Hilfe für Flüchtlinge:Wie München ein menschlicherer Ort wurde

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Der meist verwaiste Starnberger Flügelbahnhof soll abgerissen werden. Nun ist er einer der Hauptschauplätze der Flüchtlingskrise. (Foto: Getty Images)

500 Freiwillige empfangen Flüchtlinge am Hauptbahnhof, die Polizei gibt die Devise aus: "Wasserbecher statt Wasserwerfer". Vieles hat sich getan in dieser Woche in München - und manches könnte von Dauer sein.

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Die alte Schalterhalle am Starnberger Flügelbahnhof ist nie als ein Ort geplant worden, an dem Menschen länger verweilen. Genauso sah sie aus: karge Wände, keine Sitzgelegenheit, ein grauer, abgelatschter Boden. Bis Montag noch dachten Polizei und Regierung von Oberbayern, dieser Raum reiche aus, um die am Hauptbahnhof ankommenden Flüchtlinge zu registrieren und in die ihnen zugewiesenen Erstaufnahmeeinrichtungen zu schicken.

Dann aber kommt diese Woche und mit ihr die vielen Flüchtlinge. Sie sitzen und liegen am Boden, sie können nicht zur Toilette, haben kaum etwas zu essen. "So kann man Menschen doch nicht willkommen heißen", sagt eine freiwillige Helferin. Auf Initiative der Ehrenamtlichen gibt es nun Biertische und Bänke. Es gibt Wasser, Obst, warme Kleidung. Und es gibt Windeln für Kinder. Aus dem Ankunftszentrum ist ein menschlicherer Ort geworden - und das soll er auch bleiben.

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Anfangs packt jeder da an, wo er meint, am meisten gebraucht zu werden. Die einen klappern Geschäfte ab und besorgen Lebensmittel. Die anderen horten Deos und Shampoos. Die Münchner spenden und spenden - bis es keinen Platz mehr gibt. Spätestens am Dienstagnachmittag wird klar: Die Helfer müssen sich organisieren, sonst stehen sie sich gegenseitig im Weg. Nun haben sie eine Liste mit fast 500 Freiwilligen. In jeder Schicht sortieren sich die Ehrenamtlichen in Gruppen, zuständig für Kleidung, Essen oder Pressekontakte. Die Professionalisierung soll Frustration vorbeugen und die Helfer zu längerfristigem Engagement ermutigen.

"Auf Dauer ist das ehrenamtlich aber nicht zu stemmen"

Gegenüber den anderen Helfern hier hat Vaniessa Rashid am Montagabend einen Vorsprung gehabt. Im ersten Flüchtlingszug, der von Budapest nach München rollt, sitzt ein Grünen-Politiker aus Österreich und informiert umgehend seine Parteifreunde in Bayerns Landeshauptstadt. Seither schläft Rashid, die Integrationsbeauftragte in Ramersdorf-Perlach, wenig. Sie bleibt meist bis spät in die Nacht, geht tagsüber arbeiten und kommt im Anschluss wieder an den Flügelbahnhof.

Rashid, als Kind selbst mit ihren Eltern aus dem Nordirak geflüchtet, versucht Ordnung in das anfängliche Chaos zu bringen und wird so zu einer der Sprecherinnen der Helfer. "Auf Dauer ist das ehrenamtlich aber nicht zu stemmen", sagt sie nun. Daher werde sie sich langsam zurückziehen und am Wochenende mal so richtig ausschlafen. Die Stadt wird die Koordination der Helfer übernehmen.

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Vor allem viele junge Leute aus der linken Szene sind es, die mit der Versorgung der Flüchtlinge begonnen haben. Anfangs sind die meisten gekommen, um sie vor krakeelenden Neonazis zu schützen. Und dann? "Wir haben kapiert, dass wir hier gebraucht werden", sagt ein junger Mann aus der Antifa-Szene. Die ist gut organisiert, selbst einen Kühlschrank treiben die Linken auf. Er wird zum Symbol dafür, dass sie schnell viel auf die Beine stellen können.

