Menstruation:Gedichte gegen die Scham

Eco Femme Stoffbinden

Wiederverwendbare Stoffbinden von Eco Femme

(Foto: Eco Femme)

Menstruation ist in Indien ein Tabu. In ihrer Verzweiflung schwänzen Mädchen während ihrer Periode die Schule oder brechen sie ab. Der Widerstand gegen das "Period Shaming" wächst - auch bei Männern.

Von Franziska Pröll

"Sie liebte Biologie. Wollte Ärztin werden. Dann übernahm die Biologie sie. Nie wieder sah sie die Schule von innen." Weiße Buchstaben auf blutrotem Untergrund. Diese Zeilen sind Teil einer Facebook-Kampagne, ein Stück "Period Poetry". Athira Unni, eine Studentin aus Indien, hat das Gedicht in englischer Sprache verfasst. Sie folgte dem Aufruf der studentischen Initiative "The Haiku". Diese wendet sich mit kleinen Gedichten gegen ein großes Tabu in der indischen Gesellschaft: die weibliche Menstruation.

"Wir studieren Medizin, sind angehende Ärzte - doch lange sprachen nicht einmal wir darüber, dass Frauen ihre Tage haben", sagt die Medizinstudentin Sreya Salim. Stattdessen schämten sich Sreya und ihre Kommilitonen. Mit dem Start der "Haiku"-Kampagne wollten sie dem "Period Shaming" ein Ende setzen. Sreya gab den Anstoß dafür: "Ich fühlte mich bereit, die Stimme zu erheben, zu streiten, zu rebellieren." Das war vor zwei Jahren. Seitdem haben Sreya und mehrere Mitstudierende über 100 Kurzgedichte, sogenannte Haikus, aus ganz Indien gesammelt. Schüler und Studierende, vor allem der Medizin, haben sie geschrieben. Die Verse strotzen vor Emotion. "Frust, Wut, Scham, Schmerz, Hoffnungslosigkeit - alles ist dabei", so Sreya.

",Weiblichkeit', sagte ihre Mutter. ,Erwachsen', rief ihre Schwester. ,Verantwortung', mahnte ihr Lehrer. ,Eingesperrt', klatschte die Gesellschaft", so bringt Sreya in ihrem Gedicht die Situation der Frauen in Indien auf den Punkt. Diese schweigen über ihre Menstruation, weil die Gesellschaft sie dazu auffordert. Ihr Schweigen ist sichtbar: In Großstädten verstecken sie Binden nach dem Kauf in braunen Tüten oder wickeln sie in Zeitungspapier - und eilen nach Hause. In ländlichen Gegenden, wo es nur kleine Dorfläden gibt, verzichten Frauen häufig darauf, Binden zu kaufen, weil sie sich vor den männlichen Verkäufern genieren. Noch weniger kommt für sie der Kauf von Tampons infrage, die man ja einführen muss, genau wie Mentruationstassen.

Hinzu kommt, dass auf dem Land der hinduistische Glaube stärker verwurzelt ist. "Während der Menstruation gelten Frauen drei bis vier Tage als unrein", sagt Heike Oberlin, Professorin für Indologie an der Universität Tübingen. In dieser Zeit dürfen Mädchen und Frauen weder Pickle, das beliebte eingelegte Obst und Gemüse, noch blühende Pflanzen anfassen. Sie dürfen Tempel und Küche nicht betreten. Während die restliche Familie bei Tisch sitzt, kommt es vor, dass Frauen ihr Essen am Boden zu sich nehmen müssen oder nachts nicht im eigenen Bett schlafen dürfen. Sona Vijay durfte nicht einmal ihren eigenen Sohn berühren, nachdem er gestorben war, und schreibt sich ihren Kummer von der Seele: "Sie fütterte ihn, badete ihn. Sie liebte ihn. Jetzt liegt er da, regungslos, in weißen Stoff gewickelt. Sie darf ihn nicht berühren, sagen sie. Sie blutet."

Die religiös abgeleitete Unreinheit hat Folgen: 23 Prozent der Mädchen brechen die Schule nach Einsetzen der ersten Menstruation ab. Oder aber die Eltern nehmen ihre Töchter von der Schule, weil sie diese nun für heiratsfähig halten. Meistens bleiben Mädchen dem Unterricht jedoch fern, weil sie nicht wissen, wie sie ihre Blutung in den Griff kriegen sollen.

Indische Schulen haben nur selten Toiletten, somit fehlt Mädchen der Rückzugsort, an dem sie sich ungestört um ihre Intimhygiene kümmern können. Besonders bei stärkeren Blutungen haben sie Angst, dass Blutflecken sie verraten könnten. Daher erscheinen viele, wenn sie ihre Tage haben, gar nicht erst zum Unterricht - und fehlen so pro Jahr an bis zu 50 Tagen. Mit gravierenden Folgen für ihre Bildung.

