Bericht der "Financial Times":Wie Döpfner den Fall Reichelt kaschieren wollte

Lesezeit: 3 min

Mathias Döpfner soll der FT zufolge eigene Ermittlungen gegen eine Reihe von Leuten beauftragt haben. (Foto: Fabian Sommer/picture alliance/dpa)

Die FT hat recherchiert, wie viel der Führungsriege des Springer-Konzerns über den Machtmissbrauch bei der "Bild" bekannt war. Und was man dort unternahm, um die Geschichte zu vertuschen.

Von Laura Hertreiter

In der Führungsetage des Springer-Konzerns war der Fall Reichelt offenbar deutlich länger bekannt als bislang angenommen. Wie die Financial Times am Dienstag berichtet, hat der Vorstand des Berliner Medienhauses großen Aufwand betrieben, um die zahlreichen Affären und Annäherungsversuche des früheren Bild-Chefredakteurs Julian Reichelt am Arbeitsplatz zu vertuschen.

Die britische Tageszeitung zitiert ein Vorstandsmitglied mit den Worten, wenn die Untersuchungsergebnisse öffentlich würden, sei das nicht zu überleben ("not survivable"), Reichelts Kopf sei dann nicht der einzige, der auf dem Spiel stehe. Die Recherchen widersprechen der von Springer stets kommunizierten Version, der Konzern habe keine exakten Kenntnisse über die Ermittlungen einer Anwaltskanzlei im eigenen Haus gehabt.

Julian Reichelt hatte im Herbst seinen Job verloren wegen Machtmissbrauchs, er habe "Fehler" gemacht, sagte er selbst, und das sagte auch der Vorstandsvorsitzende Mathias Döpfner. Er stand aber auch nach einem Compliance-Verfahren durch die Anwaltskanzlei Freshfields zu Reichelt, bezeichnete ihn in einer öffentlich gewordenen SMS an einen Bekannten angesichts der Corona-Maßnahmen als "letzten aufrechten Journalisten" gegen den neuen "DDR-Obrigkeitsstaat". Döpfner insinuiert bis heute, hinter dem Fall stünde eine große Verschwörung und redet die Vorfälle auf mehr oder weniger eine Beziehung Reichelts am Arbeitsplatz klein.

Mitarbeiterinnen sollen vor Reichelt mehr Angst gehabt haben als VW-Angestellte seinerzeit vor Winterkorn

Wie die FT berichtet, vermutet Döpfner ideologische Feinde hinter dem Fall. Er soll von einer "Hass-Agenda" gesprochen haben. "Das hat nichts mit Sexismus zu tun. Das hat nichts mit MeToo zu tun", wird er zitiert. Er soll für eine Art Gegenuntersuchung einen Anwalt engagiert haben, den er mit Ermittlungen gegen Betroffene und angebliche Strippenzieher beauftragte, etwa gegen eine Exfreundin Reichelts, die als Zeugin aufgetreten war, und zwei "deutsche Satiriker", die den Fall öffentlich thematisiert hatten. Während man hier offenbar in Bild-Manier am Spin von der rachsüchtigen Ex und der Verschwörung gegen Springer arbeitete, soll Vorstandsmitglied Stephanie Caspar laut FT stets geleugnet haben, von Affären Reichelts am Arbeitsplatz gehört zu haben, obwohl demnach mindestens fünf Angestellte Beschwerden vorbrachten.

Freshfields teilte der FT mit, der Untersuchungsbericht habe die Vorfälle, die von mehreren Frauen meist anonym geschildert worden waren, "klar und unvoreingenommen" dargestellt, einer der Anwälte soll Reichelt mitgeteilt haben, seine Mitarbeiterinnen hätten mehr Angst vor ihm als seinerzeit die VW-Angestellten vor ihrem Vorstand Winterkorn. Obwohl den Betroffenen Vertraulichkeit beim Compliance-Verfahren zugesichert wurde, soll Reichelt laut FT über die Ergebnisse der Untersuchung in Kenntnis gesetzt worden sein.

Erst als die New York Times vom Ausmaß des Falls berichtete, davon, dass Reichelt Scheidungspapiere gefälscht haben soll, um Kolleginnen von seiner Verfügbarkeit zu überzeugen, dass einer Mitarbeiterin eine größere Summe überwiesen worden sein soll mit dem Gebot der Verschwiegenheit, zog Döpfner die Reißleine.

SZ PlusEntscheidung über Mathias Döpfner
:Eine Frage der Verfassung

Die deutschen Zeitungsverleger entscheiden über die Zukunft ihres Präsidenten Mathias Döpfner. Dabei geht es um weit mehr als um den Springer-Chef, es geht um das Bild, das die Presse in diesem Land von sich selbst hat.

Von Nils Minkmar

Eine der ehemaligen Mitarbeiterinnen ist "schockiert" über die Haltung bei Springer

Immerhin hat Springer mit KKR eine amerikanische Investmentfirma im Haus. Die aber könnte laut FT weniger ein Korrektiv mit strengen US-Compliance-Standards als vielmehr Mitwisser gewesen sein. David Petraeus, früherer CIA-Direktor und seit 2013 als Chairman bei KKR, und Julian Reichelt kennen sich aus der Zeit, als Reichelt als Kriegsreporter für die Bild über das US-Militär in Irak und Afghanistan berichtete. Dem FT-Bericht zufolge soll Petraeus Ende Februar mit KKR-Verantwortlichen in Europa über Reichelt gesprochen haben. Der Artikel deutet an, dass er im Februar ein gutes Wort für Reichelt eingelegt haben könnte.

Nach der Veröffentlichung am Dienstagmorgen sagte eine der ehemaligen Mitarbeiterinnen Reichelts am Telefon, sie sei erleichtert, dass der Fall nun so offengelegt sei. Sie sei "schockiert", wie sehr es für Springer stets nur um die Wirkung in der Öffentlichkeit gegangen sei, während man "für die Betroffenen kaum Verantwortung übernommen hat".

Springer ließ nach der Veröffentlichung mitteilen: "Der Artikel zeichnet ein irreführendes Bild der Compliance-Untersuchung, der daraus gezogenen Konsequenzen, des gesamten Unternehmens und seiner Führung." In der FT hatte das Medienhaus zu Protokoll gegeben: "Rückblickend müssen wir zugeben, dass wir nicht alles richtig gemacht haben. Unser größter Fehler war, (Reichelt) zu lange zu vertrauen." Reichelt wiederum sagte der FT, die Anschuldigungen gegen ihn seien "Lügen". Für ihn gibt es offenbar trotz alldem ein Happy End: Er soll mit seiner aktuellen Freundin sehr glücklich sein, heißt es aus seinem Umfeld, sie ist Mitarbeiterin bei der Bild.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusInterview nach dem Fall Reichelt
:"In seiner Führungsrolle untragbar"

Julian Reichelt musste die "Bild" verlassen, jetzt sieht er sich als Opfer. Und die Frauen, die mit ihm gearbeitet haben? Ein Gespräch mit Anwalt Christian-Oliver Moser, der eine von ihnen vertritt.

Interview von Laura Hertreiter

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: