Integration:Start-up bringt Gastronomen und Flüchtlinge zusammen

Projekt Turning Tables, das Flüchtlinge in die Gastro vermittelt. Bayernkaserne.

Projekt Turning Tables, das Flüchtlinge in die Gastro vermittelt. Bayernkaserne. Bakar Mohamad bietet seine Süßkartoffel-Pfannkuchen an.

(Foto: Florian Peljak)

Die Gastronomie sucht händeringend Auszubildende, Flüchtlinge suchen Arbeit. "Turning Tables" will beiden Seiten helfen und vermittelt.

Von Christina Hertel

Sahel Moshref hat ein weißes Hemd an, eine blaue, schmale Krawatte, befestigt mit einer goldenen Nadel. Er trägt Tabletts voll mit Rhabarber-Erdbeersaft durch den Raum, fragt Leute aus der Personalabteilung vom Bayerischen Hof, von Ikea und vom Hilton-Hotel am Flughafen: "Darf ich Ihnen noch etwas zu trinken anbieten?" "Kann ich Ihnen noch etwas bringen?" Jedes Mal lächelt er. Er will alles richtig machen.

Moshref möchte bei einem dieser Unternehmen eine Ausbildung beginnen. Die Personalleiter wirken zwar weniger nervös, aber auch sie haben ein Interesse: Azubis finden. Dafür kamen sie kürzlich an einem Nachmittag in die Bayernkaserne, einer großen Flüchtlingsunterkunft im Münchner Norden. 25 Flüchtlinge, die meisten in schwarzen Kochwesten, servieren ihnen Süßkartoffelpfannkuchen und stellen viele Fragen. Und die Personaler erzählen von ihren Unternehmen.

Die Frau, die das Treffen arrangierte, heißt Amy Philippen, 32. Sie sagt, sie sei wegen der Liebe von England nach Deutschland gezogen. 2015 war das, als Männer, Frauen, Junge, Alte jeden Tag Hunderte Flüchtlinge am Münchner Hauptbahnhof mit Kuscheltieren und Welcome-Schildern begrüßten.

Philippen hat internationale Entwicklungshilfe studiert. Sie glaubt, dass sich die Gesellschaft nicht nur um Unterkunft und Lebensmittel kümmern muss, sondern auch um langfristige Integration. "Ich glaube, es gibt zwei Dinge, die die Menschen verbinden: Essen und Arbeit", sagt Philippen. Also hat sie das Start-up "Turning Tables" gegründet, mit dem sie Flüchtlingen einen Ausbildungsplatz in der Gastronomie vermitteln möchte.

Projekt Turning Tables, das Flüchtlinge in die Gastro vermittelt. Bayernkaserne.

Die Engländerin Amy Philippen kam 2015 nach Deutschland, als jeden Tag Hunderte Flüchtlinge in München ankamen. Jetzt will sie den Menschen eine dauerhafte Perspektive verschaffen.

(Foto: Florian Peljak)

In kaum einer Branche fehlen so viele Auszubildende wie in der Gastronomie. In München waren laut Arbeitsagentur im April zwei Drittel der gemeldeten Ausbildungsstellen nicht besetzt. Gleichzeitig schafft eine Ausbildung vielen Flüchtlingen eine Perspektive, in Deutschland bleiben zu können. Solange die Ausbildung dauert, erhalten Flüchtlinge eine Duldung - sofern sie kein Arbeitsverbot erteilt bekommen haben, nicht wegen einer Straftat verurteilt wurden und die Behörden keine Maßnahmen zur Abschiebung eingeleitet haben. Nach ihrem Abschluss können sie noch zwei Jahre in dem Beruf arbeiten.

Sahel Moshref kennt diese Regelung. Sein größtes Ziel sei, in Deutschland bleiben zu können. Er erzählt, dass er aus Kundus kommt, wo auch deutsche Soldaten im Einsatz waren. Im September 2015 besetzten die Taliban die Stadt, zündeten die Polizeistation an, ließen Hunderte Häftlinge aus dem Gefängnis.

