Deutsches Theater:Mitten in München - und das Gegenteil von elitär

Deutsches Theater München

Seit 2014 in neuer Pracht: Der Saal des Deutschen Theaters in München.

(Foto: dpa)
  • Seit drei Jahren ist das Deutsche Theater zurück in der Schwanthaler Straße - das Haus ist volksnäher denn je und es läuft gut.
  • 2017 werden so viele Blockbuster-Musicals gezeigt wie noch nie: Zu "Evita", "West Side Story", "Cats", "Grease", "Sister Act" und dem Grusel-Klamauk "The Addams Family" geht bald noch "Der Glöckner von Notre Dame" in den Verkauf.
  • Die beiden Intendanten wollen nun den nächsten Schritt wagen und wieder eigenen Stücke produzieren.

Von Michael Zirnstein

Der frische Wind im Deutschen Theater weht auch aus einem Gastrokühlschrank: Tür auf, drei Helle raus, Tür zu . . . Die Gäste der Premierenfeier von "Tanz der Vampire" im Oktober griffen dankbar zu. Wer nach der Vorstellung Hunger hatte, ging in den Barocksaal und aß einen Brownie mit dem Plastikgäbelchen vom Pappteller. McDonald's verteilte in einer Pop-up-Filiale Gratisproben seines Kuchensortiments. Das war der Versuch, das Musical-Haus noch volksnäher zu machen.

Nun könnte man besorgt sein um den Glamour, den die einstige Intendantin Andrea Friedrichs für den "Feenpalast" der Münchner einforderte. Einige Stammgäste von Premierenpartys trauerten gewiss dem Feinkost-Buffet hinterher. Aber Carmen Bayer und Werner Steer, die derzeitigen Hausherren, schüttelten mit zufriedenen Mienen viele Hände an diesem Abend. Denn erstmals verlustierten sich nicht nur VIPs nach einer Premieren-Vorstellung im Deutschen Theater - diesmal durfte jeder Kartenbesitzer mitfeiern.

"Es gab eine Zeit und eine Attitüde, da hat man das anders gemacht", sagt Bayer, "wir wollten das schon seit Jahren ändern. Ich finde es sehr antiquiert zu sagen: Eine illustre Gruppe feiert extra, die anderen müssen nach Hause gehen." Allerdings kommen zu einer Premiere 1500 Besucher, ergänzt Werner Steer, "so eine offene Feier muss auch finanzierbar sein". Daher die Selbstbedienungs-Kühlschränke, daher der Speisen-Sponsor, aber wichtiger als Noblesse ist für das Intendantenduo eben, "dass sich die Leute verhocken", dass alle die Künstler treffen und sich mit ihnen für Facebook fotografieren können. Viele Themen leben weniger von den Prominenten als von den Fans, sagt Bayer.

Derlei mag im Vergleich zur Theaterkrisen-Debatte an der Kammerspielen wie eine Nichtigkeit erscheinen. Zumal einige Anhänger des sogenannten ernsthaften Schauspiels ohnehin auf die leicht bekömmlichen Massen-Musicals herabschauen. Aber genau dies ist eine der Hauptaufgaben der Geschäftsführer des Gastspielhauses: die eingekauften Stücke unters Volk zu bringen. Vor allem können sich Bayer und Steer jetzt um solche Feinheiten kümmern, da ihre Grundarbeit am Deutschen Theater geleistet ist.

Nach dem Exil im Fröttmaninger Behelfszelt waren die vergangenen drei Jahre im sanierten Stammhaus an der Schwanthalerstraße die erfolgreichsten in der Geschichte - wofür Zweiter Bürgermeister Josef Schmid als Aufsichtsratsvorsitzender "der Geschäftsführung volle Anerkennung" zollt. Im Juni sind Bayer und Steer zehn Jahre im Amt, die Verträge sind längst bis 2021 verlängert.

Aus dem Jahr 2016, in dem das Theater 120 Jahre alt wurde, zahlen sie wieder einen Teil der 1,7 Millionen Euro Betriebskostenzuschuss an die Stadt zurück (die exakten Zahlen liegen noch nicht vor). Allein 147 000 Gäste werden am 15. Januar nach dreimonatiger Spielzeit den Renner der Saison, "Tanz der Vampire", gesehen haben. "München lechzt nach solchen Dingern", sagt Steer und reibt sich die Hände.

Das Haus zeigt 2017 so viele Blockbuster-Musicals wie noch nie: Zu "Evita", "West Side Story", "Cats", "Grease", "Sister Act" und dem Grusel-Klamauk "The Addam's Family" mit Uwe Kröger geht bald noch "Der Glöckner von Notre Dame" in den Verkauf. Diese Klassiker-Ballung gelingt, weil die Intendanten über die Jahre hinweg Kontakte zu vielen Produzenten, Veranstaltern und anderen Theatern wie dem Saddler's Well in London geknüpft haben. "Als wir übernahmen, hatten wir zwei Partner und mussten spielen, was die gerade für uns hatten", sagt Steer.

