TV-Kritik: Maybrit Illner:Wenn der Euro herzkrank macht

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Drei Finanzminister und ein Oberlehrer dröseln bei Maybrit Illner den Finanzbedarf Irlands auf. Blutdruck-Tendenz: stark steigend.

Melanie Ahlemeier

Guido Westerwelle - Außenminister, Vizekanzler und FDP-Parteivorsitzender - übt schon mal. Finanzminister. Mit unüberhörbarer Arroganz in der Stimme verteidigt er die europäische Gemeinschaftswährung - und zwar ganz so, als sei sie seine Erfindung.

FDP-Politiker Guido Westerwelle: Außenminister im Amt, Finanzminister im Geiste. (Foto: dapd)

Der Euro sei in Wahrheit eine große Erfolgsgeschichte. Skeptikern nimmt der einst als "Leichtmatrose" gescholtene Westerwelle den Wind aus den Segeln. "Der Euro", besserwissert der überzeugte Liberale, "ist absolut stabil." Seine Botschaft an diesem TV-Abend: "Wir Deutsche sollten für einen harten Euro kämpfen."

Nach fast jedem Westerwelle-Satz weht ein bisschen Schröder'sche Basta-Tonalität über die Mattscheibe. Weil Schwarzseher nach dem SOS aus Dublin die bereits angezählten Länder Portugal und Spanien als Nächstes fallen sehen, geizt Westerwelle nicht mit Verachtung. "Es geht nicht, dass wir ein anständiges Land nach dem anderen schlechtreden", kanzelt er Kritiker ab.

Möchtegernfinanzminister Westerwelle schwadroniert, raumfüllend - weil in bester Merkel-Mentalität. Seine Hände? Sind im Fernsehstudio von ZDF-Talklady Maybrit Illner an diesem späten Donnerstagabend ständig in Bewegung. Es sind ausufernde Gesten. Und sie unterstreichen seine verbale Kernbotschaft: "Ich habe eine Verantwortung wahrzunehmen. Für Deutschland, für Europa." Punkt!

"Deutschland, Zahlmeister Europas - geht unser Geld jetzt kaputt?", wollte Illner angesichts der am vergangenen Wochenende eskalierten Finanznot Irlands wissen. Und was macht Westerwelle? Er redet und redet - und redet sich in Rage. Sein Blutdruck: steigend.

"Der Euro ist nix für Sprüche", schulmeistert Westerwelle. Der Liberale giftet damit vor allem gegen den früheren Bundesfinanzminister Oskar Lafontaine. Der ehemals überzeugte Sozi ist schon vor Jahren bei den Linken angekommen. Kernige Thesen, ja, die kann Lafontaine. Und die gefallen - gemessen am Applaus - auch dem Publikum im Berliner Fernsehstudio.

Schuld an der miserablen Lage Irlands sei nicht der Euro, "sondern das völlig verrückt gewordene Bankensystem", weiß der Mann aus dem Saarland. Leider hat DJ Lafontaine an diesem Abend nur eine einzige Platte dabei. "Das verrücktgewordene Geldsystem", ist so ein Dauer-Hit, und: die Banken seien "außer Rand und Band". Viel mehr fällt dem früheren Sozialdemokraten nicht ein.

Wortgewaltig, das ist Lafontaine noch immer. Und zwischendurch packt er auch gerne mal die ganz große verbale Keule aus. "Eigentlich gehören sie alle eingesperrt", lästert der Parteien-Grenzgänger über die Banker und ihr krudes System. Viel mehr allerdings kommt nicht. Dennoch: begeisterter Applaus im Publikum. Lafontaines Blutdruck: steigend.

Wer haut nun den Euro kaputt? Die Iren? Oder die Portugiesen? Die Finanzmärkte handeln Lissabon zwar bereits als nächsten Pleitekandidaten; richtig brenzlig wird es für den gigantischen 750-Milliarden-Euro-Rettungsschirm aber wohl erst, wenn Madrid um Hilfe bitten sollte. "Wir haben eine Staatsschuldenkrise, keine Frage. Und wir haben in den Märkten eine Menge Leute, denen der Euro nicht passt", weiß Hans Eichel, der zweite ehemalige Bundesfinanzminister in der illustren Illner-Runde, zu berichten.

Von Selbstkritik will der "Eiserne Hans" aus dem Kabinett Schröder aber auf Nachfrage Illners nichts wissen, im Gegenteil. Ob er im Rückblick auf Griechenlands getunten Beitritt zum Euro nicht "Selbstkritik" üben wolle, bohrt die Moderatorin. Doch Eichel schleudert ihr ein völlig entgeistertes "Warum?" entgegen.

