"Maischberger" zum Niedergang der Volksparteien:"Wo sind unsere Alleinstellungsmerkmale?"

Lesezeit: 3 min

Rettet ein klareres Profil die Volksparteien, wollte Sandra Maischberger von ihren Gästen wissen. (Foto: WDR/Max Kohr)

Mehr Mitte oder doch lieber die Ränder bedienen? Bei "Maischberger" debattieren die Gäste darüber, wie sich die Volksparteien retten lassen. Nicht nur innerhalb der SPD gibt es dazu widerstreitende Ansichten.

TV-Kritik von Max Ferstl

Wie man die SPD vermutlich nicht rettet, demonstriert Sandra Maischberger mithilfe eines Stimmzettels, den sie in die Kamera hält. "Verbindliches Mitgliedervotum" steht da. In den kommenden Wochen dürfen die Genossen darüber abstimmen, ob sie erneut in eine große Koalition eintreten wollen. Ja oder Nein, bevor die SPD-Basis diese Entscheidung fällt, sitzt die geschäftsführende Familienministerin Katarina Barley (SPD) am Mittwoch im ARD-Studio.

"Wenn sie mit Ja antworten", erklärt Maischberger mit Blick auf die Parteimitglieder langsam, "könnte es dazu führen, dass der Rand stärker wird." Dass also die Rechten von der AfD weiter an Zustimmung gewinnen, wie es die jüngsten Umfragen nahelegen. Doch auch ein Nein würde die SPD vor Probleme stellen: Denn dann würden sie einen Koalitionsvertrag ablehnen, den Barley selbst mitverhandelt hat und für "hervorragend" hält. Es ist das bekannte Dilemma. Natürlich gehört es nicht zu Maischbergers Aufgaben, der SPD Unannehmlichkeiten zu ersparen. Anderseits will sie am Mittwochabend vor allem herausfinden, wie man die Volksparteien retten kann.

SPD und Union haben bei der vergangenen Bundestagswahl zusammen fast 14 Prozentpunkte eingebüßt. Seitdem sich beide Parteien langsam aber stetig auf eine erneute gemeinsame Regierung zu bewegen, wächst der Unmut auf beiden Seiten. Es gibt einige Erklärungsansätze, wie SPD und Union so massiv verlieren konnten. Einer lautet: Sie sind einander in den Jahren der gemeinsamen Regierungsarbeit zu ähnlich geworden, alles konzentriere sich in der Mitte. So treibe man die Wähler an die Ränder. Das Ergebnis: 12,6 Prozent für die AfD bei der Bundestagswahl. Maischberger fragt nach der naheliegenden Lösung: "CDU nach rechts, SPD nach links: Rettet das die Volksparteien?", so der Titel der Sendung.

ExklusivSPD
:Schröder empfiehlt den Genossen die Groko

Der Altkanzler appelliert an die "kollektive Vernunft" der Parteimitglieder, die über den Koalitionsvertrag abzustimmen haben.

Von Ferdos Forudastan

SPD und Union sind in dieser jeweils doppelt vertreten. Direkt neben Maischberger, rechts und links der Mitte, sitzen Barley und CDU-Präsidiumsmitglied Monika Grütters, Vertreterin der (erweiterten) Parteispitze, Befürworterin der großen Koalition. Beide lehnen einen großen Schwenk in irgendeine Richtung ab.

Barley sagt: "Wenn Wähler die SPD nicht mehr wählen würden, weil sie nicht weit genug links ist, dann hätten sie eine Partei, die radikaler links ist." Die Linke hätte aber von den Verlusten der SPD vergleichsweise wenig profitiert. Grütters glaubt: "Wahlen werden in der Mitte gewonnen." Die CDU müsse zwar ihr konservatives Bild festigen, allerdings mit "Maß und Mitte". Nur wo ist die Mitte?

Jedenfalls nicht mehr dort, wo sie früher war. Das sieht zumindest Birgit Kelle so, konservative Publizistin, CDU-Mitglied, und in der Sendung die Vertreterin der kritischen Basis: "Die CDU und die Mitte sind nach links gerutscht", sagt sie. Der CDU fehle ein Markenkern: "Wo sind unsere Alleinstellungsmerkmale?"

Ihr Pendant auf Seiten der SPD, die Berliner Juso-Vorsitzende Annika Klose, ist ebenfalls unzufrieden mit ihrer Partei. Sie fordert eine "wirklich linke Politik". Es sind die vorhersehbaren Konfliktlinien zwischen Basis und Spitze, zwischen Befürwortern und Gegnern einer großen Koalition, die auch in der kleinteiligen Debatte um den Koalitionsvertrag aufbrechen.

Wie reagieren auf eine fragmentiertere Gesellschaft?

Die Ausgangsfrage, wie sich die Volksparteien retten lassen, rückt dabei zunehmend in den Hintergrund. Hans-Ulrich Jörges vom Stern sieht den Ausweg aus der verfahrenen Lage vor allem darin, dass sich die großen Parteien erst mal klar werden: "Was wollen wir eigentlich?" Er plädiert für Neuwahlen mit neuem Spitzenpersonal bei Union und SPD.

Tatsächlich stellt sich aber die Frage, ob die Volksparteien überhaupt noch zu retten sind. Deutschland scheint - leicht verzögert - dem europäischen Trend zu folgen: Die großen Parteien schrumpfen, die kleineren wachsen. Zum ersten Mal in der jüngeren Geschichte sitzen sechs Parteiengruppen im Bundestag. Das verkompliziert die Regierungsbildung. Selbst Union und SPD kommen lediglich auf eine knappe Mehrheit. Langfristig werden sich wohl drei Partner arrangieren müssen. Wie schwierig das sein kann, haben die gescheiterten Jamaika-Verhandlungen gezeigt.

Das bekannte Muster, eine große Partei koaliert mit einer kleinen, "hat sich erledigt", glaubt Grütters. Das klassische Links-rechts-Denken gelte nicht mehr. "Wenn die Gesellschaft fragmentierter ist, dann muss man auf die Vielfalt reagieren und sich nicht auf eine Linie festlegen."

Apropos Jamaika: Wolfgang Kubicki, der stellvertretende FDP-Vorsitzende, sitzt ebenfalls in der Runde. Den Sozialdemokraten wünscht er "alles Gute", trägt ansonsten ähnlich viel bei wie die FDP zur Regierungsbildung. Andererseits ist es kaum Kubickis Aufgabe, Volksparteien zu retten.

© SZ.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Parteien und ihre Spitzenleute
:Stürzen oder Stützen?

Der brutale Sturz von Schulz, das halbe Ende Seehofers, Merkels Abwehrkampf - all das zeigt, wie unerbittlich Politik sein kann. Doch die Parteien gehen unterschiedlich mit schwächelndem Führungspersonal um.

Analyse von Stefan Braun, Berlin

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: