Pokémon Go:Eine Woche Pokémon, eine Woche Wahnsinn

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Pokémon im Wandel der Zeiten: die rote Edition auf dem Game Boy Color und das Smartphone mit Pokémon Go. (Foto: dpa)

Wenn Staubsaugerroboter Eier ausbrüten und sich Jugendliche in Schießübungen verirren, dann ist klar: Pokémon Go ist mehr als nur ein neues Smartphone-Spiel.

Von David Pfeifer

Eine knappe Woche sind die Pokémon in den deutschen Städten nun los, und seitdem ist einiges passiert. Der pikachugelbe Spiegel-Titel vom Samstag etwa widmete sich bei genauerem Hinsehen zwar der Zika-Mücke, doch die Überschrift hätte auch gut zu den Pokémon gepasst: "Das gefährlichste Tier der Welt" - so wurden die virtuellen Monster seit ihrer Ankunft ja wahrgenommen.

Pokémon verirrten sich in Gedenkstätten, vor Sehenswürdigkeiten formierten sich ungewöhnlich viele junge Menschen und Nachrichtenagenturen berichteten über vom Bundesfamilienministerium herausgegebene Verhaltensregeln. Natürlich wurde auch vor Datenklau und der Installation von Trojanern gewarnt. Zeit für einen Überblick über das, was die Pokémons auf den Straßen in Deutschland und anderswo in den vergangenen Tagen ausgelöst haben.

Zombie-Apokalypse in München

Das Ziel des Herstellers ist es offensichtlich, den Kindern mit Kleinbeträgen am Ende doch reichlich Geld aus der Tasche zu ziehen, auch wenn der Einstieg zunächst kostenlos ist. Aus dem Drogenmilieu ist die Technik bekannt, erst mal eine kleine Dosis herzuschenken und dann Kasse zu machen, wenn die Nutzer am Stoff hängen.

Und viele hängen schon dran; so sah man dieser Tage am Patentamt in München, wie sich Jugendliche in Banden organisierten, um virtuelle Monster zu fangen. Gelegentlich gestört von angefixten Erwachsenen, die so zu tun versuchten, als würden sie nach dem Weg suchen. Über dem Müllerschen Volksbad schraubte sich eine Arena in den Himmel, die man freilich nur auf dem Bildschirm sah. Der Englische Garten lud quasi zur Pokémon-Safari ein, was dazu führte, dass die herumirrenden Jäger von Weitem so aussahen, als sei die Zombie-Apokalypse über die Stadt gekommen. Jugendliche wurden beim Spielen beklaut, was niemanden wundert, weil man auch Erwachsenen ihre Kleidung im Gehen abnehmen könnte, solange man sie nur nicht beim Monstersuchen stört.

Außerdem warben Restaurants mit "Pokéstops", also Stellen, an denen viel zu holen sei. Ein Geschäftsmodell der Zukunft könnten allerdings auch Smartphone-Tankstellen sein, denn was die Pokémon vor allem zu fressen scheinen, ist nicht das Taschengeld, sondern die Akku-Laufzeit.

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"Dies ist keine Arena!"

Drei Teenager schlichen sich in der Lüneburger Heide auf einen Truppenübungsplatz der Bundeswehr, weil ihnen dort neue Monster angezeigt wurden; ein ziviler Wachdienst erwischte sie, zu dieser Zeit wurde auf dem Platz mit scharfer Munition geschossen. Es gab darüber hinaus einige Anzeigen, vor allem wegen Verkehrsordnungswidrigkeiten. In Neu-Ulm suchte ein 18-Jähriger nach virtuellen Viechern und fand ein sehr real kopulierendes Paar in einem Gebüsch. In diesem Fall ging die Anzeige an das Paar - wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses.

Es häufen sich zudem die Fotos von Schildern, die Grundbesitzer vor ihren Gärten anbringen: Dies ist keine Arena! Dass man Pokémon-Spieler aber auch mit offenen Armen empfangen kann, zeigt die anglikanische Kirche von England: Die rief ihre Gemeinden dazu auf, Spieler in die Gotteshäuser zu lassen. Dies sei eine "großartige Gelegenheit, Menschen aus ihrer Umgebung zu treffen, die normalerweise nicht in Kirchen gehen". In Birmingham steht vor der Kirche nun ein Schild mit der Botschaft: "Jesus sind Pokémon-Spieler wichtig".

Der Wetterbericht für Samstag und Sonntag war vielversprechend, Eltern freuten sich bereits darüber, dass ihre Kinder plötzlich von selber ausgedehnte Spaziergänge, Wanderungen oder Fahrradtouren vorschlugen. Man konnte also darauf vorbereitet sein, dass einem Smartphone-Lemminge zuhauf vor die Füße oder die Räder laufen würden.

Doch dann haben die kleinen Monster am Wochenende doch keine Schneise der Verwüstung, sondern der Ermüdung durch die Großstädte geschlagen. Abwechselnd stürzte die App oder der Server ab. Waren unter der Woche überall in den Städten Spontanversammlungen zu beobachten, die an Happenings aus den 1970er-Jahren erinnerten, konnte man am Sonntag in den Biergärten und Straßencafés Verzweifelte beobachten, die trübsinnig auf ihrem Bildschirm herumtippten, um wieder in die Parallelwelt zu schlüpfen, während das Getränk vor ihnen ermattet die letzte Kohlensäure in die Sommersonne verpuffen ließ.

Plattenspieler als Brutmaschinen

Im Internet tat sich dieser Tage das, was sich da gerne tut: Der Wahnsinn ging in die Breite. Es gab praktische Anleitungen zu sehen, wie man Eier ausbrütet (hauptsächlich geht es bei dem Spiel darum, kleine Monster zu sammeln, diese zu entwickeln und im Kampf gegeneinander antreten zu lassen). Zum Eierausbrüten muss man einige Kilometer zurücklegen, das ist eigentlich eine schöne Sache, weil die Kinder so zum Spielen vor die Tür kommen - allerdings haben sich bereits einige Nerds neue Wege ausgedacht, diese Strapaze zu umgehen.

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So können Besitzer eines Plattenspielers das Smartphone auf den Plattenteller legen und im Kreis laufen lassen. Oder es ganz einfach in die Speichen eines Fahrrads klemmen, das Fahrrad auf den Sattel stellen und mit der Hand gemütlich das Pedal drehen, bis das Ei schlüpft. Auch Staubsaugerroboter sollen sehr gute Dienste beim Eierbrüten tun.

Spielen im Büro? Keine gute Idee

Anfang der Woche lief "Pokémon Go" immer noch nicht wirklich ruckelfrei, was nun wirklich keine Katastrophe ist. Vielleicht sollte an dieser Stelle mal davor gewarnt werden, am Arbeitsplatz zu spielen. Das ist zwar nicht ganz so gefährlich wie im Straßenverkehr, aber abmahnwürdig allemal. Es kann nicht mehr lange dauern, bis die ersten Kündigungen ausgesprochen werden.

Auch der Brunnen vor dem Hochhaus, in dem die Süddeutsche Zeitung hergestellt wird, ist eine "Arena". Immerhin hat sie schon Level 7 erreicht, es muss also doch einige Kollegen geben, die trainierte Pokémon dort gegeneinander haben antreten lassen. Alles der Recherche wegen, natürlich.

© SZ vom 19.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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