310 000 Besucher

kamen im Jahr 2016 ins Deutsche Theater, und damit etwa ebenso viele wie in den Jahren davor (2014: 300 000, 2015: 315 000). Das sind doppelt so viele Gäste, wie sie die Kammerspiele verzeichnen. Das Musical-Haus an der Schwanthalerstraße ist mit 1500 Sitzplätzen nach der Oper das zweitgrößte Theater Münchens.

Als reiner Gastspiel-Betrieb erhält das Deutsche Theater mit 1,7 Millionen Euro jährlich einen vergleichsweise geringen Betriebskostenzuschuss, vom dem ein Teil wohl auch aus dem Jahr 2016 wieder an die Stadt zurückgezahlt wird.

Die Musical-Gemeinde freut sich auch darüber, dass der Branchen-Führer Stage Entertainment inzwischen einige seiner Dauerbrenner außerhalb der eigenen Häuser spielen lässt. "Früher sind die Fans nach Hamburg, Köln und Berlin gefahren, um die großen Titel zu sehen, jetzt kommen sie zu uns", sagt Bayer. Die Bühne im Deutschen Theater ist zwar eigentlich zu klein für diese Kolosse, wird aber - auch wegen einer Kooperation mit dem ebenso limitierten Theater des Westens in Berlin - eigens zurechtgezimmert wie zuletzt beim Vampir-Schloss. "München ist für alle Tourneeveranstalter ein Muss", sagt Bayer.

Die Intendantin beklagt allerdings eine Schwemme minderwertiger Ware bei der Konkurrenz: "Stoffe wie der Glöckner sind alte Märchen und daher rechtefrei", erklärt die Juristin, "jeder kann dazu eine Musik schreiben und das mit schlechten Sängern in einem Hinterhof spielen." Steer ergänzt: "Das sehen dann 2000 Leute und sagen: Nie wieder Musical! Das schadet uns sehr." Gerade von städtischen Partnern wie dem Gasteig wünschen sich die beiden daher, "mehr auf die Qualität zu achten" und versprechen selbst: "Wir würden trotz Einstiegspreisen von unter 30 Euro nichts anderes spielen als das Original" - den Glöckner etwa in der Disney-Fassung.

Allein die bewährten Saal- und Kassenfüller zu spielen, ist den Intendanten aber zu langweilig. Sie wollen auch kleine, überraschende, herausfordernde Stücke. Wie im vergangenen Jahr das stumme Grusel-Theaterstück "Horror". Ein Spektakel - das allerdings vor halb leeren Rängen lief. "Aber so etwas bringt uns ganz neue Zuschauer, wir brauchen nur einen langen Atem", sagt Steer. "Wir sind in ganz Europa unterwegs, um solche Sachen zu finden."

So startet nach dem Vampir-Tod das Hip-Hop-Ballett "Nutcracker Reloaded" in einer Deutschland-Premiere, das Tanz-Unikum Peter Breuer kommt im August mit zwei Stücken über den Blues und Coco Chanel, und "Quatsch Comedy"-Pate Thomas Herrmanns inszeniert eine Show um das Phänomen Boybands. Und wenn die Studenten der Theaterakademie Everding wieder ihre "Masterclass"-Arbeit (diesmal Sontheims "Merry Me A Little") im Silbersaal präsentieren, trägt das ebenso zum Programmmix des Deutschen Theaters bei wie die bald startende Faschingssaison, wenn wieder 20 000 Gäste auf mehr als 20 Bällen tanzen.

Jetzt sind die Intendanten so abenteuerlustig, "den nächsten Schritt" zu wagen: "Wir wollen bei der Entstehung eigener Stücke dabei sein", sagt Steer. Ob nun Klassiker, die nicht mehr auf dem Markt sind, oder neue Stoffe, die als Musical ungenutzt sind wie etwa die Johnny-Cash-Biografie "Walk The Line". Die beiden sind dabei, den Aufsichtsrat zu überzeugen, sie zum Produzieren zu ermächtigen.

Der Vorsitzende Josef Schmid ist "offen", er erwarte förmlich von den Geschäftsführern Ideen für die Zukunft, sieht aber auch: "Da steigen wir in eine ganz andere Risikostufe ein." Schnell seien eineinhalb Millionen Euro in den Sand gesetzt. Steer aber ist sich - fast - sicher: Mit den richtigen Partnern und wenn man das eigene Werk von München aus um die Welt schickt, "dann kostet das zwei Millionen, aber wir holen vier heraus." Damit ließen sich auch alle Premierengäste standesgemäß verpflegen.

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