Schule schwänzen - aus Scham

Gegen diesen Teufelskreis setzt sich eine Initiative namens "The Red Cycle" ein. Gegründet wurde sie von einem jungen Mann, Arjun Unnikrishnan, damals selbst noch Schüler. Er wollte, wie er sagt, "auch Jungen mit der weiblichen Periode vertraut machen" und Mädchen erklären, "was währenddessen in ihrem Körper passiert und wie sie damit umgehen können". Da er aus dem Unterricht wenig über die Menstruation wusste, las Arjun Bücher und informierte sich bei einer Lehrerin. Er begann, vor Schülern Vorträge zu halten. Bald bekam Arjun Unterstützung von ein paar Mitschülern, Jungen und Mädchen, die Gruppe nannte sich "Der rote Zyklus". Heute besteht sie im Kern aus Arjun, drei jungen Frauen und zwei Männern. Die Studierenden halten Vorträge und veranstalten Talkrunden an Schulen und Universitäten. Sie sind unterwegs im gesamten Bundesstaat Kerala, im Süden des Landes.

Dort leben mehr Menschen mit höherer Bildung in eher urbanen Gebieten, die Bewohner wissen über den weiblichen Zyklus bereits besser Bescheid als im Rest des Landes. Neben Kerala liegt der Bundesstaat Tamil Nadu. Dort sitzt in der Stadt Auroville das Unternehmen "Eco Femme", das waschbare Stoffbinden für Frauen herstellt. Die "Eco Femme"-Gründerinnen, Jessamijn Miedema und Kathy Walkling, sprechen regelmäßig mit Mädchen und Frauen über den biologischen Prozess der Periode, die Nutzung von Hygieneartikeln und deren Entsorgung. Für ihre Gespräche reisen sie auch in entlegene, ländliche Gebiete im Norden Indiens. Immer wieder erfahren Miedema und Walkling, dass dort die Kosten der Monatshygiene "für die meisten Frauen die größte Sorge" seien.

Wie eine Studie belegt, verwenden nur zwölf Prozent der indischen Frauen im fruchtbaren Alter Binden. Viele der Übrigen können sich Hygieneartikel nicht leisten. Eine wasch- und wiederverwendbare "Eco Femme"-Stoffbinde kostet umgerechnet 3,20 Euro, eine herkömmliche Binde zwischen sieben und 16 Cent. Klingt günstig. Doch in einem Land, in dem jede fünfte Person täglich mit weniger als 1,60 Euro leben muss, ist es das nicht.

Wer sich keine Binden leisten kann, verwendet Stofffetzen. Oder behilft sich mit Zeitungspapier, getrockneten Blättern, Moos, mitunter sogar Asche. Auch aus Unwissenheit greifen Mädchen und Frauen dazu - weil sie noch nie eine Binde gesehen und nichts darüber gehört haben. Obwohl der Schulunterricht über menstruelle Hygiene aufklären sollte, tut er das oft nicht. Arjun zufolge sei das Thema vielen Lehrern "unangenehm". Sie würden es auslassen, nur sehr oberflächlich oder erst am Ende der Schulzeit behandeln. In Familien wird wenig oder gar nicht über Menstruation gesprochen.

Mädchen, die zum ersten Mal ihre Tage bekommen, wissen deshalb oft nicht, was mit ihrem Körper passiert. Viele sind besorgt, denken, sie seien krank. Nur wenige sprechen über ihre Blutungen, nicht einmal mit guten Freundinnen. Andere Mädchen suchen in ihrer Hilflosigkeit nach Rat. Eine Zwölfjährige hatte gerade Unterricht, als sie zum ersten Mal ihre Tage bekam. Sie wandte sich an die Lehrerin. Diese ließ das Mädchen den roten Fleck auf seiner Hose den Mitschülern zeigen. Es war das letzte Mal, dass man sie in der Schule sah. Die Schülerin nahm sich das Leben.

Indien sei eine "abstoßende Gesellschaft", empört sich die indische Journalistin Bijsmita Debnath nach dem Selbstmord in einem offenen Brief auf der Plattform Youth Ki Awaaz. "Der Kampf ist noch lange nicht gewonnen", schreibt "The Red Cycle" bei Facebook. Das Beispiel des Mädchens zeigt: Es ist wichtig, dass Arjun und seine Mitstreiter weiter kämpfen. Bis die Menstruation in Indien als das gesehen wird, was sie ist: Ein Zeichen der Fruchtbarkeit - ein Beweis für die Fähigkeit der Frau, Leben zu schenken. Kein Grund, sich zu schämen.

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