Urlaubsreisen für Jugendliche:Pack' die Wodkaflasche ein!

Ballermann statt Bildungsurlaub mit der Familie: Der Markt für Jugendreisen boomt, die Veranstalter werben mit "Lernen in der sozialen Gruppe". Doch auf solchen Fahrten wird oft oft mehr gebechert als gelernt - zur Sorge der Eltern.

Titus Arnu

Die Party am Flussufer muss irgendwann ausgeufert sein. Jochen (Namen geändert) kam auf die Idee, aus Betonblöcken eine Insel in der Flussmitte zu bauen und riss einen der zentnerschweren Brocken aus der Uferbefestigung. 15-jährige Jungen machen so etwas, besonders unter Alkoholeinfluss. Dann fühlen sie sich stark und mutig. Jochens Freunde, eine Horde 14- bis 16-Jähriger mit Bierflaschen und Zigaretten in der Hand, feuerten ihn an. Der Betonklotz rutschte Jochen dann aus der Hand, fiel ihm auf den Fuß - und plötzlich lag ein großer Zeh im Gras.

British Holidaymakers In Lloret De Mar

Lloret del Mar an der spanischen Costa Brava ist alljährlich Ziel zahlreicher Jugendreisen. Die wollen hier vor allem eins: Party.

(Foto: Getty Images)

Bei Manuel uferte die Party schon kurz nach der Abfahrt aus. Für die Busreise ins Feriencamp in Kroatien hielten seine Kumpels mehrere Sixpacks im Handgepäck bereit. Manch ein Halbwüchsiger verträgt eine Busfahrt in Kombination mit lauwarmem Bier nicht so super, deshalb mussten sich die ersten Passagiere bald übergeben. Die zehn Tage im Camp liefen nach einem festen Rhythmus ab: bis mittags schlafen, Strand, saufen - und wieder bis mittags schlafen.

Gilt so etwas tatsächlich als gelungene Freizeitgestaltung? Will man, dass die eigenen Kinder auf diese Weise ihre Sommerferien verbringen? Die Frage stellt sich irgendwann in jeder Familie. Die Kleinen, die körperlich längst genauso groß sind wie ihre Eltern, wollen nicht mehr mitfahren in den gemeinsamen Sommerurlaub. Ein schattiges Landgut in der Toskana? Langweilig. Zelten auf Korsika? Igitt. Kirchen anschauen im Burgund? Ätzend. Die Kinder im Teenageralter finden sowieso alles peinlich, was ihre Eltern machen, ein gemeinsamer Urlaub wäre eine Demütigung für alle Beteiligten. Also schickt man sie alleine in ein Feriencamp.

Die Vorstellungen, wie eine Sommerfreizeit sinnvoll gestaltet werden kann, können dabei allerdings stark differieren. Der 15-jährige Sohn hat das Konzept "Cuba Libre an der Costa Brava" im Kopf, den Eltern schwebt eher das Modell "Französisch büffeln am Meer" vor. Was Teenager unter Freizeitvergnügen verstehen, ist aus Sicht vieler Eltern eine reine Sauftour. Und was Eltern sich für ihre Kinder ausdenken, empfinden diese oft als Schule mit anderen Mitteln. Egal, wo die Reise dann hingeht, die Eltern bleiben mit gemischten Gefühlen zu Hause zurück.

Einerseits möchte man den Teenagern die elternlose Zeit gönnen, andererseits bleibt da diese Angst vor abgetrennten Zehen, ausgepumpten Mägen oder Schlimmerem. Hat man als Vater oder Mutter überhaupt noch einen Einfluss auf die Jugendlichen, wenn diese in Lloret de Mar zum ersten Mal einen Zehn-Liter-Eimer Sangria sehen? "Die Eltern sind in dieser Zeit sehr, sehr weit weg", sagt Stephan Schiller vom Bundesforum Kinder- und Jugendreisen, "deshalb ist es um so wichtiger, den Reiseveranstalter sorgfältig auszusuchen."

Milliarden für megahammergeile Locations

Das Angebot reicht von Sprachferien in Südengland über Surfkurse an der französischen Atlantikküste bis zum Besinnungs-Waldlager der Katholischen Jugend. Und der Markt boomt: Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene geben pro Jahr zwölf Milliarden Euro für Reisen aus, jeder dritte deutsche Urlauber ist jünger als 26 Jahre. Reine Party-Reisen werden immer beliebter, die Anbieter locken mit "megahammergeilen Locations", "Super-Stimmung" und günstigen Unterkünften, "nur 250 Meter von der Discomeile entfernt."

