Kampagne:Bilder gegen Bürgerängste

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"Das Boot ist voll?": Unbesetzte Lehrstellen, überalterte Gesellschaft. Platz wäre in Deutschland genug. (Foto: bildkorrektur.tumblr.com/CC-BY-NC-ND-2.0)
  • Eine bundesweite Plakatkampagne soll gegen Vorurteile und Rassismus helfen.
  • Dafür haben 15 Illustratoren sich mit der Formel "Angst ist ein schlechter Ratgeber" auseinandergesetzt.
  • Noch bis zum 04. Juli werden die Plakate in München zu sehen sein.

Von Inga Rahmsdorf, München

An Litfaßsäulen, in U-Bahnhöfen und auf Werbewänden sind seit Dienstag in München ungewöhnliche und auffällige Plakate zu sehen. Es sind Zeichnungen von renommierten Künstlern, die sich mit Vorurteilen gegenüber Flüchtlingen auseinandersetzen: Bringen die Asylsuchenden den Islamismus zu uns? Verlieren wir unsere Kultur? Nehmen uns die Flüchtlinge die Arbeitsplätze weg? Warum haben die alle teure Handys?

Mit diesen und anderen Ängsten haben sich 15 Illustratoren auseinandergesetzt und haben mit Zeichnungen und kurzen Texten den Vorurteilen Fakten gegenübergestellt.

Die Münchner Fachstelle für Demokratie und gegen Rechtsextremismus hat diese Motive nun aufgegriffen und gemeinsam mit den Künstlern eine Kampagne daraus entwickelt unter dem Motto "Angst ist ein schlechter Ratgeber". Insgesamt knapp 1000 Plakate mit sieben ausgewählten Motiven der Künstler werden bis zum 4. Juli in der Stadt zu sehen sein.

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Sie sind jeweils etwa 1,70 mal 1,20 Meter groß. In roter Farbe ist darauf ein Angstszenario dargestellt. In blau wird dem eine Situation entgegengestellt, die die Vorurteile mit Fakten widerlegt. Die einheitlichen Farben sollen trotz der unterschiedlichen Zeichenstile der Künstler gleich deutlich machen, dass es sich dabei um ein gemeinsames Projekt handelt.

Außerdem sollen noch bis September 250 000 Postkarten mit insgesamt zehn verschiedenen Motiven in Schulen, Gaststätten und Kultureinrichtungen ausgelegt werden. München sei bundesweit die erste Kommune, die mit diesen Zeichnungen eine so großflächige Kampagne entwickelt habe, sagt Miriam Heigl, Leiterin der städtischen Fachstelle für Demokratie.

Entstanden ist das ganze Projekt, als Anfang des Jahres die in Berlin lebende Illustratorin Alexandra Klobouk die Künstlergruppe "Bildkorrektur" initiierte. Als sie vergangenen Herbst all die Flüchtlinge sah, die am Münchner Bahnhof ankamen, sei bei ihr das Bedürfnis entstanden, sich an dem gesellschaftlichen Diskurs zu beteiligen, sagt Klobouk, die zur Vorstellung der Kampagne am Dienstag nach München gereist ist.

Gerade im Internet habe sich schnell eine sehr emotionale Debatte entwickelt. "Es gab zwar viele Fakten, aber die wurden von vielen Leuten nicht wahrgenommen", sagt sie. Den Vorurteilen und Ängsten wollte die Illustratorin mit Bildern etwas entgegensetzen. Sie kontaktierte bekannte Kollegen und konnte schnell 15 von ihnen sowie einen Journalisten für das Projekt gewinnen, auch wenn die Arbeit ausschließlich unentgeltlich war. So entstand die Gruppe mit dem Ziel, Bilder gegen Bürgerängste zu entwerfen.

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"Wir wollten Informationen, die schon da sind, leichter zugänglich zu machen", sagt Klobouk. "Dafür haben wir uns mit einigen Ängsten auseinandergesetzt, die wir wahrgenommen haben." Die Zeichnungen stellten die Künstler für jeden frei zugänglich und zum herunterladen ins Internet. Schließlich wurde Heigl von der Münchner Fachstelle für Demokratie auf die Aktion aufmerksam und fragte bei den Künstlern an, ob die Stadt die Zeichnungen für eine Kampagne nutzen könnte.

Und auch dafür stellen die Illustratoren die Motive kostenlos zur Verfügung. Ursprünglich war das Projekt für das Internet angelegt worden. "Es ist großartig, nun zu sehen, dass die Zeichnungen auch für den Stadtraum genutzt werden", sagt Klobouk. Sie hätten bereits viel positive Resonanz erhalten, auch einige Schulen hätten die Zeichnungen schon für Ausstellungen genutzt.

Es geht den Initiatoren der Kampagne darum, eigene Annahmen offensiv anzugehen, sie zu reflektieren und kritisch zu hinterfragen. Das gute Zusammenleben in München könne nur weiterhin gelingen, wenn die Menschen sich nicht von Vorurteilen leiten lassen, sondern offen auf die Neuankommenden zugehen, sagt Miriam Heigl.

Und eine solche Haltung zu befördern sei auch Aufgabe der Stadtverwaltung. Viele Ängste im Zusammenhang mit Flüchtlingen seien faktisch unbegründet. Und Geflüchtete seien nach wie vor Projektionsfläche für die Hetze der extremen Rechten, sagt Heigl. "Im Moment haben wir den Höhepunkt der medial geführten Flüchtlingsdebatte überschritten. Jetzt geht es darum, ein gutes Miteinander zu befördern und dieses gelingt leichter, je weniger Ängste und Vorurteile im Raum stehen." Und der Vorteil der Illustrationen sei, dass Bilder stärker wirken als reine Worte und Zahlen, sagt Klobouk.

Das Künstlerkollektiv Bildkorrektur hat auch noch weitere Pläne für die Zukunft. "Wir wollen die Idee auch noch weiterentwickeln", sagt Klobouk. Zudem habe das Goethe-Institut in Schweden, inspiriert durch die Aktion der Gruppe, Illustratoren aus Nordeuropa zu einem Austausch zum Thema Flüchtlinge und Ängste eingeladen.

© SZ vom 22.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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