30 Jahre Sub:Es war ein kollektives Coming-out

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Kundgebung gegen Homophobie in München, 2015. (Foto: Robert Haas)
  • Das Schwule Kommunikations- und Kulturzentrum München, kurz SUB, feiert 30. Geburtstag.
  • Fragt man Schwule und Lesben, hat sich in der Stadt in den vergangenen 40 Jahren einiges für sie verbessert.

Von Silke Lode

Die Siebziger-, Achtzigerjahre - das fühlt sich kaum wie Geschichte an. Doch wenn man mit älteren Schwulen und Lesben spricht, dann wird schnell klar, dass sich die Stadtgesellschaft in diesen dreißig, vierzig Jahren aus ihrer Sicht von der Steinzeit in die Gegenwart bewegt hat. Mindestens.

In die Steinzeit fällt nach dieser Lesart auch die Gründung des Sub, das offiziell Schwules Kommunikations- und Kulturzentrum München heißt und an diesem Wochenende auf dem Hans-Sachs-Straßenfest 30. Geburtstag feiert. Das Sub hat das Gegenteil einer behüteten Kindheit hinter sich. Die damals alltägliche Diskriminierung von Homosexuellen ist heute kaum noch vorstellbar. Doch einige Erzählungen können schnell einen Eindruck vermitteln, wie es noch vor wenigen Jahrzehnten um das gesellschaftliche Klima gegenüber Schwulen und Lesben stand.

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"Als ich mit meinem Freund zusammenziehen wollte, ging das nicht", erinnert sich Guido Vael, fast 70, der sich bei der Aids-Hilfe, im Sub und über die Rosa Liste mit so langem Atem für die Schwulen eingesetzt hat, dass er 2009 von der Stadt die Medaille "München leuchtet" erhielt. "Der Besitzer meinte, die Wohnung sei mit zwei Männern überbelegt. In der identischen Wohnung drüber wohnte das Hausmeisterehepaar, da war das kein Problem."

Noch deutlicher wurde es, wenn Schwule Infostände in der Fußgängerzone aufbauten. "Wir wurden aufs Übelste beschimpft, das ging vom Anpöbeln bis zu Rufen nach Zwangsarbeit und Vergasung", erzählt Vael. Manfred Edinger, 57, der mit ihm an etlichen dieser Infotische stand, meint nur lapidar, dass solche Aktionen "nicht lustig" waren. "Sie waren aber auch ein Erfolgserlebnis - weil wir uns das getraut haben."

Ähnlich war es mit den ersten Demos, 1980 etwa beim ersten Münchner Christopher-Street-Day (CSD), der mehr Polizisten als Teilnehmer zählte. "Natürlich hatten wir Angst", sagt Edinger. "Aber für uns war klar: Da müssen wir durch."

In München und Bayern gab es einige besondere Themen, die Polizei zum Beispiel, die hier direkt dem Innenministerium unterstellt ist. Gewalt gegen Schwule war deshalb nach Meinung Edingers, der beim Sub viele Jahre ein Anti-Gewalt-Projekt betreut hat, ein Thema, das aus politischen Gründen tabu war: "Im Polizeibericht war immer von normalen Überfällen die Rede, die jedem passieren können - auch wenn 17 Schläger vor einer Schwulenkneipe standen."

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Ein anderes spezifisch bayerisches Problem kam in der Person des CSU-Politikers Peter Gauweiler daher. [...] Er wollte Aids mit den einschneidenden Maßnahmen des damaligen Bundesseuchengesetzes bekämpfen. Gauweiler wollte nicht nur bestimmte Personengruppen zu Zwangstests schicken. Sondern er wollte als ,Ultima Ratio' HIV-Infizierte auf gerichtliche Anordnung sogar ,in Krankenhäusern oder vergleichbaren Einrichtungen' absondern, bis ihre ,Sozialprognosen' sich verbessert hätten. Die anderen Bundesländer trugen die Ausweitung des Seuchengesetzes auf Aids zwar nicht mit. Doch das bayerische Kabinett verabschiedete 1987 einen eigenen Maßnahmenkatalog."

