Hilfe fürs Haustier:Wenn Bello einen Herzschrittmacher braucht

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Abhören mit dem Stethoskop ist nur der erste Handgriff. (Foto: Catherina Hess)

Gerhard Wess ist Kardiologe für Hunde und Katzen, er arbeitet mit modernster Technik. Ein Besuch in der Kleintierklinik der Ludwig-Maximilians-Universität.

Von Martina Scherf

Draußen kommt gerade Uschi Ackermann mit "Sir Henry" vorbei. Die Witwe von Feinkost-König Gerd Käfer begrüßt Gerhard Wess überschwänglich, mit einer Tüte Marshmallows und Küsschen. Sir Henry ist hier Stammkunde, er kommt regelmäßig zum Herz-Check. Vor Kurzem wurde dem Mops nebenan in der Onkologie ein Tumor entfernt, "und schauen Sie nur, wie gut es ihm geht", sagt sein Frauchen überglücklich.

Es gibt in der Kleintierklinik der Ludwig-Maximilians-Universität am Englischen Garten fast alle Abteilungen, die es an einem Krankenhaus der Humanmedizin auch gibt, Onkologie, Neurologie, Dermatologie, Innere Medizin und eine Intensivstation, und seit Neuestem gehört auch noch eine Adipositas-Sprechstunde für die wachsende Zahl von übergewichtigen Hunden und Katzen zum Angebot. Aber das ist nicht Gerhard Wess' Thema. Er kümmert sich um kranke Herzen.

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Der Tiermediziner leitet die Kardiologie der Kleintierklinik. Rhythmusstörungen, kaputte Herzklappen, verkalkte Arterien, all das gibt es auch beim Tier. Wess, 48, operiert und therapiert, entwickelt mit der Industrie zusammen neue Medikamente, forscht zu Erbkrankheiten und Rassebesonderheiten. Ab und zu kommt mal ein exotisches Tier wie der Waschbär aus dem Rheinland vor ein paar Monaten, dem hat der Kardiologe einen Herzschrittmacher eingesetzt. Auch die Herzen von Leguanen hat er für eine medizinische Studie schon untersucht. Aber die Mehrzahl seiner Patienten sind Hunde jeden Alters und jeder Größe, oder Katzen. Sie kommen aus ganz Deutschland und aus dem Ausland.

Während manche verwöhnte Möpse und Kater zum Abspecken kommen, musste der sechs Monate alte Chihuahua, der jetzt auf Wess' Behandlungstisch liegt, erst noch Gewicht zulegen. "Chester" wurde mit einem Herzfehler geboren und ist heute zum dritten Mal da. Er wiegt jetzt 2800 Gramm und sollte kräftig genug sein, damit man ihn operieren kann, sagt der Arzt und nimmt den Winzling hoch. Chester schmiegt sich vertrauensvoll in seinen Arm. Doch die Operation ist gefährlich. Wess will eine verklebte Herzklappe mit einem Ballonkatheter weiten, aber die Arterie des Chihuahuas ist extrem dünn.

"Wenn wir allerdings nicht operieren, wird der Kleine keine lange Lebenserwartung mehr haben", erklärt Wess ganz ruhig und sachlich der besorgten Hundebesitzerin. Vielleicht noch ein Jahr, dann würde sich im Körper des Tieres Wasser ansammeln und sein Leiden zum Tod führen. Gelingt der Eingriff, ist Chester gesund. "Er kann aber auch bei der OP sterben, das muss ich Ihnen leider sagen." Die Besitzerin nickt tapfer. Sie ist aus Franken angereist, übernachtet mit ihrem Schützling in einer Pension. Am nächsten Morgen soll er operiert werden.

2000 Euro kostet so eine Operation in etwa. 900 bis 1500 Euro bezahlt man für einen Chihuahua vom Züchter. Aber für Tierliebhaber, die in Wess' Sprechstunde kommen, spielen solche Überlegungen keine Rolle mehr. Sie haben sich entschieden, alles zu tun, um das Leben ihres Lieblings zu retten. "Für viele ist ihr Haustier ein Familienmitglied", sagt Wess, "da entsteht eine enge Bindung, vor allem bei Menschen, die keine Kinder haben."

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Dann fließen oft Tränen. Weil Emotionen die Halter häufig übermannen, dürfen sie grundsätzlich nicht mit in den Operationssaal. "Glückstränen nach einer gelungenen OP sind mir natürlich lieber", sagt der Doktor und lächelt, "sie kommen ja auch viel häufiger vor." Davon zeugen die vielen Fotos von Dackeln, Schäferhunden, Dalmatinern, Collies und Dobermännern im Flur und in den Behandlungszimmern, mit Grüßen von dankbaren Herrchen und Frauchen.

Wess lässt sich seine eigenen Gefühle als Arzt nicht anmerken, aber gerade, wenn er seine Patienten und ihre Besitzer öfter sieht, gehe ihm deren Schicksal durchaus nahe, sagt er. "Am schlimmsten ist es, wenn Kinder mitkommen." Zu seinen Patienten gehören viele Prominente, er hat auch schon den Schnauzer des thailändischen Königs, der eine Villa am Starnberger See hat, behandelt und den Hund des Schlagerduos Marianne und Michael.