Erholung ist eher nicht das Ziel einer Jugendreise, es geht um Fun, Fun, Fun. Wichtigste Zentren des Party-Tourismus: Mallorca, die Costa Brava, die bulgarische Schwarzmeerküste, Kroatien, Rimini. Wenn die jugendlichen Touristen dort Aktivitäten wie "Flunky-Ball", "Käpt'n Blaubär" oder "Bierkistenrennen" nachgehen, sind das übrigens keine sportlichen Herausforderungen, sondern Saufspiele, bei denen es darum geht, möglichst schnell den Pegel zu erhöhen.

Grundsätzlich gelten bei solchen Reisen die deutschen Jugendschutzgesetze: Alkohol ist ab 16 Jahren erlaubt, harte Getränke gibt es erst ab 18. "Generell gilt: Trunkenheit wird nicht geduldet", betont das Touristikunternehmen Ruf, Marktführer bei Jugendreisen, "in unseren Unterkünften ist zudem hochprozentiger Alkohol untersagt." Wie sind dann die Exzesse zu erklären, von denen immer wieder berichtet wird? Bei vereinzelten Partyreisen soll es sogar zum Komasaufen gekommen sein.

"Auf dem Markt der Jugendreiseveranstalter gibt es ein paar schwarze Schafe", sagt Stephan Schiller vom Jugendreise-Forum. Eltern, Teilnehmer und Betreuer berichten dem Forum immer wieder über Verstöße gegen die Jugendschutzgesetze. "Statt Kultur und Sprache lernt man vor allem die nationalen Trinkspiele kennen", beurteilte ein 16-jähriger Teilnehmer einer Sprachreise seine Erlebnisse. Kommt so etwas wiederholt vor, wird der Reiseveranstalter vom Bundesforum ausgeschlossen.

Dem Bundesforum gehören 80 Veranstalter an, die Kinder- und Jugendreisen organisieren, das entspricht fast 90 Prozent des deutschen Marktes. Wer Mitglied ist, verpflichtet sich, die Gesetze und die Leitlinien der Vereinigung zu befolgen. Es wird ein optimaler Betreuungsschlüssel garantiert, und die Ausbildung der Betreuer muss bestimmten Qualitätsstandards genügen. Außerdem spielt die Sicherheit bei den Busreisen eine wichtige Rolle; der Kinderschutzbund und der TÜV überprüfen die Angebote regelmäßig und vergeben Qualitätssiegel.

Volles Party-Programm

Wie findet man beim Buchen der Reise als Erziehungsberechtigter die Balance zwischen notwendiger Kontrolle und Freiheit? Schiller rät, auf das Kleingedruckte zu achten und auf die Anzahl der Betreuer. Bei Sechsjährigen empfehle sich ein Betreuer für sechs Kinder, bei Zwölfjährigen liege der Schlüssel bei 1:12, bei 14-Jährigen 1:14 und so weiter. Wichtig ist auch ein Blick auf das Programm: Je vielfältiger die Freizeitangebote sind, desto geringer ist die Gefahr, dass sich Jugendliche aus purer Langeweile volllaufen lassen.

Oft besteht das Programm allerdings nur aus einem Fest nach dem anderen. Ein Veranstalter wirbt beispielsweise für eine Partyreise nach Bulgarien mit der hohen Club-Dichte: "Feiert zusammen mit dem Partyvolk aus aller Welt und mit euren Teamern, ..., die City von Siofok bietet außerdem noch einiges mehr - zahlreiche Clubs, Bars und Cafés findet ihr auf der Partymeile im Zentrum." Dabei gilt die Faustregel: möglichst viel Spaß für möglichst wenig Geld. Schon für 100 Euro kann man mit dem Bus nach Kroatien fahren, Verpflegung und Programm inklusive. Ein niedriger Preis lasse allerdings nicht unbedingt Rückschlüsse auf eine schlechte Qualität zu, sagt Schiller.

Überhaupt seien die meisten Jugendreisen besser als ihr Image, findet der Experte. Dass Partyreisen nicht zwangsläufig zum Massenbesäufnis mutieren müssen, beweist etwa das Angebot "Festivalcamp Rügen" für 12- bis 15-jährige Teenager, mit dem die Jugendreisen der Firma Ruf den Deutschen Tourismuspreis 2010 gewonnen hat. Der Deutsche Tourismusverband lobte, das Angebot übertrage die "Lebensträume der Teenager in ein stimmiges Urlaubskonzept". Im Festivalcamp veranstalten die Jugendlichen zusammen Konzerte, feiern Partys und studieren ein Musical ein. Kreativität ist dabei wichtiger als Alkoholkonsum.

"Das Lernen in sozialen Gruppen ist ein wichtiger Aspekt solcher Reisen", sagt auch Experte Stephan Schiller. Den Eltern muss es ja nicht gefallen. Wie im Fall von Jochen und der missglückten Party am Flussufer. Dessen Freunde haben an dem Tag immerhin gelernt, was man mit einem abgetrennten Zeh macht - in eine Tüte packen, gut kühlen und im Krankenhaus wieder annähen lassen.

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