"Gauweilers Weg war für uns hart und schockierend", sagt Edinger. "Aber er hat auch eine breite Protestbewegung hervorgebracht, und wir haben viel Solidarität erfahren." Letztlich ging es Gauweiler ähnlich wie der Kirche mit ihren Verlautbarungen gegen Homosexualität - ungewollt haben beide die Schwulenbewegung vorangebracht. Aber längst nicht nur der Vatikan, Politik, Polizei und Pöbler hatten oder haben ein Problem mit Schwulen. Guido Vael erzählt, dass er 1991 mit einer Kleinanzeige in der Süddeutschen Zeitung für das "Rosa Telefon" werben wollte, eine Telefonberatung für Männer. "Die SZ hat sich geweigert, das zu drucken, weil das Wort schwul darin vorkam", erinnert sich Vael.

Das Sub war zu dieser Zeit bereits symbolträchtig umgezogen. Zunächst war das Schwulenzentrum in den Räumen der Aids-Hilfe in einem Hinterhof an der Müllerstraße 44 untergekommen. Während der Vermieter hier nicht einmal erlaubte, vorne an der Straße das Wort "schwul" aufs Klingelschild zu schreiben, zog der "Infoladen für Männer" kurz darauf ins Haus Nummer 38: "Vorderhaus, Schaufenster auf drei Seiten, alle fünf Minuten fuhr die Tram vorbei", erzählt Edinger, der zu den Mitgründern des Sub gehört.

Es war wie ein kollektives Coming-out, ein Schritt in die Öffentlichkeit. In eine Öffentlichkeit allerdings, die noch einige Zeit brauchen sollte, bis sie Schwule, Lesben und noch viel später anderen Spielarten der sexuellen Identität als Bereicherung zu verstehen begann.

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Doch die kreativen Lichtsignale werden nur für kurze Zeit zu sehen sein - und jedes Jahr aufs neue installiert.

Christian Ude war in der Politik bundesweit ein echter Pionier, als er 1994 - frisch gewählt als Münchner Oberbürgermeister - erstmals die Schirmherrschaft für den Münchner CSD übernahm und seither bei den Paraden vorneweg lief, oft zusammen mit seiner Frau.

Wenn man ihn heute nach dem Warum fragt, gibt er eine ziemlich knappe Antwort: "Weil ich mich immer für Minderheitenschutz und -rechte eingesetzt habe." Selbst in der SPD stieß er damit nicht nur auf Begeisterung. "Ich wurde nicht kritisiert oder gerügt, aber mahnend darauf hingewiesen, dass konservative Leute in der eigenen Wählerschaft das missverstehen könnten", berichtet Ude.

Inzwischen ist selbst die CSU beim CSD dabei

Während Politiker sich meist mit direkter Kritik zurückhielten, bekam Ude "säckeweise Post von fundamentalistischen Christen", wie er erzählt. "Die einen sagten, es sei eine Auflehnung gegen Gottes Wille und Gesetz, andere gaben sich tolerant und sagten, Schwule seien krank, die müsse man zum Arzt schicken, nicht auf die Straße."

Nach drei bis vier Jahren hörten die Hassbrief auf, inzwischen ist selbst die CSU beim CSD dabei. Weit über Udes Amtsende hinaus geblieben ist ihm die Dankbarkeit der Szene. Der schwule Taxifahrer etwa, der Udes Gespräch mit der SZ für diesen Artikel mit anhörte, ließ ihn im Anschluss nicht bezahlen.

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Das Sub ist derweil längst wieder umgezogen, an die Müllerstraße 14. Gegenüber steht der Nobelwohnturm "The Seven". Willkommen in der Mitte der Gesellschaft. Den Weg in die Mitte hat das Sub den Schwulen mit geebnet: "Allein weil es da war, weil es sichtbar war, weil es Platz für viele Gruppen geboten hat und die Schwulen sich so organisieren konnten", sagt Edinger.

"Die Arbeit des Sub strahlt natürlich nach außen", meint auch Guido Vael. Trotzdem zieht er wie viele Protagonisten der Schwulenbewegung eine kritische Bilanz: "Wir haben eine vollständige Assimilation erreicht. Wir sind jetzt brav, wir heiraten, wollen jetzt noch Kinder adoptieren. Wir erfahren Toleranz, klar. Aber ist das auch Akzeptanz?" Guido Vael zumindest hat da immer noch seine Zweifel.

Anmerkung der Redaktion: Die SZ hat sich dazu entschieden, den Text an einer Stelle zu ändern. Die Änderung vom 25.08.2016 ist durch Auslassungszeichen [...] und Kursivschrift kenntlich gemacht.

© SZ vom 17.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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