Das Hunde-Wartezimmer hat sich inzwischen gefüllt - Katzen haben ihr eigenes Zimmer, es würde wohl kaum gut gehen, beide in einem Raum. Auf der Theke steht neben dem Anmeldebogen ein Glas mit Leckerli. Die Tiere sind ruhig, als ob sie sich in ihr Schicksal ergäben. Eine große, schokoladenbraune Hündin mit markantem Gesicht ist als nächstes dran, ein Australian Kelpie. Geduldig lässt sie sich die Ultraschallsonden anlegen, Frauchen hält ihren Kopf. Die Hündin ist neun Jahre alt, also etwa 63 Menschenjahre, und leidet an Herzinsuffizienz. Wess studiert auf dem Monitor in aller Ruhe, wie das Herz Blut durch Arterien und Herzklappen pumpt. "Zum Menschen sagt man: Tief einatmen, ausatmen und dann Atem anhalten", sagt er, "aber das geht beim Hund nicht, deshalb wackeln die Bilder mehr." Da braucht es den geschulten Blick. Das Ultraschallgerät ist vom Feinsten, es könnte auch in Großhadern oder im Herzzentrum stehen, sagt Wess. 160 Euro kostet eine Untersuchung.

"Soweit alles in Ordnung", stellt er dann fest - zur sichtlichen Erleichterung der Besitzerin. Das Medikament, das Wess dem Tier vor einem Jahr verordnet hat, stabilisiert sein Herz, eine OP ist nicht nötig. "Wir haben diese Woche noch einen Termin für einen geriatrischen Check bei unserem Tierarzt", antwortet die Frau aus Augsburg, "das wird ja ab sechs Jahren empfohlen. Sollen wir da jetzt noch hingehen?" Er wolle dem Kollegen nicht das Geschäft nehmen, antwortet Wess vorsichtig, aber mit der Herz-Ultraschall und dem Blutbild, das er von dem Tier erstellt, "bleibt eigentlich nicht mehr viel zu untersuchen". Einer seiner Studenten putzt der Hündin noch das Näschen, dann darf sie gehen. Bis zur Kontrolle in einem Jahr.

Auf dem Ultraschallgerät studiert Gerhard Wess, wie das Herz Blut durch die Arterien pumpt. "Zum Menschen sagt man: Einatmen, ausatmen und dann Atem anhalten", sagt er, "das geht beim Hund nicht, deshalb wackeln die Bilder mehr." (Foto: Catherina Hess)

Wess und seine Mitarbeiter sammeln Blutproben und Daten von ihren Patienten zu Forschungszwecken. Das ist auch für die Industrie interessant, sagt Wess, um gezielt neue Medikamente zu entwickeln, "damit die Tierärzte nicht wie früher von den Pharmavertretern abhängig sind". Sein Spezialgebiet sind Dobermänner, die besonders häufig an schwachen Herzen leiden. Sollte er den vermuteten Gendefekt finden, sagt Wess, "wäre das auch für die Humanmedizin interessant".

Für eine Pause geht der Professor in den Garten der Klinik. Zwei Pferde stehen in der Koppel, aber das sind nicht seine Patienten. "Pferde haben kaum Herzprobleme", sagt er. Liegt es an der Bewegung? Man weiß es nicht. Zwei junge Frauen führen einen großen Berner Sennhund übers Gras, um seine Hüften haben sie ein Tragetuch geschlungen, die Hinterbeine knicken dem armen Kerl bei jedem Schritt weg. Es sieht erbärmlich aus. "Ist wohl ein Neurologie-Patient", vermutet Wess.

Der gebürtige Münchner hat selbst einen Kater zu Hause, und Tierarzt wollte er schon von Kind an werden. Es ist ein toller Beruf, dachte er, weil man es mit allen Tieren zu tun hat. Er hat dann an der Ludwig-Maximilians-Universität Veterinärmedizin studiert, war an Kliniken in Südafrika, in der Schweiz und in den USA, wo die Spezialisierung schon viel früher begonnen hat als in Deutschland. Was er dort sah, hat ihn fasziniert. Und so wurde er statt zum Allrounder ein gefragter Spezialist, der selbst Tierärzte zu Kardiologen ausbildet. Er hält Vorträge bei Kongressen in aller Welt und organisiert Workshops in Thailand oder Kuba, wo sich Fachgespräche mit einem angenehmen Strandaufenthalt verbinden lassen. Die Einnahmen aus solchen Veranstaltungen, sagt er, fließen in die Forschung.

Aber natürlich ist sein Job auch lukrativer als der eines Landtierarztes, der zudem Tag und Nacht im Einsatz ist. "Guten Kunden gibt man als niedergelassener Arzt ja schon mal seine Handynummer, dann rufen die aber auch rund um die Uhr an", sagt er. Seine eigenen Patienten kommen mit Termin.

Die Tierklinik am Englischen Garten ist einer der schönsten Arbeitsplätze in München, doch ihre Zeit läuft ab. 1790 als "Königliche Thier-Arzney-Schule" gegründet, muss sie einem Physikcampus weichen, ihr Umzug nach Oberschleißheim ist beschlossene Sache, trotz Protesten von Denkmalschützern. Dann werden nur noch der Name der Veterinärstraße, der alte Torbogen und die kleine Bibliothek an die Klinik erinnern. "Aber das wird hoffentlich noch eine Weile dauern", sagt Wess und wirkt recht entspannt. Dann muss er wieder rein, der nächste Patient wartet.

Am nächsten Nachmittag kommt eine Mail: Der kleine Chihuahua ist bei der Operation gestorben. "Er hat es leider nicht geschafft. Es war ein sehr trauriger Morgen, viele Tränen bei der Besitzerin", schreibt der Professor. Selbst er kann nicht jedes Leben retten.

© SZ vom 08.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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