Rekordpreis für angeblichen Leonardo:Große Kunst? Nein, großes Geld

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Mit einem Endpreis von 450,3 Millionen Dollar ist "Salvator Mundi" das teuerste Kunstwerk aller Zeiten. Aber die Zweifel, ob es wirklich von Leonardo da Vinci ist, sind fundiert und durchaus berechtigt.

Von Kia Vahland

Was hätte Leonardo da Vinci nur mit dieser Szene gemacht? Wie sie da stehen, dicht gedrängt, schwarz gekleidet, hinter der braun vertäfelten Brüstung. Den Hörer am Ohr, kein Zucken, kein Lächeln im Pokerface. Mitarbeiter des Auktionshauses Christie's, die telefonisch verbunden sind mit den Bietern um das teuerste je auf einer Auktion gehandelte Werk der Welt.

Die Regungen der Seele sollen sich in den Bewegungen des Körpers und im Minenspiel ausdrücken, davon war Leonardo überzeugt, nach dieser Prämisse malte er seine Figuren. Vorne im fensterlosen Saal des Auktionshauses Christie's in New York regt sich kaum etwas. Beinahe unmerklich verständigen die Telefonierer sich mit dem Auktionator vorne am Pult, ein Zucken, ein Wink mit einem Schild, ein angedeutetes Nicken genügen ihnen.

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Je teurer etwas ist, desto echter scheint es zu sein. Anders lässt sich die Rekordsumme von 450 Millionen für das Bild von Leonardo da Vinci nicht erklären. Und das schadet auch dem Publikum.

Kommentar von Kia Vahland

Zur Auktion steht die vermeintlich größte Trophäe der Welt. Der "Salvator Mundi", eine Christusfigur, angeblich von Leonardo da Vinci höchstpersönlich um 1500 gemalt. Es ist angeblich der erste neu entdeckte Leonardo-Werk seit 1909, die große Nummer 16, an die niemand mehr ernsthaft geglaubt hat. Das 16. eigenhändige Gemälde nach den rund 15 mehrheitlich anerkannten des einflussreichsten Meisters der Kunstgeschichte.

353 Millionen Dollar. 355 Millionen, dann sind es plötzlich 370 Millionen. Jetzt lacht der Auktionator Jussi Pylkkänen kurz auf. Geht mehr? Ja. Und zwar in noch einem verdächtig hohen Sprung, 30 Millionen Dollar in einem einzigen Gebot: Jetzt sind es 400 Millionen. Mit allen Gebühren liegt der Preis schließlich bei 450,3 Millionen Dollar (rund 382 Millionen Euro). Fünf Personen oder Personengruppen beteiligten sich anfangs an dem 20-minütigen Gefecht. Am Ende waren es nur noch zwei.

Nie zuvor erzielte ein einziges Gemälde auf einer öffentlichen Auktion einen so hohen Preis. Wer der Käufer ist, wer sein Gegenspieler war, weiß das Auktionshaus, verrät es aber nicht. Dem neuen Besitzer kann der enorme Preis nur recht sein. Für ihn, der es sich leisten kann, wäre es eine Schande gewesen, hätte er oder sie das Werk für den Mindesteinsatz von 100 Millionen Dollar mitnehmen können. Nicht ums Schnäppchenmachen geht es bei diesem Spiel, sondern ums Prassen. Denn was teuer ist, das muss gut sein. Und echt. Ein originales, ein großes Werk des Meisters der Meister. Das kriegt man nicht für 80 oder 100 Millionen. Das kriegt man nur für einen Irrsinnspreis, der zweierlei beweist: Der Käufer kann es sich leisten, weil er oder sie reicher ist als alle anderen. Und: Das Bild ist wirklich das, als das es in einer stupenden Werbekampagne angekündigt worden ist. Eine männliche Mona Lisa. Der Heiland quasi persönlich. Der Werbefilm von Christie's zeigte nicht das Werk selbst, sondern die staunenden, ehrfürchtigen Besucher, die im Dunklen ihre Augen aufreißen, unter ihnen Patti Smith und Leonardo DiCaprio. Segne uns, große Kunst, nein, großes Geld.

Zumindest so viel Bewunderung hätte da Vinci vielleicht ein wenig gerührt. Eindruck machen, über Jahrhunderte hinweg, das wollte er. Eine tief emotionale Bindung schaffen, das Publikum im Innersten bewegen. Deswegen schuf er die sogenannte Mona Lisa, heute im Louvre, die den Betrachter immer anschaut, seine Bewegung vor dem Bild zu verfolgen scheint. Die lächelt, aber nur ein bisschen. Hinter ihr, in der Berglandschaft, öffnet sich der Blick auf den Makrokosmos, das große Ganze. Es entspricht dem Mikrokosmos der Frau, die wie Gottvater als Mutter auch Leben schenken kann und uns mit ihrem Blick, ihrer Zuwendung so nahe kommt wie kaum eine andere gemalte Gestalt.

All das hat der Salvator Mundi nicht. Er ist erstaunlich plan für eine Figur gerade jenes Meisters, dem es doch wie keinem anderen um die synchronen Regungen des Körpers und der Seele ging. Wo genau ist hier das große Konzept, was ist das Göttliche an diesem streng blickenden Mann? Welche Beziehung baut er zu seinen Betrachtern auf, die er segnen will, was lehrt er sie, wie erreicht er sie über das Übliche hinaus?

Nur eine Partie des Gemäldes ist erstaunlich: die Kristallkugel, in der sich das Licht bricht. Die Hand Christi schimmert durch; der Maler hat sich Gedanken gemacht über Lichteinfall und Perspektive. So viel physikalisches Bewusstsein allerdings hatten auch Leonardos Schüler von ihrem Forschermeister gelernt. Die Kugel spricht noch nicht gegen die von dem Leipziger Leonardo-Kenner Frank Zöllner formulierte These, wonach das Bild aus der Werkstatt da Vincis stammt und deutlich nach 1500 gemalt wurde. Es mag inspiriert sein vom Meister, wurde demnach aber eben nicht komplett ausgeführt von ihm (Taschen-Verlag, 2015)

. Andere, wie Michael Daley von Art Watch UK, gehen weiter und fragen, welchen Zusammenhang zu Leonardos Leben und Wirken es überhaupt gebe in diesem Werk, das immerhin den Segen mehrerer renommierter Leonardo-Forscher hat? Da Vinci zeichnete zwei Gewandstudien, die sich mit dem Motiv nur sehr vage in Verbindung bringen lassen. Eine komplette Vorzeichnung oder auch nur eine Detailskizze der Kugel ist von seiner Hand nicht überliefert. Vielleicht kursierten die Gewandstudien in seiner Werkstatt oder anderswo. Sie allein belegen nicht, dass er auch eigenhändig ein Salvator-Gemälde schuf.

Mag sein, dass die nun verkaufte Fassung besser ist als andere existierende Variationen des Motivs. Selbst wenn Leonardo tatsächlich die Ausgangsidee zu dem Gemälde gehabt haben sollte, heißt das nicht, dass er auch der Autor dieses Stücks ist. Und die Tatsache, dass das Gemälde einem Stich zufolge im 17. Jahrhundert als eigenhändiger Leonardo galt, belegt nichts. Zumal Kunsthistoriker wie Künstler späterer Generationen sich sicher waren, es hier höchstens mit einer minderen Werkstattarbeit zu tun zu haben. Weswegen das Gemälde noch im Jahr 1958 für gerade einmal 45 britische Pfund versteigert worden war.

Das lag auch daran, dass das Werk so ruiniert ist, dass sich nicht viel über seine Malweise sagen lässt. Deswegen hat es die Gemäldegalerie Berlin, der das Stück vor einigen Jahren angeboten worden ist, abgelehnt. Gute Teile von dem, was nun zu sehen ist, darunter ein Großteil des Gesichts, sind die Arbeit der letzten Restauratorin. Deswegen wurde schon gewitzelt, es habe seine Richtigkeit, dass das Gemälde nicht in einer Altmeisterauktion, sondern bei den Zeitgenossen verkauft wurde.

Ein Schülerwerk Leonardos, als solches deklariert, wäre in so einem miserablen Zustand bei einer Auktion abgestraft worden. Ein "echter" Leonardo jedoch wird durch diesen erheblichen Malus nur noch echter. Und teurer. Kann ja niemand mehr beweisen, dass all die verloren gegangene Farbe nicht doch vom Meister selbst aufgetragen worden ist.

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Der "Salvator Mundi" ist kein Einzelfall. Michelangelo werden so viele Zeichnungen zuerkannt, dass sich fragt, wie das gehen soll, hat der Künstler selbst doch das meiste verbrannt. Zuletzt sollte er auch noch eine ihm offensichtlich fremde Bronze verantworten. Und von Leonardo kursieren rund um den Globus seit Jahren "Neuentdeckungen", darunter drittklassige Schinken und ein von dem Besitzer massiv beworbenes Frauenbildnis auf Pergament, das nicht einmal entfernt an Leonardos kluge wie schöne Geschöpfe erinnert.

Das Besondere am "Salvator" ist, dass dieses Mal ein renommiertes Museum an der Wertsteigerung beteiligt war. Die Londoner National Gallery adelte das Werk, indem es den Christus auf ihre große Leonardo-Schau im Jahr 2011 einlud - angeblich unter der Zusicherung, es stünde nicht zum Verkauf. Dem war nicht so. Das Konsortium, welches das Werk besaß, es restauriert und bekannt gemacht hatte, bot das Stück mehreren Museen an. Das blieb erfolglos, also arrangierte es zwei Jahre später einen Privatverkauf über Sotheby's. Der Freeport-Besitzer und Kunstagent Yves Bouvier schlug ein, für offenbar 83 Millionen Dollar. Er verkaufte den "Salvator" dem russischen Oligarchen Dmitrij Rybolowlew für 127,5 Millionen Dollar - ohne ihm seine Gewinnspanne zu nennen.

Rybolowlew musste seine geschiedene Frau ausbezahlen. Um den Unterhalt zu drücken, versteckte er sein Geld in der Steueroase Panama, was im Zuge der SZ-Recherchen zu den Panama Papers herauskam. Als der Milliardär von der hohen Gewinnspanne Bouviers erfuhr, verhedderten die beiden sich in juristischen Auseinandersetzungen. Der jetzige Wiederverkauf des "Salvator Mundi" könnte das Ergebnis des Zwistes gewesen sein. Der Verkauf am Mittwoch war von einer Dritte-Partei-Garantie abgesichert. Das heißt, Christie's hat dem Einlieferer, mutmaßlich Rybolowlew, zugesichert, das Werk zu einem unbekannten (und sicher nicht derart gigantischen) Preis zu übernehmen, falls es bei der Auktion durchfallen sollte. Diesen Preis garantierte ein Dritter - ob es sich dabei um Bouvier handelte, im Zuge einer Einigung, ist nicht bekannt.

Selbst der Oligarch und Christie's waren sich also keineswegs sicher, ob sie den umstrittenen "Salvator Mundi" unter die Milliardäre bringen können. Sie haben hoch gepokert und hoch gewonnen. Es gibt offenbar genügend sehr Reiche, denen die scheinbar kostbarste aller Trophäen allemal wichtiger ist als historische Wahrheit und sinnlicher Genuss.

© SZ vom 17.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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