Heiraten in Afghanistan:Verlobung ohne Braut

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Wer weniger als 500 Leute einlädt, ist ein Geizhals: In Kabul boomt das Geschäft mit Familienfesten - doch selbst bei Hochzeiten müssen Männer und Frauen getrennt feiern.

Tobias Matern, Kabul

Die Pforte ist eine Mondsichel, 30 Meter groß und aus Metall gegossen. Sie strahlt hell und kraftvoll, so wie alles hier. Lichterketten in Blau, Grün, Rot und Lila funkeln wild durcheinander. Ein überdimensionierter, weißer Stern blinkt in der Mitte. Die Fassade des modernen Palastes ist aus verdunkeltem Glas, auf dem sich die Lichtspiele spiegeln. Das Gebäude versprüht Las-Vegas-Charme: Ein Plastik-Springbrunnen sprudelt, von drinnen tönt Musik.

Bei der Wahl ihres Hochzeitskleides dürfen afghanische Frauen noch mitentscheiden - doch die Verlobungsformalitäten regeln die männlichen Familienangehörigen unter sich. (Foto: AP)

Männer mit glänzenden Anzügen springen aus den vorfahrenden Autos. Sie knöpfen sich die Sakkos zu, bevor sie einen letzten, prüfenden Blick in den Seitenspiegel werfen. Die jüngere Generation trägt die Haare gegelt und kommt im legeren FC-Barcelona-T-Shirt oder der Festtagsversion des Shalwar Kamiz - ein langes Hemd mit Pluderhose, bestickt mit Perlenimitaten. Manche Damen kommen in schulterfreien Kleidern von einer anderen Seite, die Mädchen tragen Lackschuhe und aufwendige Frisuren.

Abends verwandelt sich der Moloch

Tagsüber ist Kabul eine von Abgasen und Fäkalien verdreckte, staubige Stadt, die dem Besucher nicht wegen ihrer Schönheit, sondern der Luft den Atem raubt. Abends verwandelt sich dieser Moloch. Zumindest in manchen Stadtteilen beginnt das große Glitzern.

In Glaspalästen wie der City Star Hall laden wohlhabende Familien zu Hochzeiten und Verlobungen ein. Das ist ein teures Vergnügen, vor allem weil die Gastgeber als Geizhälse gelten, wenn sie nicht mindestens 500 Freunde, Bekannte und Geschäftspartner um sich scharen. Unter 200 Teilnehmern ist in der City Star Hall erst gar kein Raum zu bekommen. Das Geschäft boomt.

"Wir haben gerade Hochsaison", sagt Ramatullah Zaheer. Der Logistik-Manager der City Star Hall hat wenig Zeit, er hastet von einem potentiellen Auftraggeber zum nächsten. Sein Arbeitsplatz ist ein Raum, in dem Sessel und Zweisitzer großzügig verteilt stehen, und der direkt neben dem blinkenden Hautgebäude gelegen ist. Der Teppich in Zaheers Büro ist flauschig, die ausladenden Obstschalen haben die Form von Schwänen. Auf dem Schreibtisch steht eine Maschine, die Geldscheine zählt, daneben ein vergoldeter Globus.

Wer hier seine Kinder verheiratet - Ehen werden in Afghanistan zwischen den Familien arrangiert -, muss betucht sein. Umgerechnet bis zu 15 Euro kostet ein Essen samt Raummiete pro Gast. Ein durchschnittlich verdienender afghanischer Polizist könnte von seinem Monatsgehalt gerade einmal einen einzigen Tisch für zehn Personen decken lassen.

Die Männer, die um Zaheers Aufmerksamkeit buhlen, sind offensichtlich nicht bei der Polizei angestellt. Nicht die hohen Preise sind ihr Problem, sondern die Termine. Zaheer lächelt geduldig, bietet jedem Interessenten den obligatorischen Tee, Karamellbonbons, Pistazien und viele freundliche Worte an. In den meisten Fällen verweist er auf eine Warteliste. "Wir sind bis August fast komplett ausgebucht", sagt der 34-Jährige. Allerdings betont er: "Ich gebe religiösen Gruppen, die hier ihre Feste feiern, Nachlässe, aber den Hochzeitsgesellschaften eher nicht."

