Cybermobbing bei Jugendlichen:"Das Handy, der Freund, kann zum Feind werden"

Cybermobbing

Mobbing in der Schule findet im Internet seine Fortsetzung.

(Foto: Oliver Berg/dpa)

Pöbeleien sind an den Schulen im Landkreis nichts Neues. Durch Smartphones und Internet hat Mobbing heute jedoch eine andere Dimension. Sozialarbeiter und Polizei steuern gegen.

Von Gudrun Regelein, Freising/Moosburg

Spott, Lästereien, Pöbeleien und Misshandlungen: In Deutschland wird nach einer neuen Pisa-Studie fast jeder sechste 15-Jährige an seiner Schule regelmäßig Opfer von teils massivem Mobbing. "Für manche ist die Schule ein Ort der Qual", schreiben die Autoren. "Mobbing an Schulen ist kein neues Phänomen, das gab es schon immer. Die Problematik aber hat durch Cyber-Mobbing an Dimension zugenommen", sagt Viola Hobmaier, Jugendsozialarbeiterin an der Mittelschule Neustift in Freising. Durch das Internet nämlich finde es jetzt auch außerhalb der Schule statt. Inzwischen gingen Schulmobbing und Diffamierungen in sozialen Netzwerken fließend ineinander über. Das Smartphone sei heute ständiger Begleiter der Jugendlichen, sagt auch Detlef Rüsch. Der Jugendsozialarbeiter an der Georg-Hummel-Mittelschule in Moosburg beobachtet das bereits in der Grundschule. Eine Online-Pause zu haben, sei undenkbar - schon morgens werde als Erstes auf WhatsApp gegangen. "Das Handy, der Freund, kann aber auch zum Feind werden."

In jüngster Zeit würden immer häufiger Audios, also Sprachnachrichten, verschickt, berichtet Rüsch. "Da brüllt jemand ins Smartphone hinein, oft sind das heftige Sachen. Die Hemmschwelle ist niedrig geworden", erzählt er. Ein Mädchen an seiner Schule bekam in den Osterferien immer wieder solche Audios. Verbal seien diese Nachrichten in extremer Form hochgekocht. Das Mädchen wusste sich nicht mehr zu helfen und wandte sich an den Jugendsozialarbeiter. "Ich habe dann die beteiligten Mädchen zu einem Gespräch geholt und wir konnten die Sache klären. Es war eine Auseinandersetzung, die wegen einer Kleinigkeit eskalierte. Jetzt sind sie wieder Freundinnen", erzählt Rüsch.

Einen Extremfall von Sexting gab es vor zwei Jahren an der Moosburger Schule

Nicht immer aber können die Probleme so schnell gelöst werden. Vor zwei Jahren beispielsweise gab es einen extremen Fall von Sexting an der Schule: Mehrere Schüler hatten sich selbst leicht bekleidet aufgenommen. Die Fotos, die ursprünglich nur an Freunde adressiert waren, verbreiteten sich rasant an der ganzen Schule. Zwei Schülerinnen der Jahrgangsstufe 9 starteten schließlich mit ihrer Vertrauenslehrerin und einer Jugendsozialarbeiterin ein Projekt gegen Sexting.

"Es ist wichtig, dem Opfer zu vermitteln, dass ihm geholfen wird", sagt Rüsch. Mit Sozialtrainings und Präventionstheater werde an seiner Schule gegen Mobbing vorgegangen. "Wir verteilen auch Broschüren und versuchen, die analoge Kommunikation zu verstärken", sagt er. Fälle wie in Moosburg aber sind keine Ausnahme: Auch an der Mittelschule Neustift in Freising häuften sich vor zwei Jahren Beschimpfungen und Beleidigungen zwischen Schülergruppen per Messenger-App. Die Jugendlichen trieben es so weit, dass der Jugendpolizist eingeschaltet wurde. Seither sei Cyber-Mobbing an der Mittelschule zwar kein Dauerthema mehr, aber eines, das immer wieder hochkoche, sagt Schulleiterin Renate Bruckmeier. Nicht nur die teils grenzwertigen Kommentare auf Instagram, Facebook und WhatsApp findet sie erschreckend, auch die fehlende Empathie. "Die Ausmaße sind teilweise heftig." Pubertierende Mädchen hätten sich auch früher an einem Tag gemocht, am anderen dann wieder nicht. "Heute aber kotzen sie sich im Internet aus. Das ist schrecklich", sagt sie. "Und wahrscheinlich ist es nur die Spitze vom Eisberg, die wir mitbekommen."

Eltern wissen oft nicht Bescheid - dabei braucht der Gemobbte Hilfe, um aus der Situation herauszukommen

Selbst Eltern wüssten häufig gar nicht, was ihre Kinder im Internet alles machen. Neben Elternabenden veranstaltet die Schule deshalb ab der fünften Klasse Präventionsmaßnahmen, momentan zum Thema Sexting und Cyber-Mobbing, berichtet Jugendsozialarbeiterin Hobmaier. In Rollenspielen werde versucht, die Empathiefähigkeit der Schüler zu steigern. "Gerade aber Cyber-Mobbing ist sehr schnell und die Reichweite riesig", sagt sie. Sei erst einmal eine Gruppe eröffnet, die sich über einen Schüler auslasse, könne es heftig werden. "Die Ohnmacht bei Betroffenen und ihrer Familie ist groß." Jeder habe aber eine andere Empfindung, sagt Hobmaier. Was für den einen schon eine schwere Kränkung sei, nehme ein anderer ganz anders wahr. Beim "richtigen" Mobbing handle es sich um häufige, unterschiedliche Angriffe über einen längeren Zeitraum. Zudem schaffe es der Gemobbte nicht aus eigener Kraft, aus der Situation herauszukommen. Er benötige Hilfe von außen, sagt sie.

Der Jugendpolizist Walter Schollerer versucht, mit verschiedenen Programmen gegen Mobbing vorzugehen, indem er etwa Lehrer in Medienkompetenz ausbildet. In diesem Jahr macht er dies im Landkreis bereits im dritten Lehrgang: Jeweils mit 20 bis 25 Teilnehmern. In der Fortbildung "Sei gscheit" werden auch Schüler sensibilisiert. Beim Mobbing gebe es verschiedene Stufen, bei den "einfachen Geschichten" höre es von selber wieder auf, in extremen Fällen aber könne es - auch bei Jugendlichen - zu einer erheblichen Straftat werden. "Da gibt es dann zwei Möglichkeiten: Entweder der Täter hört auf. Oder er kriegt Ärger", sagt Schollerer. Der Staatsanwalt entscheide, wie es weitergehe. Sogar Jugendarrest sei möglich.

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