Heiraten:Noch so eine total individuelle Hochzeit

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Eine Hochzeit ohne Ballons? Undenkbar! (Foto: imago; Bearbeitung SZ)

Die Hochzeitssaison hat begonnen - und damit ein Sommer mit ziemlich ähnlichen Tagen. Wieso heiratet eigentlich niemand im Schnee? Oder wirklich im kleinen Kreis? Und endlich mal: ohne Helene Fischer?

Von Anna Fischhaber

"Und jetzt bitte noch einen persönlichen Glückwunsch ins Fotoalbum des Brautpaares", raunt uns der Trauzeuge zu. "Ihr dürft ruhig kreativ sein!" Dabei hatten wir uns nach der Videobotschaft und der Grußkarte für den Herzluftballon gerade auf eine kreative Pause gefreut. Aber gut, dann zücken wir eben noch mal Buntstifte und Kleber. Susanne und Thomas sollen ihre Hochzeit schließlich in guter Erinnerung behalten. Und wir sind ja in Übung: Auch Tine und Horst, die Anfang Mai geheiratet haben, wollten - genau wie Flo und Holger letztes Wochenende - Luftballons, ein Video, ein Album. Alles ganz individuell, natürlich.

So sehr ich mich jedes Mal freue, dass der Kollege, die Schulfreundin, der Studienkumpel nun auch die Liebe ihres Lebens gefunden haben, so oft frage ich mich mit Beginn der Hochzeitssaison: schon wieder? Muss das sein? Denn egal, wie oft der Kollege, die Schulfreundin, der Studienkumpel versprochen haben, wenn er oder sie mal heirate, werde wirklich alles ganz anders (keine Spiele, keine Krawatte, keine Kirche, nur ganz klein, allerengster Kreis und so), wird es das eigentlich nie.

Es beginnt mit der Location. Während das Brautpaar seine Abende normalerweise in hippen Großstadtbars verbringt und dem Besuch einer Provinzdisco spätestens seit Beginn des Studiums nur noch aus ironischen Gründen zustimmt, scheint die Hochzeitsfeier in eben jener Provinz ein Muss. Je weiter die Anreise, desto besser. Und so verbringen wir unsere Nächte nicht im eigenen Bett, sondern auf durchlegenen Matratzen in seltsamen Landgasthöfen, weil es in der Nähe des wahlweise echt romantischen (und ziemlich preiswerten) Schlosses in Brandenburg oder des echt süßen (und nicht ganz so preiswerten, dafür ökologisch einwandfreien) Landguts in der fränkischen Provinz kein anderes Hotel gibt. Weil hier niemand Urlaub macht. Außer Hochzeitsgästen.

Immerhin: Einen Kater hat am nächsten Morgen nur einer, der andere hat den ganzen Abend Wasser getrunken, weil er mit dem Auto zu jenem mindestens 20 Kilometer entfernten Landhotel fahren musste. Und: Wir müssen uns keine Gedanken mehr über unseren Sommerurlaub machen, weil alle, wirklich alle dieser Hochzeiten zwischen Mai und September stattfinden. Wieso? Offenbar haben Brautpaare keinen Sinn für die Romantik von Schneeflocken. Der Vorteil: Wir erkunden, anstatt uns mit Hunderten anderen Touristen um den besten Platz am Strand zu streiten, zwischen den Hochzeiten ganz allein die unbekannten Schönheiten Brandenburgs.

Die Zahl der Eheschließungen steigt in der Bundesrepublik seit Jahren. Ihre Hochzeitsfeier lassen sich die Deutschen einiges kosten. Mindestens jeder Dritte (36 Prozent) ist bereit, mehr als 5000 Euro auszugeben. Ähnlich viele (38 Prozent) würden für den schönsten Tag im Leben zwischen 1000 und 5000 Euro einkalkulieren, hat gerade eine Umfrage ergeben. Eine ganze Branche von Weddingplannern, Hochzeitsfotografen und Brautmodedesignern lebt inzwischen davon, dafür zu sorgen, dass der schönste Tag im Leben auch wirklich schön wird. Einmalig, traumhaft, perfekt eben. Aber wieso läuft dieser Tag dann bei ganz unterschiedlichen Paaren so ähnlich ab?

