Haidhausen:Pokémon-Fieber am Bordeauxplatz flaut ab

Lesezeit: 2 min

  • In den Wochen nach Erscheinen der Handy-App im Sommer belagerten Pokémon-Jäger regelrecht den Bordeauxplatz.
  • Die Stadt zählte teilweise 240 Fans gleichzeitig und konnte wenig dagegen tun.
  • Mit der Kälte hat sich die Lage seitdem merklich beruhigt.

Von Johannes Hirschlach, Haidhausen

Auf dem Bordeauxplatz verstecken sie sich überall. Hinter den Bäumen, auf den Trambahngleisen, im abgelassenen Brunnenbecken. Kleine Monster tummeln sich in der virtuellen Spielwelt von "Pokémon Go" in Haidhausen. Die Nutzer sehen "Raupis", "Pikachus" und "Taubsis" auf ihrem Smartphone auftauchen, das über die Handykamera die Umgebung wiedergibt - Augmented Reality nennt sich die Verknüpfung von Spielwelt und Wirklichkeit. Das Gelände rund um den "Brunnen mit jagdbaren Tieren" ist ein Hotspot, an dem sich besonders viele Pokémons aufspüren lassen. Einzig die Jäger fehlen an einem Dezemberabend bei kalten zwei Grad Celsius.

Die Lage am Bordeauxplatz hat sich im Vergleich zum vergangenen Sommer merklich beruhigt, in den Wochen nach Erscheinen der Handy-App hatten Pokémon-Jäger das Areal bis spät in die Nacht regelrecht belagert. Nach Zählungen der Stadt tummelten sich bis zu 240 Personen gleichzeitig auf dem Platz und brachten allerhand Equipment mit: Bierbankgarnituren, Campingstühle, Kühlboxen. Alles für ein paar gemütliche Stunden am Bordeauxplatz.

Bei einigen Anwohnern lagen nach kurzer Zeit die Nerven blank: Sie riefen die Polizei wegen Ruhestörung. Die Stadtratsfraktion FDP-Hut-Piraten nahm die Beschwerden Ende Juli zum Anlass, Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) wegen der Pokémon-Go-Thematik auf den Zahn zu fühlen. "Welche Möglichkeiten hat die Stadt München, um durch Pokémon Go verursachte Unruhe zu verhindern?", wollten die fünf Stadträte um Fraktionsführer Michael Mattar (FDP) in einer Anfrage vom Rathauschef wissen. Die Auskunft lautet in aller Kürze: wenige bis keine.

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Zumindest, was den Urheber betrifft. Denn der Software-Konzern "Niantic", Entwickler von Pokémon Go, könne zwar auf Bitte hin bestimmte Hotspots, sogenannte "Pokéstops", entfernen, schreibt Kreisverwaltungsreferent Thomas Böhle in seiner Antwort, die jetzt in der Rathaus-Umschau veröffentlicht wurde. Doch eine rechtliche Möglichkeit, "den Spielentwickler zu verpflichten, das Spiel an bestimmten Orten im öffentlichen Raum zu deaktivieren, besteht zumindest derzeit nicht". Ohnehin sei es "grundsätzlich nicht verboten", sich am Bordeauxplatz zu verabreden oder sich dort aufzuhalten. Erst bei Ordnungswidrigkeiten könne die Polizei eingreifen.

Das allerdings sei nicht nötig gewesen, erklärt die Pressestelle des Polizeipräsidiums München. Zwar seien neun Mal im Zusammenhang mit Pokémon Go Polizisten zum Bordeauxplatz gerufen worden, zuletzt im September. Die Beamten mussten jedoch keinerlei Platzverweise aussprechen oder gar Anzeigen aufnehmen. Auch die in der Stadtratsanfrage angedeuteten Fälle von Hausfriedensbruch konnte die Polizei nicht feststellen. Nach Aussage Böhles besitze die Software "genügend Reichweite, um Pokémon außerhalb von Häusern oder privaten Grundstücken zu fangen". Antragsteller Mattar sieht die Sache mittlerweile auch als erledigt an: "Das Spiel ist völlig aus der Mode gekommen."

Rund um den Bordeauxplatz bestätigen das auch die Anwohner. "Mit der Kälte hat's aufgehört", sagt Buchhändlerin Wilma Horne, lustig sei der Auflauf im Sommer aber schon gewesen. Tauchte ein besonderes Pokémon in den Smartphones auf, "dann san's g'rannt wie die Lemminge", erinnert sich Hubert Bäuml, der in einer Weinhandlung nebenan Kaffee zubereitet.

Um die Situation unter Kontrolle zu behalten, hatten Mitarbeiter des Allparteilichen Konfliktmanagements im Sozialreferat (Akim) den Ort elf Mal inspiziert. Die Stimmung sei "stets angenehm und friedlich", der Geräuschpegel im Verhältnis zur Menschenmenge "nicht auffällig" gewesen. Für die kommende Zeit rechnet das Kreisverwaltungsreferat damit, dass die kalte Jahreszeit und nachlassendes Interesse das Phänomen beenden werden.

Reinhard Wirnharter verkauft seit einem Monat Christbäume am Bordeauxplatz, ganz verflogen sei der Trend aber noch nicht: "An warmen Tagen und am Wochenende sind immer noch 40 Leute da". Die Polizei fährt wegen Pokémon inzwischen keine Streifen mehr. Dennoch behält man den Smartphone-Spielemarkt im Blick, sagt Polizeisprecher Florian Hirschauer: "Es stellt sich die Frage, was an neuen Spielen nachkommt." Am Donnerstag erschien etwa das lange erwartete "Super Mario Run" fürs iPhone - ohne Augmented Reality, aber dennoch mit ausreichend Potenzial für einen neuen Trend.

© SZ vom 17.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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