"Shadow Dancer" im Kino:Wer vertraut, der verliert

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Der Weg von Colette (Andrea Riseborough, rechts) führt mitten hinein in den Krieg zwischen IRA und britischer Staatsmacht. Letztere begegnet ihr in der Person von Mac (Clive Owen, links). (Foto: Fugu Filmverleih)

Das omnipräsente Gefühl der Unfreiheit: Regisseur James Marsh erzählt in "Shadow Dancer" vom Terrorismus und davon, was er aus der Welt macht. Für die Menschen, die in ihr leben, ist jedes Vertrauen ein Risiko.

Von Susan Vahabzadeh

Von den ersten Augenblicken an beherrschen Klaustrophobie, Dunkelheit, ein Gefühl der Unfreiheit James Marsh' neuen Film "Shadow Dancer". Es geht um ein kleines Mädchen, das nie eine Chance hatte, normal aufzuwachsen: Wir begegnen Colette in den Siebzigern, in Belfast, die IRA und die britische Armee beherrschen die Stadt.

In der ersten Szene will der Vater, dass die Kleine für ihn in den nächsten Laden geht. Colette mag spielen, sie schickt ihren kleinen Bruder - der unterwegs erschossen wird. Und dann sehen wir den Blick, den der Vater ihr zuwirft, voller Verachtung. Im Grunde ist damit schon klar, wie James Marsh seinen Film über die IRA-Terroristin und den englischen Polizisten, der sie retten will, anlegt - psychologisch.

Das verunsicherte Mädchen ist anfällig für das, was um sie herum passiert, die ganze Familie macht bei der IRA mit, und sie landet auf einem Weg, auf dem keine Umkehr mehr möglich erscheint.

1993, Colette ist erwachsen, will sie eine Bombe in der Londoner U-Bahn platzieren. Draußen wartet die Polizei - das könnte für Colette eine Chance sein, die sie zögerlich wahrnimmt. Andrea Riseborough spielt Colette als in sich zurückgezogene, etwas gestört wirkende Frau, die Mac (Clive Owen), von einer Spezialeinheit, umzudrehen versucht.

Die bedrückende Atmosphäre entsteht aus den Bildern, Marsh tastet sich an seine Protagonisten aus der Perspektive des heimlichen Beobachters heran, wie mit einer versteckten Kamera. Alles ist aufgeladen von einem lauernden Blick. Eine Geschichte vom Terrorismus und wie er gemeinsam mit der Autorität, die ihn bekämpft, eine Welt schafft, in der jedes Vertrauen ein Risiko ist.

Wahl zwischen Knast und Todesgefahr

Eine Geschichte im Rückblick, sie spielt zu jener Zeit, als der Terror der IRA für England noch war, was heute al-Qaida ist. Erst 1994 begannen die Verhandlungen für einen Waffenstillstand, einige Jahre später hörten die Anschläge auf. 1993 war der zermürbende Krieg in vollem Gange. Mac bietet Colette die Wahl zwischen Knast und Verrat, sie wird vor Gericht gestellt - oder sie kann nach Hause, zu ihrer Mutter und ihrem Kind, und als Informant für ihn arbeiten. Und dabei ihren Hals riskieren.

"Shadow Dancer" ist dann vor allem ein Film, der sich anschaut, was das Kontrolliertwerden und die Macht, Kontrolle auszuüben, aus Menschen werden lässt. Es gibt am Ende Täter und Opfer auf beiden Seiten, wer versucht, seine eigenen Vorstellungen von menschlichem Handeln und Anstand zu bewahren, hat schon verloren.

Die IRA, die immer gnadenlos vorging gegen jeden Verrat in den eigenen Reihen, ist dafür ein ganz gutes Beispiel. Nur arbeitet Mac auch zu Bedingungen, die er nicht selbst gestalten kann: Er macht Versprechungen, die er nicht halten kann, denn er ist Teil eines Apparats, und für diesen Apparat ist Colette nur ein Kapital, ein Pfund, mit dem man wuchern kann und das man opfert, wenn man es nicht mehr braucht. Und Colette selbst traut nicht einmal ihrer Familie, in der alle mehr oder weniger Teil der IRA sind, sogar ihre Mutter.

