SPD-Spitzenkandidat im Interview:Diese vier Youtuber interviewen Martin Schulz

Beauty-Expertin, Videospieler, Politik-Profi, Journalistin: Nach Angela Merkel stellt sich nun auch Martin Schulz den Fragen von vier Youtubern - das sind sie.

MarcelScorpion

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(Foto: ProSiebenSat.1 Media SE)

Ein Dart-Brett und eine recht ordentliche Sammlung von Basecaps, präsentiert auf drei Wandregalen: Das Zimmer von Youtuber MarcelScorpion, 23 Jahre alt, sieht aus wie das eines sehr normalen jungen Mannes. Was er vor dieser Kulisse in die Kamera spricht, ist allerdings nicht so normal - und dafür ist Marcel Althaus, so heißt er mit bürgerlichem Namen, seinen Followern "total dankbar". In einem fünfeinhalbminütigen Video erzählt er den insgesamt zwei Millionen Menschen, die seine drei Youtube-Kanäle verfolgen, von einer "weiteren, sehr sehr großen Chance", die er in seinem jungen Leben bekäme. Er wird ein Interview führen. Aber nicht mit irgendwem. Sondern mit dem SPD-Spitzenkandidaten Martin Schulz! Und da Marcel Althaus kein Kind von übermäßiger Bescheidenheit ist - er spricht auch gern von sich selbst in der dritten Person - nimmt er das zum Anlass, sehr konzentriert alle seine Erfolge aufzuzählen. Alles begann mit dem sehnsüchtigen Wunsch des damals 18-Jährigen, Youtuber zu werden. Nicht irgendeiner, sondern einer von den Großen. MarcelScorpion begann also, seine Abenteuer beim Spielen von Militär-Games wie "Call of Duty" aufzuzeichnen und zu kommentieren. "Let's-Play-Videos" nennt man das. Heute filmt er vor allem Lifestyle-Videos oder Straßenumfragen. Vor Kurzem erschien ein "Welcher-Youtuberin-gehören-diese-Beine"-Video auf seinem Kanal. Außerdem hat Marcel Althaus es auch schon in die alten Medien geschafft: Im Mai erschien eine Art Lebenshilfe-Buch von ihm. Verkaufte Exemplare: 30 000 Stück, Titel: "Try Hard!". Er gibt darin Tipps wie "Freundschaft ist wichtig", "Geld allein macht nicht glücklich" oder "Glück kann man lernen". In seinem jüngsten Video gibt er zu: "Ich weiß, es macht nicht immer den Eindruck, als ob ich der tiefstdenkende Mensch der Welt bin", aber zumindest er selbst ist sich sicher, dass dieser Eindruck trügt.

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(Foto: ProSiebenSat.1 Media SE)

An die Stelle der Beauty-Youtuberin Ischtar Isik tritt im Schulz-Interview eine andere junge Frau: Nihan. Ebenfalls Schönheits-Video-Bloggerin und, soweit unter zentimeterdicker Makeup-Maske erkennbar, ebenfalls wunderhübsch. Mit derzeit 781 000 Youtube-Followern sowie 485 000 Followern auf Instagram ist Nihan eine recht erfolgreiche Social-Media-Influencerin. Nihans Welt ist sehr bunt und sehr fröhlich. Sie trägt bonbonrosafarbene Rüschentops, farblich dazu abgestimmte Fingernägel und Lidschatten, und beantwortet ausgewählte Fragen ihrer Fans, die in der Regel so gestellt sind, dass Nihan in der Antwort ein bisschen Werbung für neue Produkte machen kann. Oder sie befindet sich, so ein Zufall, in einer Douglas-Filiale, in der sie sage und schreibe 1400 Euro ausgeben darf - für Dinge, von denen ihre Fans sich wünschen, dass sie sie kauft. Also nicht für die Fans. Für sich selbst. Woher die 1400 Euro kommen, wird nicht verraten, ebenso wenig, warum es ausgerechnet diese Summe sein muss, die in etwa dem dreifachen Jahrestaschengeld einer durchschnittlichen Nihan-Zuschauerin entsprechen dürfte. Das ist die eine Seite von Nihan. Auf der anderen erzählt die 26-Jährige mit türkischen Wurzeln viel Persönliches. Die Hochzeit mit ihrem Mann Tayfun, der in den meisten Videos auftritt (allein schon, weil er das Pech hat, seine Liebste ständig filmen zu müssen), wird in einem schwülstigen Video gezeigt: Zehn Minuten in Slow-Motion, unterlegt mit Geigenmusik, Nihan, die ihre Tränen unter den falschen Wimpern aufzufangen versucht, Hochglanz-Bilder mit echten Emotionen. Politik, so Nihan, sei in ihren Videos nicht so häufig ein Thema. Das liege daran, dass "Politik eben nicht zu ihren Hobbys" zähle. Wohl aber interessiere sie sich dafür - und ihr sei sehr daran gelegen, dass ihre Fans wählen gingen. Was ja vielleicht ein Anfang ist.