Zwei Monate später sei er in München angekommen, sagt Moshref. Seitdem arbeitete er in einer Pommesbude, bei einem asiatischen Imbiss und beim Metzger, Leberkas-Semmeln belegen. "In Afghanistan war ich Apotheker. Ich muss hier auch etwas machen." Und mit "etwas" meint er: erfolgreich sein, viel Geld verdienen.

Sahel Moshref will unbedingt zum Bayerischen Hof

Er würde gerne eine Ausbildung zum Hotelfachmann beginnen, weil es ihm Spaß mache, Kunden zu bedienen. Die Caritas schickte ihn zu Turning Tables. Im April stellte er sich dem Start-up vor. Danach wählte Philippen ihn und 24 weitere Flüchtlinge aus. Ihr Geschäftsmodell sieht vor, dass sie in der Zukunft Vermittlungsprovision von den Unternehmen bekommt. Derzeit finanziert sich das Start-up noch durch Spenden und staatliche Fördermittel.

Sahel Moshref hat sich zu einer Frau gesetzt, die sich als Mitarbeiterin der Personalabteilung des Bayerischen Hofs vorstellt. Sie erzählt, dass es Dienstwohnungen gibt, sagt, dass ihr Hotel ein feines Haus sei. Nach ein paar Minuten sollen die Flüchtlinge eigentlich den Platz wechseln, zum nächsten Unternehmen gehen, aber Sahel Moshref bleibt einfach sitzen. Er will nirgends anders hin, meint er später. Seine Familie sei früher reich gewesen, sie habe einen Chauffeur gehabt. Heute müsse er seinen Eltern Geld schicken, das er mit seinen Jobs in den Imbissbuden verdient.

Projekt Turning Tables, das Flüchtlinge in die Gastro vermittelt. Bayernkaserne.

Projekt Turning Tables, das Flüchtlinge in die Gastro vermittelt. Bayernkaserne. Couscous-Salat und Fleischpflanzerl wird auf die Teller angerichtet

(Foto: Florian Peljak)

Von Juni an machen er und die anderen Flüchtlinge zwei Monate lang einen Vorbereitungskurs bei Turning Tables. "Wir bringen ihnen erste Basics im Service bei. Hygienevorschriften, wie man Gemüse richtig schneidet, wie die Ausbildung abläuft", sagt Sandra Michaela Herman, eine Hotelmanagerin, die als Dozentin den Kurs leitet.

Sie will mit den Flüchtlingen auf den Markt gehen, eine Kaffeerösterei besuchen und mit ihnen in der Küche stehen. Ein großer Teil des Kurses ist Deutschunterricht. Die Flüchtlinge sollen dort Vokabeln lernen, die sie in der Küche und im Service brauchen. Nach acht Wochen sollen sie ein Praktikum in einem Hotel, Restaurant, einer Kantine oder Gastwirtschaft beginnen. Und dann eine Ausbildung zum Beispiel als Koch oder Hotelfachfrau.

Ein Personaler ist Patrick Mühlbauer vom Hilton-Hotel am Flughafen. 551 Zimmer, 30 Konferenzräume, 100 Schritte zum Flugzeug - so beschreibt er es den Flüchtlingen. "Unser Hotel ist sehr, sehr beliebt und wird immer beliebter." Warum er ausgerechnet in einer Flüchtlingsunterkunft Auszubildende sucht? Sein Hotel, sagt er, sei stets auf der Suche nach neuen Einflüssen, nach engagierten Mitarbeitern. Keine Schwierigkeiten, überhaupt Azubis zu finden? Mühlbauer schüttelt den Kopf. "Wir suchen nach Diversität."

Ob es für Sahel Moshref überhaupt klappt mit dem Arbeiten in Deutschland, ist ungewiss. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat seinen Asylantrag abgelehnt. Er klagte dagegen. In ein paar Monaten, glaubt er, kommt ein Brief mit dem Arbeitsverbot - wenn es nicht vorher mit dem Ausbildungsplatz klappt. Aber er gibt sich zuversichtlich: "Ich bin ein Kämpfer. Ich kann hier etwas schaffen."

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