Anne Will zum Bundestagswahlkampf:Merkel hat "nicht alles falsch gemacht"

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Moderatorin Anne Will, AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel und FDP-Chef Christian Lindner (v.l.n.r.). (Foto: NDR/Wolfgang Borrs)

Ist Merkel als Kanzlerin alternativlos? Darum soll es bei Anne Will gehen, doch niemand will so recht darüber reden. Selbst AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel hält sich - fast - vornehm zurück. Doch dann kommt Christian Lindner.

TV-Kritik von Ruth Schneeberger

Geht es bei der Bundestagswahl im September wirklich demokratisch zu? Zurück aus der Sommerpause, will Anne Will wissen: "Merkel oder Merkel - Hat Deutschland nur diese Wahl?" Ein für das Demokratieverständnis in diesem Land und die Frage nach einer anerzogenen Alternativlosigkeit eigentlich spannendes Thema.

Doch leider will kaum jemand aus der Runde am Sonntagabend über diese Frage wirklich reden: "Wer die CDU will, soll die CDU wählen", attestiert FDP-Spitzenkandidat Christian Lindner großzügig. Auch wenn er ausdrücklich nicht darüber jubele, "dass Martin Schulz so abgeschlagen ist, denn die CDU führt einen Wohlfühlwahlkampf". Dazu passend lädt CDU-Fraktionschef Volker Kauder in die Brunnenstraße nach Berlin ein, wo die CDU ein begehbares Wahlprogramm mit einem unaussprechlichen Hashtag in einem Gebäude hat errichten lassen. Und AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel tut der Moderatorin zwar den Gefallen, auf ausdrücklichen Wunsch noch einmal zu wiederholen, dass sie Merkel wegen der Flüchtlingskrise für eine "Extremismus-Kanzlerin" hält, hält sich aber ansonsten für AfD-Verhältnisse vornehm zurück.

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Bleibt also nur SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann, der an diesem Abend Opposition spielen kann (Linke und Grüne waren gar nicht erst eingeladen, das soll aber noch nachgeholt werden), wobei ihm gerade noch rechtzeitig einfällt, dass seine Partei schon ziemlich lange mit in der Regierung sitzt. Brav lobt er deren Leistungen, sagt aber auch: Die (große) Koalition dürfe keine Dauereinrichtung werden, das wäre nicht gut für Deutschland. "Deshalb wollen wir die Kanzlerin ablösen, sie ist jetzt zwölf Jahre im Amt." In dieser Zeit habe sie "sicherlich nicht alles falsch gemacht", Merkel habe ihre Verdienste, "aber dieser Wohlstand kommt nicht bei allen an". Martin Schulz sei dagegen ein "hochmotivierter Kandidat". Als Anne Will betont, dass der in Umfragen im Gegensatz zu seinem Start aber nur noch bei 24 Prozent liegt - also weit entfernt davon, die Kanzlerin zu schlagen -, weiß Oppermann auch nicht mehr so recht weiter.

Was soll man auch sagen zu dem Phänomen der Wählergunst, das die Moderatorin extra noch einmal betont: Dass politische Krisen oft eben nicht der Kanzlerin, sondern lieber der SPD zugeschrieben werden.

So auch im aktuellen Dieselskandal. Und schon hat die Sendung ihr eigentliches Thema gefunden, über das es sich offenbar wesentlich leidenschaftlicher streiten lässt. Zwar sollte es eigentlich um Merkel gehen. Doch an der Diesel-Affäre entzündet sich stattdessen die lebhaftere Diskussion, die Volker Kauder für eine "Pseudo-Diskussion" hält, denn man dürfe "die Automobil-Industrie jetzt nicht kaputtreden". Christian Lindner versteht nicht, warum die Kunden in den USA entschädigt werden, in Deutschland aber nicht. Thomas Oppermann hat Mühe, zu rechtfertigen, warum die SPD im Aufsichtsrat von nichts gewusst habe. Und Alice Weidel sieht die Diskussion als ungerechtfertigt an, weil schließlich die erlaubte Abgaskonzentration am Arbeitsplatz viel höher sei als auf der Straße. Immerhin nimmt der Plausch darüber trotzdem rund ein Drittel der Sendezeit ein.

Und alles nur, weil die Gäste nicht so wirklich darüber reden wollen, ob Merkel alternativlos ist?

"Jetzt bitte nicht so tun, als wenn Merkel das alleine gewesen wäre"

Lindner versucht es am Ende trotzdem mit Kritik an der Regierungschefin - und wird fast niedergebrüllt von dem plötzlich vereinten Koalitionsduo Kauder und Oppermann, die in ihren Stühlen mit roten Köpfen auf den Außerparlamentarier zurücken. Lindner hatte es gewagt, der Kanzlerin zu unterstellen, in der Flüchtlingskrise zu emotional agiert zu haben. Merkel, "sonst eine nüchterne Person", neige unter Druck zu impulsiven Entscheidungen, "das halte ich nicht für gut", so Lindner. Sie habe im Alltag zu wenig für "die Krisen der Menschen" getan - "und in der krisenhaften Zuspitzung gibt es dann einen Affektüberschuss", also quasi eine Explosion des ansonsten zu wenig vorhandenen Mitgefühls. So erklärt sich das zumindest der Chef der FDP - der bekanntermaßen das Thema Empathie auch ganz besonders am Herzen liegt.

"Also jetzt bitte nicht so tun, als wenn Merkel das alleine gewesen wäre", ereifert sich Kauder, und über das Geschrei zur Flüchtlingsfrage sinkt die Moderatorin ermattet in den Sessel, müde "Man versteht gar nichts mehr" murmelnd. Da rettet ausgerechnet noch einmal Lindner die Runde, indem er sie zum Lachen bringt: "Das können Sie auch im Bundestag haben!", scherzt er über diesen Zustand des absoluten Chaos, den er somit verspricht ins Parlament einzubringen, sollte seine Partei in fünf Wochen über die Fünf-Prozent-Hürde gewählt werden.

Immerhin hat Kauder - da die Kanzlerschaft an diesem Abend also nun geklärt wurde und sich sogar die AfD schon damit abgefunden hat (Weidel: "Bei der Wahl im September wird uns Merkel wohl erhalten bleiben") - schon ein Versprechen abgegeben für Merkels neue Regentschaft: "Vollbeschäftigung in einer Welt voller Risiken!"

Klingt irgendwie bedrohlich. War aber bestimmt nett gemeint.

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