückkehr von der Fahrt, auf der sie eine Klassenladung pubertierender Jugendlicher beaufsichtigen musste, strahlt die 30 Jahre alte Frau eine Ruhe aus, die von der Wahrheit dieser Aussage zeugt. Im Gespräch mit ihr zeigt sich, dass sie wohl den für sie richtigen Lebensweg eingeschlagen hat.

Seit drei Jahren unterrichtet Reiner am Unterschleißheimer Carl-Orff-Gymnasium Mathematik und katholische Religionslehre. Sie schätzt gerade in dem nicht-naturwissenschaftlichen Fach die Auseinandersetzung mit den Schülern und die damit verbundene Auseinandersetzung mit sich selbst. Sie lässt ihren Schülern dabei jede Meinung durchgehen. Vorausgesetzt, die Kinder bedienen keine Klischees, argumentieren schlüssig und aus ihrer eigenen Überzeugung heraus.

Martina Reiner ist jung und gläubig - eine seltene Kombination

Denn über die verfügt Reiner, und eine solche, das wünscht sie sich, sollen auch ihre Schüler sich aneignen. Aus den Debatten, die sie auch außerhalb der Schule führt, schöpfe sie ihre Kraft, sagt sie. "Wie meine Schüler bin auch ich auf dem Weg." Schwierig ist das Unterrichten nur, wenn sie nicht an die Schüler rankommt. "Doch verzweifelt bin ich dabei noch nicht", sagt sie lächelnd. Reiner ist jung und gläubig, eine eher seltene Kombination heutzutage. Der Glaube an Gott hat sie in ihrem Sein gefestigt. So wie ihr Glaube sich im Laufe ihres Daseins gefestigt hat.

Was angesichts des Niedergangs des Religiösen in der Gesellschaft und im Alltag noch seltener sein dürfte. "Ich bin zwar getauft", erzählt Reiner, "aber nicht besonders religiös sozialisiert worden." Ihre Eltern bugsierten sie nicht jeden Sonntag in die Kirche. Doch von ihrer Erstkommunion und ihrer Firmung hat Reiner mehr mitgenommen als nur zahllose Geldgeschenke.

Ihr Studium hat sie begonnen mit dem innigen Wunsch, Lehrerin zu werden. Dass sie Mathematik unterrichten will, war von Anfang an klar. Auf die Religionslehre allerdings wollte sie sich zu Beginn nicht eindeutig festlegen, obwohl sie sich sehr für diese interessierte. Dieses Interesse rührt aus ihrer Jugend her, als Reiner etwa in ihrer Firmgruppenleiterin ein Glaubensvorbild gefunden hat. Die junge Frau beschreibt sich selbst als empfindsamen Menschen, der interessiert ist an Transzendenz und den Fragen: Woher komme ich? Wohin gehe ich? Deshalb habe sie damals gesagt: "Schau ich's mir doch einfach mal an." Hätte ihr die Religionslehre nicht zugesagt, hätte sie zum Fach Ethik gewechselt.

Für sie ist die Kirche zunächst die Gemeinschaft der Gläubigen

Doch das steht inzwischen nicht mehr zur Debatte. "Während des Studiums ist mir der Glaube wichtiger geworden", sagt sie. Und weil für sie Glaube und Kirche einher gehen, stellt sie die katholische Kirche als Institution auch nicht infrage. Für sie besteht Kirche nicht aus den patriarchalisch organisierten Würdenträgern und gemeinem Fußvolk, sondern aus der Gemeinschaft der Gläubigen. Und innerhalb dieser werde festgelegt, was das richtige Leben ist, sagt sie. "So definiere ich als Teil dieser Gemeinschaft die Kirche mit." Ihre eigene Haltung dürfe sie dabei bewahren. Verschiedene Strömungen innerhalb der Kirche seien erwünscht. So hat sie dann auch eine Erklärung dafür parat, warum der oft heftig kritisierte Zölibat oder die von der Amtskirche propagierte Sexualmoral nicht zwingend schlecht sein müssen.

Die vielen Missbrauchsvorfälle haben für sie nichts mit der Selbstverpflichtung der Priester zu tun, ein sexuell enthaltsames Leben zu führen, wie es manche Kritiker anführen. So schrecklich die Vorfälle sind: Missbrauch gebe es in allen Teilen der Gesellschaft, sagt sie. In der Kirche sei die Zahl dieser Fälle sogar geringer als anderswo. Zudem sei das Priesterleben ohne den Zölibat nicht leichter zu bewältigen als mit. Im Gegenteil: Für manche könne die Ehelosigkeit und die damit verbundene Konzentration auf die Berufung eine Stütze sein. Und auch der Sexualmoral der Kirche kann sie etwas Gutes abgewinnen.

Die Kirche als Sinnanbieter und nicht als Wahrheitsdiktator

Gerade für junge Menschen wirkt die knöchern anmutende Vorstellung der Kirche wie aus der Zeit gefallen, vor der Ehe keinen Sex zu haben, wenn dann auch nicht mit Kondom und schon gar nicht mit dem gleichen Geschlecht. Dieser rigiden Vorstellung widerspricht auch Reiner. Doch kann sie dem Menschenbild hinter dieser Moral durchaus etwas abgewinnen. Hängen an dem Bild doch Werte wie etwa die Treue, die auch heute noch Bestand haben. Die katholische Kirche ist als Gemeinschaft der Gläubigen für Reiner "Sinnanbieter" und nicht Wahrheitsdiktator. "Mein Glaube beschneidet mich nicht in meiner Freiheit, er befördert sie."

Reiner wünscht sich im Hinblick auf die vielen Skeptiker, die sich derzeit von der Kirche abwenden, dass diese erst einmal nach dem Sinn der Moralvorstellung fragen, bevor sie diese voreilig ablehnen. So wie es jetzt läuft, "geht etwas verloren, das nicht verloren gehen müsste", sagt die Lehrerin. Oft wirke der Grund für den Kirchenaustritt - wie etwa die Kirchensteuer - auf sie wie ein Vorwand, um sich nicht näher mit der Institution Kirche auseinandersetzen zu müssen.

Doch gönnt Reiner jedem seine Haltung. "Wir sind freie Menschen und können unser Leben selbst deuten", sagt sie. "Ich komme allerdings nicht zu der Überzeugung, dass es Gott nicht gibt." Wenn ihr deshalb jemand eine naive Weltsicht unterstellt, was durchaus vorkommt, dann ärgert sie das. Vor allem wegen der oft engstirnigen und vorgefestigten Argumentation dieser Leute. Die lässt sie ungern gelten. Die lässt sie ihren Schülern auch nicht durchgehen.

© SZ vom 01.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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