"Tatort" Stuttgart:Viele Fragen, wenige Antworten

Tatort: Der rote Schatten

Blick zurück: Die jungen Wilhelm Jordan (Elias Popp) und Astrid Frühwein (Emma Jane) auf einer Demonstration

(Foto: dpa)

Kaum eine Epoche ist medial so ausgeleuchtet wie die RAF-Zeit. Was soll Fiktion mit so einem Stoff noch anstellen? Dominik Graf versucht es im neuen "Tatort" trotzdem.

Von Holger Gertz

Mit der Geschichte der Rote Armee Fraktion (RAF) ist es wie mit dem Olympia-Attentat 1972: Das Doku-Material ist vom berüchtigten Zeitzeugenfernsehen so oft mundgerecht aufgewärmt worden, dass man einzelne Sequenzen inzwischen mitsprechen kann. Der entführte Schleyer auf dem verwaschenen Videoband: "Muss denn noch etwas geschehen, damit Bonn endlich zu einer Entscheidung kommt?" Dutschke am Grab des Terroristen Meins: "Holger, der Kampf geht weiter!" Schwäbische Bürger, gefragt nach der gerechten Strafe für Terroristen: "Auf der Flucht erschießen!" Wenn also in Dokumentationen Geschichte zu Unterhaltung gerinnt und der Zuschauer, zu dräuender Musik, staunen und sich billig gruseln kann - was kann dann im Gegenzug die Fiktion mit solchen Stoffen noch anstellen?

Gesucht wird vor allem die Antwort auf eine große Frage

Im Fall RAF bringt das Erste den Tatort "Der rote Schatten" von Dominik Graf, der mit Raul Grothe auch das Drehbuch geschrieben hat. Inhaltlich und vor allem ästhetisch wird die Gegenwart mit der Vergangenheit kunstvoll in Berührung gebracht. Man hört die bekannten Zitate von Schleyer und Dutschke und der besorgten Bürger der Siebziger, man sieht Hannes Jaenicke als Wilhelm Jordan, der zu Zeit der RAF ein V-Mann war und seitdem unter speziellem Schutz der deutschen Sicherheitsbehörden steht: der Mann kann machen, was er will, er wird nicht belangt. Warum nicht? Das ist eine von vielen - sehr vielen - Fragen in einem SWR-Tatort, der immer in Gefahr ist, von seinen eigenen Ambitionen erdrückt zu werden. Die V-Mann-Geschichte wird erzählt, außerdem die Geschichte von nach wie vor aktiven RAF-Rentnern. Es gibt ein Familiendrama und ein Spiel mit zwillingshaften Gestalten. Kommissar Lannert - Fun Fact! - hat mal in einer WG die Ensslin getroffen. Gesucht wird vor allem die Antwort auf eine große Frage: Wie starben die Terroristen in der Todesnacht von Stammheim, fast auf den Tag genau 40 Jahre ist es her? Welchen Anteil hatte der Staat?

Wer sich halbwegs auskennt, wird auch verborgene Bezüge erkennen: Das ist immer so tröstlich, als sähe man eine Boje im Meer. Von einem Terroristen ist die Rede, dem Meistersinger, der später mit neuer Identität zum Pressechef des Campingwagenherstellers Bavaria aufstieg (tatsächlich wurde ein real existierender Ex-Terrorist Werbechef des Wohnmobilherstellers Westfalia). Wer mit dieser Epoche deutscher Geschichte nichts verbindet, wird vom Tatort komplett überfordert. Dem sei empfohlen, sich zum besseren Verständnis bei Youtube rechtzeitig einzufühlen. Starbuck - Holger Meins, Die Anwälte - eine deutsche Geschichte oder, spätere Phase, Black Box BRD. Wenn Dokumentationen so sind, sind sie nicht zu schlagen. Nicht mal von einem Tatort.

Das Erste, Sonntag, 20.15 Uhr.

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