Ismaning:Glaskugel Großstadt

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"Haben wir noch Angst?", fragen die Schauspieler der Lichtbühne. In Future-Disco geht es um Sinnsuche und Leere,räumliche Enge und emotionale Distanz. (Foto: Catherine Hess)

In ihrem Stück "Future Disco" blickt die Lichtbühne im Kallmann-Museum in eine bedrohliche Zukunft, die fern ist und doch schon begonnen zu haben scheint.

Von Irmengard Gnau, Ismaning

Müll begleitet den Tanz der Namenlosen. Alles Materielle ist im Überfluss vorhanden, wer will, braucht es nur vom Boden aufzuheben; aus Plastikresten werden so mühelos ein Kuchen, ein Strauß Blumen, ein Paar Schuhe. Arbeit gibt es nicht mehr, das Konzept von Arm und Reich hat sich überlebt. Dieses Bild einer zukünftigen Stadt zeichnet die "Lichtbühne" in ihrer dramatischen Bilderfolge "Future Disco". Die Gruppe hat ihr Stück, das sich bewusst nicht an den klassischen dramatischen Aufbau hält, sondern aus losen Szenen und einzelnen Schlaglichtern besteht, in das Jahr 2980 verlegt, in eine fiktive Welt, die doch erschreckende Ähnlichkeiten zu unserer aufweist.

Haben wir noch Angst, wenn innen und außen nur noch Leere ist?

Denn in der äußeren Fülle wird die innere Leere umso stärker spürbar. Haben wir noch Angst, fragt eine der Figuren, welche die Schauspieler Susanna Karina Bauer, Eva Gottschaller, Ulf-Jürgen Wagner und Lichtbühnen-Gründer Guido Verstegen wechselnd verkörpern, wenn innen und außen nur noch Leere ist? Bleibt da noch Raum für Emotionen, Nährboden für Gefühle?

Die Suche nach Sinn und Inhalt in einer Umgebung, die überladen ist mit Angeboten und Möglichkeiten, stellt Verstegen, der für die Inszenierung verantwortlich zeichnet, in den Mittelpunkt des Stückes. Er nimmt dabei Anleihen bei den Expressionisten der 1910er Jahre, die die Großstadt als Brennglas einer Gesellschaft zeichneten, in der sich räumliche Enge und emotionale Distanz auf bizarre Art und Weise gegenüberstehen und aneinander wachsen. Häuser, die so eng stehen, dass die Straßen "grau geschwollen wie Gewürgte" wirken, wie es der Lyriker Alfred Wolfenstein in seinem 1914 erschienenen Gedicht "Städter" beschreibt - und dennoch bleibt der Einzelne in der Masse "unberührt und ungeschaut", einsam, anonym.

Die Parallelen zum Heute sind deutlich. Verstegens Figuren suchen nach Orientierung, nach Halt, danach, die Einsamkeit zu durchbrechen in einer Welt, in der Liebe und Sexualität nur mehr eine Farce sind, eine lachhafte Imitation im flirrenden Sound der Discomusik. Nach dem Rausch der Nacht folgt der Kater. "Ich will nicht mehr auf der Suche sein. Ich will einfach nur leben!", sagt eine.

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"Future Disco" ist das zweite eigene Stück der freien Theatergruppe Lichtbühne aus München. Die Idee für die Szenen geht auf Maximilian Sachsse zurück. Der junge Regisseur hat für die Lichtbühne bereits das Stück "Zwischen den Welten" entwickelt und gemeinsam mit Verstegen in Ismaning auf die Bühne gebracht, damals im Kulturzentrum Seidl-Mühle.

Wo bleibt das "Wir" in der anonymen Enge der Großstadt?

Im Kallmann-Museum strahlt von der Wand hinter den Schauspielern der rote Mantel der Pietà von Waldemar Flaig. Klagend hält Maria ihren toten Sohn im Arm. Auch sie ist allein, verlassen; nichts kündet von der Auferstehung des Christus, die Verzweiflung dominiert das Gemälde. Die Werke im Raum stammen von Künstlern, welche die Nationalsozialisten als nicht sehenswürdig, als "entartet" verfemt haben, eine beeindruckende Schau, zusammengestellt aus der Sammlung von Gerhard Schneider. Die mahnenden Bilder, viele dem Expressionismus zuzuordnen, korrespondieren mit Verstegens Inszenierung, belegen den Blick in die Zukunft mit dem Gewicht der Historie.

Der Ausblick, den "Future Disco" bietet, ist grell und laut. Das episodenhafte Spiel ist anstrengend für Schauspieler und Publikum. Das Stück packt den Zuschauer an, fährt ihm ins Trommelfell, lässt ihn vielleicht auch einmal den Blick abwenden. Doch Verstegen und seinen Mitspielern gelingt es, das Publikum nachdenklich nach Hause zu schicken. Eine mutige Inszenierung, nicht zuletzt für eine Gruppe aus der Freien Szene. Am Ende darf das Publikum gar einen Funken Hoffnung entdecken im Meer aus leeren Plastikhülsen der Großstadt.

Mit ihrem Stück "Future Disco" tritt die Lichtbühne noch einmal am Donnerstag, 22. September, beim Theaterfestival "WortSchau" im Pepper Theater in Neuperlach auf. Die Ausstellung "'Entartete' Kunst. Verfolgung der Moderne im NS-Staat" im Kallmann-Museum ist noch bis Sonntag, 11. September, zu sehen, immer Dienstag bis Samstag von 14.30 bis 17 Uhr, Sonntag öffnet das Kallmann-Museum bereits ab 13 Uhr. Am Sonntag, 11. September, finden zwei Führungen durch Gerhard Schneider statt, aus dessen Sammlung die Bilder stammen, um jeweils 13.30 und 15.30 Uhr. Der Eintritt ist frei.

© SZ vom 05.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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