Volkstheater in Haar:Obacht Anspruch

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Das Aus für das Chiemgauer Volkstheater bedeutet nicht das Ende für Fernsehproduktionen des BR im Kleinen Theater Haar. Auf leichte Komödien sollen Stücke mit gesellschaftlicher Relevanz folgen

Von Bernhard Lohr, Haar

"In der Konditorei Dettermeier liegen die Nerven blank." So steht es auf der Homepage des Bayerischen Rundfunks über das Stück "Bäcker braucht Frau", das der Sender im Kleinen Theater in Haar fürs Fernsehen produziert hat. Das klingt nach klassischem Volkstheater. Doch auch wenn in diesem Stück unter den Protagonisten die Aufregung wieder einmal groß ist, wenn es wildeste Verwicklungen gibt und sich junge Liebe gegen die Alten durchsetzen muss - bei "Bäcker braucht Frau" vom Tangrintler Volkstheater ist einiges anders. Der Bäcker ist schwul. Homosexualität wird hier zum Thema.

Das Kleine Theater in Haar hat sich zu einem beliebten Spielort entwickelt, an dem der BR Theaterproduktionen aufzeichnet. Das Tegernseer Volkstheater war schon da. Dieser Tage ist das Chiemgauer Volkstheater der Familie Helfrich zu Gast. Am Mittwoch wurde noch geprobt. Bis 28. Juni werden die beiden Komödien "Ein guter Rutsch" und "Nicht öffentlich" fürs Fernsehen aufgezeichnet. Voraussichtlich an Silvester und im Lauf des kommenden Jahres sollen sie gezeigt werden. Doch dann ist Schluss: Der BR hat nach 23 Jahren die Zusammenarbeit mit den Chiemgauern aufgekündigt. Schade finde er den Abschied, sagt Haars Theaterchef Matthias Riedel, doch bei ihm herrsche "keine Endzeitstimmung". Das muss auch nicht sein. Die Liaison zum BR könnte mit Theaterstoffen, wie sie das "Tangrintler Volkstheater" bietet, sogar noch enger werden.

Den Abschied von den Chiemgauern begründet die Leiterin des BR-Programmbereichs Unterhaltung und Heimat, Annette Siebenbürger, zwar in erster Linie mit "steigendem Kostendruck", der es unmöglich mache, an allen Formaten festzuhalten. Zugleich streicht der BR aber heraus, dass man sich "in Zukunft auch weiter neuen Themen und Erzählformen aus ganz Bayern" öffnen wolle.

Gemeint sind damit Stücke wie "Bäcker braucht Frau", das der Oberpfälzer Jürgen Kirner geschrieben hat, der als Kopf der Couplet AG dem Kleinen Theater in Haar verbunden ist und dort zwei Mal schon den Fastenprediger Pater Jürgen gegeben hat. Beim BR steht Kirner mit seiner Interpretation von Volkstheater, das den Anspruch erhebt, gesellschaftlich relevante Themen aufzuarbeiten, wie etwa gleichgeschlechtliche Liebe. Die ebenfalls von Kirner verantworteten "Brettl-Spitzen" werde es weiter geben, heißt es vom BR. Das Stück "Bäcker braucht Frau" des Tangrintler Volkstheaters ist Komödie und Realsatire in einem. Kirners Texte leben von seiner Erfahrung als Kabarettist, als Couplet-Sänger und von seiner Persönlichkeit als politisch engagierter Menschen.

Der BR hatte Kirner ermuntert, das Stück zu schreiben. Die Resonanz gab den Beteiligten Recht. Kirner zufolge war die Einschaltquote hoch und man erreichte ein jüngeres Publikum. Auf die Ausstrahlung im Fernsehen hin habe es viele Reaktionen gegeben von Menschen, die selbst betroffen seien. Junge Leute hätten sich gemeldet, die sich in ländlichen Umfeld bis heute nicht trauten, zu ihrer Sexualität zu stehen. "Für mich ist es etwas ganz Elementares, dass ein Stück eine Grundaussage, eine Botschaft hat", sagt Kirner. Dass homophobe Haltungen wieder stärker würden, mache ihn fassungslos, sagt er, der selbst homophobe Anfeindungen erfahren hat. Er frage sich, ob alle im "Hier und Jetzt" angekommen seien. Mittlerweile schreibt Kirner an seinem zweiten Stück, in dem es darum geht, dass sich nicht immer die Besten für die Politik berufen sähen.

BR-Fernsehdirektor Reinhard Scolik lobt "Bäcker braucht Frau" als beispielgebend für "neue Wege im Bereich Volkstheater". Man sei sich einig, sagt Kirner, diesen Weg weiter zu gehen. Dabei könnte das Kleine Theater in Haar weiter als Spielort Partner sein. Eine Bestätigung gibt der BR noch nicht. Man arbeite daran, wie die Neuausrichtung - bei der klassische Formate weiter auch ihren Platz haben werden - umgesetzt würden, heißt es. Dem Kleinen Theater jedenfalls käme der formulierte gesellschaftliche Anspruch zupass. Schließlich gehört der zum Selbstverständnis der Einrichtung, die das Sozialpsychiatrische Zentrum der Kliniken des Bezirks trägt. Dass in dem Theater, das früher zur Psychiatrie Haar-Eglfing gehörte, Bauerntheater aufgeführt werden sollte, sah mancher erst kritisch. Dann funktionierte es gut. Jetzt könnte alles noch besser werden.

© SZ vom 21.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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