Gastronomie in München:Wo das Glas Leitungswasser zum Politikum wird

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Warum kostet Leitungswasser in Münchener Restaurants überhaupt Geld? (Foto: dpa)

Sollten Münchner Gastronomen für etwas, das sie fast nichts kostet, Geld verlangen?

Von Pia Ratzesberger, München

Es ist heiß in der Stadt, 29 Grad, man kann kaum einem in die Augen sehen. Die Menschen tragen Sonnenbrille. Die Obsthändler verkaufen halbe Wassermelonen, vor den Cafés sind die Tische besetzt, auch wenn es erst mittags ist und vor vielen der Gäste steht ein Glas Wasser. Mit dem verhält es sich manchmal wie mit einem großen Bauprojekt, man weiß nie so genau, wie viel es am Ende kosten wird - denn in manchen Münchner Cafés verlangen die Kellner keinen Cent dafür, in anderen doch. Nur, warum kostet Leitungswasser überhaupt Geld?

Erst Anfang des Jahres waren die Wassergläser ein Thema in Brüssel, im Februar hatte die Europäische Kommission eine Reform zum Trinkwasser vorgeschlagen. Bei der geht es vor allem darum, dass alle Europäer ein Recht auf sauberes Trinkwasser haben sollen, am Rande empfahl der Vizepräsident Frans Timmermans aber auch den Restaurants, dass sie Wasser kostenlos anbieten sollten: "Als nette Geste, wir zwingen sie nicht dazu. Aber es wird für die Kunden bei ihrer Entscheidung sicher eine Rolle spielen, wo sie ihr Bier oder ihr Wasser zu sich nehmen."

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"Ich muss ja auch Umsatz machen"

Die Vermutung von Herrn Timmermans bestätigt sich in einem kleinen Café nahe der Ludwigsbrücke. Der Inhaber des Rosi steht gerade im T-Shirt an seiner Theke, unter den vielen Glühbirnen im Laden sitzt heute keiner, seine Gäste sonnen sich draußen. Ein Paar trinkt auf einer der Holzbänke zwei Gläser Wasser, für die werden sie später nichts bezahlen müssen - Christian Arz hat seine Karte wieder umgeschrieben. "Viele haben den Preis nicht verstanden", sagt er. Bis vor ein paar Wochen nämlich stand auf seiner Karte neben den anderen Getränken ein Glas Leitungswasser für einen Euro. Als er das vor etwa einem halben Jahr draufgeschrieben hatte, begannen die Kunden nachzufragen. Warum Wasser aus dem Hahn Geld koste? Arz erklärte ihnen dann, dass er zum Kaffee oder zum Wein nach wie vor kostenlos ein Glas serviere, aber er es sich nicht leisten könne, dass Menschen nur Leitungswasser bestellten. "Ich muss ja auch Umsatz machen."

Eine Besitzerin eines Cafés in Haidhausen sagt ebenfalls, sie habe so wenige Tische und eine so hohe Miete - sie müsse in einer Stadt wie München Geld für Wasser verlangen, das fülle schließlich auch jemand ab, bringe es an den Tisch, spüle später das Glas. Fragt man beim Hotel- und Gaststättenverband Bayern nach, sieht man die Sache mit dem Wasser dort anders als in Brüssel, man empfehle sogar, Geld für Leitungswasser zu verlangen. Es sei nicht zu unterschätzen, wie viele Menschen in ein Café kämen und zwei Stunden nichts anderes bestellten als ein Wasser.

Christian Arz aber hat sich für den Rat von Timmermans entschieden, er hat das Wasser von der Karte genommen, er wollte keinen Stress mehr: "Was willste machen." Das halbe Jahr, in dem Wasser bei ihm Geld kostete, habe zudem etwas gebracht. Die Leute, die sich früher nur deshalb hinsetzten, sonst nichts bestellten, kämen jetzt nicht mehr. Sie haben noch nicht mitbekommen, dass die Karte sich geändert hat. Und Leitungswasser nichts mehr kostet.

© SZ vom 12.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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