Eichels Pulsfrequenz galoppiert vor allem in jenen Momenten schneller, in denen er sich mit dem vierten prominenten Gast der späten Fernsehrunde zofft. Hans-Olaf Henkel - früher Euro-Befürworter, heute -Kritiker, aber immer noch Talkshow-Dauerbewohner - treibt Eichel die Galle hoch.

Der ehemalige BDI-Präsident führe eine "rückwärtsgewandte Diskussion" giftet Eichel. Nicht viel später, und er macht Henkel klar, wie die Front im persönlichen Euro-Krieg Eichel/Henkel verläuft: "Dann müssen Sie präzise reden, Herr Henkel!", schnauzt der Mann, der bei seiner Verabschiedung als Minister weinte, den Bestseller-Autor vor laufenden TV-Kameras an. Eichels Blutdruck: steigend.

Apropos Henkel: Heute sehe er seinen Einsatz für den Euro als größte Fehleinschätzung seiner beruflichen Laufbahn, sagt er. Seine Kehrtwende unterfüttert er mit Statistiken, die er aus dem Effeff herunterbetet - um sich so freiwillig zum gewöhnungsbedürftigen Schlaumeier abzustempeln. Außerdem redet Henkel zu viel und zu lange. Vor allem zu Beginn der einstündigen Sendung monologisiert er bis zur Schmerzgrenze. "Ich war nicht in Athen und ich war nicht in Dublin", wobei er die irische Hauptstadt "Dubliiiiiiiin" ausspricht. Ach ja, und in Lissabon, nun, da sei er auch nicht gewesen.

Das Fazit des Herrn Oberlehrer, der am kommenden Mittwoch in Berlin sein neues Buch ( Rettet unser Geld! Deutschland wird ausverkauft - Wie der Euro-Betrug unseren Wohlstand gefährdet) vorstellt, steht dennoch felsenfest: "Wir sind wirklich betrogen worden", weiß er mit Blick auf die entsprechenden Euro-Beitrittswuseleien.

Die Wortgewaltigkeit ist eine von Henkels Stärken, darum ist er als Talkshowgast so beliebt. Das Fernsehen und die Verantwortlichen lieben knackige Thesen. Henkel philosophiert über "Schreckens- und Angstszenarien" und über seine Vorstellung, was im Frühjahr 2010 hätte passieren sollen: "Es wäre eine Alternative gewesen, Griechenland pleitegehen zu lassen." Zack, nur keine Zeit verlieren!

Die Realität müsse jetzt zur Kenntnis genommen werden, macht Henkel angesichts maroder Staatshaushalte Druck. Zur stabilen, alten D-Mark zurückkehren will er dennoch nicht, stattdessen überrascht er mit einem eigenen Plan: dem System der "zwei Währungsblöcke" - nördliche Währung und südliche.

Frankreich? Gehöre da nicht mehr rein, lästert Henkel, der selbst jahrelang dort gelebt hat. Sein Fazit an diesem Euro-Gedächtnisabend: "Wir können in Deutschland nicht für die Fehler der anderen haften." Sein Blutdruck: steigend.

Henkels steile Thesen (Illner: "interessant") bringen nicht nur Lafontaine und Eichel, sondern auch Möchtegernfinanzminister Westerwelle mächtig in Rage. Vielleicht hat der sich aber auch nur für den Bruchteil einer Sekunde an seinen Außenministerposten erinnert. Der Liberale jedenfalls weist Henkels Nicolas-Sarkozy-Schelte brüsk zurück - es geht doch nichts über gute Beziehungen mit Paris. Probt Henkel etwa für eine tägliche Radau-Show, abwechselnd in ARD und ZDF? Motto: Den täglichen Henkel gib uns heute!

Vielleicht sollte auch die sonst so schlagfertige und durchsetzungsstarke Maybrit Illner ein bisschen üben. Denn ganz ehrlich: Ihre stärkste Sendung ist dies nicht gewesen, sie war schon mal deutlich besser in Form.

Illner stammelt, zeigt Anzeichen von Resignation ob der testosterongesteuerten Alphamännchenrunde - und lässt die prominenten Vielsprecher über lange Zeit einfach laufen. Etliche Fragen (gefühlt jede zweite!) formuliert die Moderatorin nicht einmal zu Ende.

Das ist zwar schade, aber nicht katastrophal tragisch - die topbesetzte Runde hat auch so Unterhaltungswert. Vor allem wenn Westerwelle sich mit Eichel oder Lafontaine zofft. Das sind mit die besten Moment dieser einstündigen Talkshow, denn da vergisst der Möchtegernfinanzminister Westerwelle immer mal wieder die wie eine Bugwelle vor ihm herrollende Staatsdramatik ("Ich habe auch den Kollegen in Europa gesagt ..."), da fällt er dann einfach in die schlichte Stänkerrolle eines Oppositionspolterers zurück.

Und das muss er nicht mehr üben. Das kann er.

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