Terrorismus ist im Kino zum Dauerbrenner geworden. Für das Action-Kino, von "Skyfall" bis "White House Down", der auch diese Woche in den Kinos startet, ist Terror vor allem eine gute Entschuldigung, dauernd etwas explodieren zu lassen.

Dem gegenüber stehen fast immer nur Psychodramen, bei denen sich, wie bei Marsh, das Verhältnis von Macht und Terror auflöst im Menschlichen. Die Geschichten sind kleinteilig, individuell. Das große Gemälde, wie Terrorbekämpfung herhalten muss, um die Demokratie auszuhöhlen, ist fürs Kino untauglich. Die einzige gesellschaftliche Umwälzung, die Militanz wirklich erzeugt, ist die Verwandlung von Demokratien in Überwachungsstaaten. Das widersetzt sich dem Kino - Geschichten ohne Helden und ohne Gewinner.

Das Thema ist heikel und für einen Spielfilm ziemlich kompliziert. Einer der wenigen Filme, die sich tatsächlich an großen Zusammenhängen versucht haben, war Steven Gaghans "Syriana" (2005), ein verschachteltes Epos über Terror und Staatsinteressen und Geheimdienste. Was dabei herauskam, war in der Tat als Popcorn-Entertainment untauglich.

Gaghan riss aber ein paar Fragen an, die richtig spannend sind. Etwa die, ob eigentlich irgendjemand im Westen will, dass ein arabischer Staatschef versucht, mit dem Geld aus Öl eine Gesellschaft und Wirtschaft aufzubauen, die den Westen nicht mehr braucht.

Wenn Filme nicht im Westen entstanden sind, sondern in dem Kulturkreis, in dem der Terrorismus von heute verortet wird, dann sind die Ergebnisse nicht überraschender als bei uns.

In Mira Nairs "Fundamentalist" versucht ein pakistanischer Professor, der in den USA gelebt hat und erst nach dem 11. September 2001 zum radikalen Islamisten wurde, einem CIA-Mann zu erklären, wie es dazu gekommen ist. Die Quintessenz von Nairs Geschichte: Militanz wird immer nur Übel verursachen. Es wird viel geredet, aber "The Reluctant Fundamentalist" ist dann weder sehr originell noch besonders spannend.

In Verhältnissen leben, in denen es keine Moral gibt

Da war Hany Abu-Assads "Omar", der in diesem Jahr in Cannes lief, aufregender - darin geht es um drei palästinensische Jungs, wie sie in den Terrorismus hineingeraten und sich gegenseitig verraten. Ganz ähnlich wie in "Shadow Dancer" geht es also letztlich darum, wie es ist, in Verhältnissen zu leben, in denen es keine Moral gibt. Und wenn man schon einmal alle Grenzen hinter sich gelassen hat, kennt man auch im Privatleben keine mehr, Omar wird von seinem besten Freund geopfert, weil beide in dasselbe Mädchen verliebt sind.

Robert Redford hat einmal gesagt, man könne von Autorität im Kino immer nur anhand des Einzelnen erzählen, der unter ihr leidet. Sein "The Company You Keep", seit ein paar Wochen bei uns in den Kinos, versuchte dann aber doch, über eine Organisation und die Reaktion auf sie nachzudenken - auch in der Retrospektive, aus dem sicheren Abstand von dreißig Jahren, es ging um die Weathermen in den Siebzigern.

Sein Plädoyer, dass er den Staat, in dem er lebt, schon gerne verändert hätte, nur nicht mit Gewalt, wurde in den USA in Online-Foren reflexartig beschimpft, für eine Billigung von Gewalt, die er ganz ausdrücklich nicht enthält. In die Gefahr hat sich James Marsh mit "Shadow Dancer" nicht begeben.

Shadow Dancer , GB 2012, Regie: James Marsh. Drehbuch: Tom Bradby. Kamera: Rob Hardy. Mit: Andrea Riseborough, Clive Owen, Gillian Anderson. Fugu Film, 101 Minuten.

© SZ vom 04.09.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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