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(Foto: REUTERS)

"Das Merkel-Interview war scheiße" - so lautet das Statement der Youtuberin ItsColeslaw zu ihrem Gespräch mit der Kanzlerin. Warum es nicht gut lief, erklärt sie ihren Fans: Vorrangig hatte sie einfach zu wenig Zeit, gerade einmal zehn Minuten. Und sie musste dann entscheiden: Lieber nachhaken, oder lieber alles fragen, was ihren Zuschauern wichtig ist? Sie entschied sich für die zweite Option. Und erhielt ziemlich viel Kritik. Das erzählt Lisa Sophie, wie ItsColeSlaw eigentlich heißt, in ihrem schönen Zimmer, mit hübscher Erklär-Miene und sanfter Stimme. Alles an ihr sagt: besser nicht auffallen. Angenehm sein. Brav. Man könnte kaum falscher liegen. Denn sonst spricht Lisa auch mal zehn Minuten lang über ihre neue Menstruationstasse, darüber, warum sie keine Tampons mehr benutzen möchte und warum ihre Regelblutung jetzt so viel erträglicher ist. In Zeiten, in denen die weibliche Periode (vor allem bei Männern) noch immer eine Gefühlspalette von Unbehagen bis Ekel hervorruft, ist das ein wichtiges Statement. Weil es ein Thema in die große Youtube-Öffentlichkeit (ItsColeslaw hat fast 250 000 Abonnennten) zerrt, das zwar die Hälfte der Menschheit betrifft, aber immer noch tabuisiert wird. Daneben findet sich auch auf Lisa Sophies Channel der klassische Teenager-Content. Peinliche Sexgeschichten, nervige Eltern und die Tour durch den Kleiderschrank. Aber eben auch: Videos über Panikattacken, Depression, sexuelle Identität - und eine wiederkehrende Reihe, die sich Selbsthilfegruppe nennt. Lisa Sophie ist keine unreflektierte Youtuberin, sie arbeitet als Reporterin für das öffentlich-rechtliche Format #WDR360, wo sie zum Beispiel Schleichwerbung bei Instagram aufdeckt. Sie versteht Jan Böhmermann, der sich über die Intransparenz ihrer Branche lustig macht. Sie selbst kritisiert ihre Kollegen für den laxen Umgang mit Produktplatzierungen und gekauften Inhalten. Ganz ohne Tricks geht es aber auch bei ihr nicht. Im Hintergrund ihres Menstruationstassenvideos, in der weißen Regalwand vor der blassfarbenen Wand, steht gut sichtbar ein Exemplar ihres Buches. "Wie ich aufhörte, perfekt sein zu wollen", heißt es. Es gibt Schlimmeres, was man Teenagern unbewusst einflüstern könnte.

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(Foto: obs)

Auch MrWissen2go setzt sich mit den kritischen Stimmen auseinander, die ihn nach dem Merkel-Interview erreicht haben. "Haben wir das Interview vergeigt?", fragt Mirko alias MrWissen2go. Er findet: nein. Ihm sei es wichtig gewesen, gerade älteren Menschen zu zeigen, dass sich junge Leute mit den gleichen politischen Themen beschäftigen. Und diesen Themen widmet er sich auch auf seinem Youtube-Kanal: Warum ist Afrika so arm? Wer ist Donald Trump? Warum sind wir schlaflos? Wer sich bei ihm Wissen zum Mitnehmen ("manchmal mit Meinung") abholt, muss ein wenig Zeit mitbringen, denn Drotschmanns Videos kommen auf durchschnittlich elf Minuten. Ungewöhnlich für das schnelllebige Medium, doch der 31-Jährige ist auch kein typischer Youtuber. In dem Quartett, das interviewen darf, nimmt er zum zweiten Mal die Rolle des erfahrenen Politfachmanns ein. Drotschmann vertritt die seriöse Seite Youtubes. Seine Wahl ist geschickt, schirmt sie doch jene Kritik ab, die Kollege LeFloid nach seinem Merkel-Interview vor zwei Jahren erfuhr. Im Gegensatz zu dem Amateur-Kommentator ist Drotschmann ausgebildeter Journalist, studierter Historiker und Autor. Youtube hat er als nützliches Hobby entdeckt, er arbeitet eigentlich für ARD und ZDF und moderiert die "MDR Zeitreise". Das schlägt sich in seinen Beiträgen nieder. MrWissen2go, seit 2012 auf Youtube aktiv, zerkrümelt thematische Brocken wie die Flüchtlingskrise und die türkische Innenpolitik in verdauliche Häppchen, indem er lebensnah einsteigt und unaufgeregt erklärt. Wenn er erzählt, wer Recep Tayyip Erdoğan ist, fängt er bei Null an. Das erleichtert den vielen Jugendlichen unter seinen mehr als 500 000 Abonnenten den Einstieg. Statt hysterischer Bildschnitte im Sekundentakt und überzogener Emotionsausbrüche spickt Drotschmann seine Videos mit Zitaten aus anderen Medien oder O-Tönen von Politikern. Dabei ist er sehr auf argumentative Ausgewogenheit bedacht. Die eigene Meinung markiert er deutlich und das Für und Wider wiegt er nach Journalistenmanier ab. Exklusives Wissen liefert er zwar selten, doch fasst er aktuelles Zeitgeschehen greifbar zusammen. Seine hohen Ansprüche können ihn aber auch ins Straucheln bringen. Die Bundeskanzlerin ist nicht seine erste prominente Gesprächspartnerin. Drotschmann interviewte auch schon den AfD-Bundessprecher Jörg Meuthen, das Video hat er inzwischen gelöscht. Von Meuthen wollte er wissen, ob seine Partei denn wirklich rechts sei und wofür sie denn eigentlich stehe. Dessen joviale Selbstdarstellungen lässt MrWissen2go dann sehr unkommentiert stehen, als seien sie unanfechtbare Richtigstellungen. Mag vielleicht auch daran liegen, dass er und Meuthen sich privat schon länger kennen, auch "bevor er Mitglied der AfD geworden ist".

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