Powerpoint-Präsentationen und Helene Fischer

Ich war im vergangenen Jahr auf sieben Hochzeiten. Natürlich gab es die einmaligen, lustigen und rührenden Momente. Die wilden Massenumarmungen auf der Tanzfläche. Aber bis es so weit war: Brautvaterreden mit der immer gleichen Botschaft ("Eigentlich rede ich ja nicht gern, aber jetzt muss ich doch mal sagen, was für ein Superpapa ich bin, der seine Supertochter an einen Mann abgibt, den ich eigentlich nicht für gut genug halte"), Powerpoint-Präsentationen mit Erinnerungen, an die sich niemand - am allerwenigsten das Brautpaar selbst - noch einmal erinnern wollte. Und, natürlich, immer wieder "Atemlos".

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Nicht, weil meine Freunde alle Buffets lieben und den gleichen Helene-Fischer-ist-doch-gar-nicht-so-mies-Musikgeschmack haben. Sondern weil sie offenbar alle unter dem gleichen Druck stehen. Dem Druck, es recht machen zu wollen. Nirgends fällt das mehr auf als bei der Musik, die im besten Fall Mainstream ist. Im schlechtesten ein kruder Mix an Stilen - wie die Gäste eben auch.

Auf einer dieser sieben Hochzeiten führte das dazu, dass sich die Kastelruther Spatzen mit Latino-Techno abwechselten, um sowohl seine fränkische Familie wie auch ihre chilenischen Freunde zum Tanzen zu bewegen. Dazu trug die Gesellschaft Partyhüte, wie man es auf chilenischen Hochzeiten eben macht - selbst wenn sie auf fränkischen Burgen stattfinden. Es war ein schöner Abend, wirklich. Aber nicht wegen, sondern trotz der Musik. Dabei hatte sich meine Freundschaft zum Bräutigam einst vor allem auf der gemeinsamen Vorliebe für Indie-Konzerte begründet.

Eine Hochzeit macht aus Freunden Fremde. Da ist die Atheistin, die plötzlich schon immer auch ein bisschen Katholikin war, weil Heiraten unter den bunten Fresken in einer Dorfkirche eben viel romantischer ist als unter Rigipsplatten im Standesamt. Da ist die Feministin, die sich vom eigenen Vater zum Altar führen und dort dem künftigen Ehemann übergeben lässt. Inklusive weißem Rüschenkleid und Schleier.

Da ist der Freund, der auf seinem Hochzeitsfest unbedingt nur Pommes servieren wollte, aber auf derart viel Widerstand von seiner Mutter und dem Wirt stieß, dass es dann doch Kalbsragout und Forellenfilet gab. Und schließlich das Paar, das nur im engsten Kreis heiraten wollte, der dann aber doch auf 120 Gäste erweitert wurde. Weil Tante Emma, die man seit 20 Jahren nicht mehr gesehen hat, sonst traurig gewesen wäre. Und weil Max, der Cousin vierten Grades, nicht fehlen darf, wenn Britta, die Cousine dritten Grades, auch da ist. Oder hieß sie Birgit?

Hochzeitsplanungen verändern Menschen. Weil alle mitreden wollen. Weil es offenbar nicht so leicht ist, sich über Verwandte und Traditionen hinwegzusetzen. Weil Individualität eben auch ganz schön anstrengend sein kann. Wer will schon Streit an einem Tag, der vor allem harmonisch sein soll? Also beugen wir uns.

Manche von uns sind darüber vielleicht sogar froh. Weil dieses Wir-machen-das-aber-ganz-anders-Gerede ja auch ein bisschen Show ist. So wie man früher gesagt hat, dass man diesmal echt nicht auf die Schulaufgabe gelernt hat und es einem ganz schlecht ging. Diese Koketterie, die Bescheidenheit beweisen soll, damit ja niemand auf die Idee kommt, man wolle sich selbst groß inszenieren - obwohl man bei seiner Hochzeit doch eigentlich genau das will.

Neulich war ich auf einer Hochzeit, auf der wirklich alles anders war. Das Paar feierte im Garten der Eltern, eine großartige Band spielte. Reden und Spiele waren ebenso verboten wie Anzug und Abendkleid. Folglich saß die Gesellschaft, die hauptsächlich aus wirklich guten Freunden bestand, in Jeans und Kapuzenpulli vor Würstchen und Bier. Gut, es regnete, aber es war wirklich ein schönes Fest. Nur wie eine Hochzeit fühlte sich der Abend ohne das ganze Brimborium nicht an. Vielleicht hätte ein bisschen Helene Fischer geholfen.

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