Der gläubige Moslem, der durch diese Zeremonien sein Geld verdient, lehnt die Musik ab, die Bands dabei spielen. So etwas sei unislamisch und habe einen "negativen Einfluss auf den Verstand", findet er. Auch kämen manche Frauen zu leicht bekleidet zu so einem Fest. Die Taliban sind zwar nicht mehr an der Macht, aber Afghanistan ist trotz kleiner liberaler Errungenschaften nach wie vor eine konservativ geprägte Gesellschaft.

Die Regierung von Präsident Hamid Karsai plant, das Treiben in den Hochzeitshallen zu reglementieren. Die Damen müssten sich an einen strikten Dresscode der Scharia entsprechend halten, heißt es in einem Gesetzesentwurf: Enge und transparente Kleidung gehöre verboten.

Dabei gilt schon die Regel: Frauen und Männer feiern getrennt. Im hinteren Teil des sich über mehrere Gebäude erstreckenden Komplexes steigt an diesem Abend eine Verlobungsparty. Die Tische sind in Weiß gedeckt. Ausladende Kronleuchter bestrahlen den Saal, der etwa 100 Meter lang ist, besser gesagt: zwei Mal 50 Meter. Ein durch den ganzen Raum verlaufender Sichtschutz hält den männlichen Teil der Gesellschaft davon ab, einen Blick auf das Paar und die weiblichen Gäste zu erhaschen. Bis auf engste Angehörige und den zukünftigen Bräutigam sind keine Männer auf der Frauenseite erwünscht. Nur die Band erinnert in den rockig angehauchten, auf Dari gesungenen Songs die Herren an die Schönheit von Damen.

Unter den Kommunisten feierten die Geschlechter noch zusammen

In den achtziger Jahren, als die Kommunisten an der Macht waren, feierten die Geschlechter in Afghanistan noch zusammen, erzählt Abdul Ghafoor Rasa, während er die erste Vorspeise kostet: Mandeln mit Zuckerkruste, dazu gibt es Tee. "Heute sitzen meine Frau und unsere Töchter auf der anderen Seite des Raumes", sagt der 56-Jährige. Sein Sohn ist mit dem Bruder des Bräutigams befreundet. Und damit ist es für dessen Familie Ehrensache, die Rasas einzuladen.

Die Kellner in den schwarzen Westen und roten Poloshirts lassen nur wenige Minuten zwischen den Gängen verstreichen. Knusprige Teigtaschen kommen nun auf den Tisch. Rasa erzählt: Während des Bürgerkriegs in den neunziger Jahren und dann vor allem unter den Taliban seien große Feste in Kabul nicht möglich gewesen. "Sie haben viel Dunkelheit über dieses Land gebracht, das ist nun zum Glück wieder besser geworden", sagt er.

Die Band legt eine Pause ein, als die mit Chili und Koriander gewürzte Hühnersuppe auf den Tisch kommt. Abdul Ghafoor Rasa lässt sie kalt werden. Er beschreibt wortreich seinen innigsten Wunsch: dass Afghanistan keine Sicherheitsprobleme mehr habe und die Gesellschaft wieder gemischte Hochzeitsfeiern akzeptieren werde.

Zwischen Suppe und Hauptgang kommt der zukünftige Bräutigam auf die männliche Seite des Raumes. Der junge Mann trägt einen eleganten grauen Anzug, darunter ein weißes Hemd. Im Gefolge hat er den männlichen Teil seiner Familie. Ein Mullah spricht in einem angrenzenden Zimmer einige Verse aus dem Koran. Es kommt zum Verlobungsversprechen.

Die zukünftige Braut ist nicht anwesend, das sei so üblich, erzählt ein Gast. Für sie bestätigt ein Mann aus ihrer Familie das Bündnis.

Als die Zeremonie vorbei ist, schreitet der Bräutigam feierlich alle Tische ab, begrüßt die meisten der etwa 300 männlichen Gäste per Handschlag. Die Band beginnt wieder zu spielen, Brüder und Cousins tanzen ausgelassen um den frisch Verlobten.

Kurz darauf geht der Bräutigam in den anderen Teil des Saales zurück. Die Kellner tragen nun den Hauptgang auf: Reis mit Rosinen und Mandeln, Hühnchen, Hammel, Oliven und Brot. Dazu gibt es Limonade. Die Männer essen schweigend und schnell. Es dauert nicht lange, bis die Kellner abräumen. Die ersten Gäste machen sich auf den Heimweg. Draußen funkeln und blitzen die Lichter der City Star Hall noch immer.

© SZ vom 20.06.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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