Die Idole der Jugend:Wenn Langeweile sexy ist

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Sie sind brav, keusch und langweilig: die Idole der Jugend. Warum die Teenies trotzdem für Robert Pattinson, Miley Cyrus & Co schwärmen, erklärt der Kinder- und Jugendpsychiater Gunther Klosinski.

Ulrike Bretz

Sie sind brav, keusch und langweilig: die Idole der Jugend. Warum die Teenies trotzdem für Robert Pattinson, Miley Cyrus & Co schwärmen, erklärt der Tübinger Kinder- und Jugendpsychiater Gunther Klosinski.

Die Stars können so langweilig sein, wie sie wollen - oder sogar aus Wachs, wie Robert Pattinson in Madame Tussauds in London. Die jugendlichen Fans kreischen trotzdem. (Foto: AFP)

sueddeutsche.de: Lange galten Bushidos Texte vielen Jugendlichen als Bibel. Heute gilt: No Sex, no Drugs, no Rock'n'Roll: Die Jonas-Brothers singen von Enthaltsamkeit, Miley Cyrus mimt den Unschuldsengel, und "Twilight"-Vampir Edward Cullen spielt den verständnisvollen Traummann. Was haben die Werte, die die Teenie-Stars verkörpern, überhaupt mit der Realität der Jugendlichen zu tun?

Gunther Klosinski: Es ist die Botschaft, die Jugendliche in der Pubertät auch von ihren Eltern hören. Den Mädchen wird gesagt, dass sie aufpassen sollen, dass sie sich nicht zu schnell herschenken oder sich mit jedem auf ein Abenteuer einlassen sollen.

sueddeutsche.de: Aber im wirklichen Leben interessieren sich die Jugendlichen doch immer früher für Sexualität und schauen sich Porno-Filme auf dem Handy an. Das klingt nicht besonders enthaltsam.

Klosinski: Sie beschäftigen sich nur deshalb damit, weil es verboten ist. In der Phase der Vorpubertät probieren die Jugendlichen sich aus. Sie fantasieren, aber in Wirklichkeit passiert noch gar nichts. Sie leben im Geiste Dinge aus, die sie sich noch nicht trauen würden - und auch gar nicht trauen sollten.

sueddeutsche.de: Was macht den Reiz des Verbotenen aus?

Klosinski: Die Überschreitung von Grenzen ist etwas, das zu jeder Initiation dazugehört, dem Übergang von einer Lebensphase in eine andere. Wir haben keine klaren, von der Gesellschaft vorgegebenen Pubertätsriten mehr. Als Ersatz dienen der erste Besuch in einer Disko, der Führerschein oder der erste Rausch. Diese Grenzüberschreitungen gehören zum Erwachsenenwerden dazu. Und es gehört eben auch dazu, für einen Popstar zu schwärmen, der eigentlich unerreichbar ist.

sueddeutsche.de: Ob früher bei den Beatles oder heute bei Robert Pattinson - woraus ziehen die Jugendlichen denn ihre Energie, für einen Star zu schwärmen, der für sie unerreichbar ist?

Klosinski: Das Ziel wird nicht uninteressanter, wenn es unerreichbar ist. Im Gegenteil. Viele Menschen haben Utopien - man strebt beispielsweise an, ein perfekter Mensch zu werden. Auch wenn man das nie erreichen wird: Dieses Ziel ist ja durchaus etwas, was viele Menschen anspornt. Nicht das Ziel ist entscheidend, sondern der Weg dorthin.

sueddeutsche.de: Also spielt es eigentlich gar keine Rolle, welche Werte der Star verkörpert?

Klosinski: Jugendliche wollen Vorbilder haben, egal welche. Sie eifern den Idealen nach, die sie vorgesetzt bekommen, weil die Freundinnen und Freunde sie ebenfalls toll finden. Heute ist das Robert Pattinson, davor war es Bill von Tokio Hotel, und bei uns waren es die Helden aus den Karl-May-Filmen. Jugend-Idole gab es zu allen Zeiten.

sueddeutsche.de: Wie haben die sich im Laufe der Zeit verändert?

Klosinski: Inhaltlich ist das natürlich zeitgeistabhängig, aber das Prinzip hat sich nicht verändert. Ein Idol bot und bietet die Möglichkeit, sich mit jemandem zu identifizieren, der ganz weit weg und doch ganz nah ist.

sueddeutsche.de: Ganz nah heißt, ich hänge mir das Poster auf, ...

Klosinski: ... schreibe in meinem Tagebuch über ihn, habe ein Autogramm, singe die Lieder - und ich habe Freunde, die denselben Star anhimmeln. Über dieses Idol ist man miteinander vereint.

sueddeutsche.de: Haben Sie schon Fälle von krankhaftem Starkult erlebt?

Klosinski: Ja, manchmal geht das Anhimmeln in einen Beziehungswahn über. Ich habe vor einiger Zeit ein Mädchen behandelt, das die Vorstellung hatte, der Tokio Hotel-Sänger habe sie gesehen und warte nun auf sie.

sueddeutsche.de: Das denken wahrscheinlich viele Mädchen.

Klosinski: Die Übergänge sind fließend, aber in diesem Ausmaß habe ich das nur einmal erlebt. Die meisten können schon unterscheiden zwischen Wunsch und Wirklichkeit.

sueddeutsche.de: Aber ein bisschen darf man schon vom Idol träumen, oder?

Klosinski: Das soll man sogar. Das ist gut und hilft den Jugendlichen bei der Entwicklung ihrer verwundbaren neuen Persönlichkeit, die sich gerade erst langsam herausschält. Das Idol ist nur ein kleines Zerrbild des inneren Selbst, das gerade heranreift. Sie entwerfen ein Bild von sich selbst und projizieren es auf ihr Idol. Unter diesem Schutzmantel kann sich die eigene, weiche Persönlichkeit, die noch in einer Metamorphose ist, wie in einem Kokon formen.

sueddeutsche.de: Wenn die Persönlichkeit sich an dem Idol orientiert - wie sieht der ideale Teenie-Star dann aus Sicht eines Kinder- und Jugendpsychiaters aus?

Klosinski: Sie sollten jemanden anhimmeln, der vorbildhaft ist. Jemand, der sich einsetzt für die Gemeinschaft, der ehrlich ist, der keine krummen Dinger dreht.

sueddeutsche.de: Dann müssten Ihnen ja Stars mit dem braven Image einer Miley Cyrus und den verständnisvollen, frauenverstehenden Jonas Brothers gefallen.

Klosinski: Ja, ich finde das tatsächlich ganz gut. Es ist eine Gegenbewegung zu dem aggressiven Image der Gangster-Rapper. Die Mädchen wünschen sich, dass man nicht brutal zu ihnen ist, und dass Sexualität ihnen nicht wehtut, sondern etwas Schönes ist. Es ist doch positiv, wenn sie erfahren, dass Männlichkeit auch Zärtlichkeit bedeutet. Das sind ideale Vorbilder - wieviel Realität da auch immer drinsteckt.

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