Das merken auch die Polizisten und lassen sie gewähren, sie helfen ihnen sogar beim Tragen. Polizei und Antifa Hand in Hand? Die ungewöhnliche Allianz hält bis heute an. Und warum? Am Freitag steht einer der Helfer am Absperrgitter. Er sagt: "Wenn wir nicht hier sein dürften, würde sich die Regierung den Hass der Bevölkerung auf sich ziehen."

Polizisten sprechen von "Gänsehaut"

Wer illegal nach Deutschland reist, begeht eine Straftat. Wer eine Straftat begeht, wird von der Polizei verfolgt. So gesehen ist ihr Verhältnis zu den Flüchtlingen bislang eher belastet. Doch nach der Welle der Hilfsbereitschaft aus der Bevölkerung schwappt eine Welle der Begeisterung auch durch die Polizei. Ein Beamter spricht von "Gänsehaut", er ist dankbar, dass er dabei sein und helfen durfte. Und Polizeisprecher Thomas Baumann sagt strahlend: "Das ist das neue Image der Polizei: Wasserbecher statt Wasserwerfer."

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Freitag, kurz nach Mitternacht. In einem Lokal in der Stadtmitte diskutieren Menschen mit gedämpften Stimmen. Zwar ist die Lage am Bahnhof ruhig, doch die Bilder aus Ungarn, wo Flüchtlinge einen Zug stürmten und nun festsitzen, bewegt die Gruppe sichtlich. Sie wollen helfen, nicht erst darauf warten, dass die Flüchtlinge vielleicht irgendwann in München ankommen. Einige überlegen, jetzt am Wochenende nach Ungarn zu fahren und Menschen einfach mit dem Privatauto nach Bayern zu holen. Sie würden sich damit zu Schleusern machen, das wissen sie. Doch das Gefühl der Ohnmacht ist zu stark.

Macht haben Politiker, und von denen ist insbesondere Dieter Reiter nicht zu übersehen, selbst wenn er von Kamerateams und Helfern umringt ist. "Wenn man den Münchnern sagt, helft, dann helfen sie", sagt der Oberbürgermeister bei einem seiner Besuche am Bahnhof und bekommt Applaus. In Krisensituationen wie diesen wirkt Reiter entschlossen und zuversichtlich. Das scheint ansteckend zu sein. Auch Christoph Hillenbrand, Präsident der Regierung von Oberbayern, schaut vorbei, er hat sogar einen syrischen Dolmetscher dabei, will mit Flüchtlingen reden.

Wer hätte das noch vor ein, zwei Jahren gedacht, als die Bezirksregierung eher abweisend agiert hat, abschreckend gar? Nicht nur Reiter hat vor einem Jahr die Flüchtlingsthematik in München zur Chefsache erklärt und damit bei der Bevölkerung viel Respekt geerntet. Auch Hillenbrand ist öfter an vorderster Front zu sehen.

Aber auch bei den Münchnern hat sich etwas geändert. Im Frühjahr noch wollten laut Hilfsorganisationen nur wenige für Flüchtlinge spenden, jetzt sind alle Lager voll mit Kleidung, Windeln und Hygieneartikeln. Das Leid der Asylsuchenden ist ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt, die Verantwortlichen wollen die Hilfsbereitschaft nun besser kanalisieren. Freiwillige werden am Hauptbahnhof kaum mehr gebraucht, wohl aber in den Gemeinschaftsunterkünften, in denen sich ein Sozialarbeiter oftmals um 150 Bewohner kümmern muss. Dort aber leben die Flüchtlinge länger, und dort brauchen sie mehr Hilfe als am Hauptbahnhof.

Wie es dort weitergeht, weiß niemand. Sind Flüchtlinge im Zug oder nicht? Diese Frage stellt sich bei jeder Ankunft wieder. Zwar haben die Münchner Behörden Kontaktleute in Österreich und Ungarn, doch exakte Zahlen haben sie erst, wenn an der deutsch-österreichischen Grenze Bundespolizisten in den Zug gestiegen sind. Für eine bessere Information twittern nun Freiwillige in Wien unter "trainofhope HBF Wien", wie viele Flüchtlinge in jedem Zug nach Deutschland sitzen.

Allein am Freitag sind das bis zum Abend weitere 270.

Einen Überblick, wie Sie den Flüchtlingen helfen können, gibt es unter sz.de/asylhelfer

© SZ vom 05.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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