Musik:In Südafrika "Rigoletto", in Deutschland "Oh Happy Day"

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Simphiwe Mayeki, Sänger im Chor der Cape Town Opera, mit Familie. (Foto: Niel Roux)

Zu Besuch bei Opernsänger Simphiwe Mayeki, der in einer Township bei Kapstadt lebt - und zeigt, wie schwer es Schwarze in der Branche immer noch haben.

Von Martin Zips

In seinem winzigen Haus, in Gugulethu, einer Township von Kapstadt, zieht der Sänger plötzlich eine alte Pappschachtel hinter dem Sofa hervor. Der Karton ist bis oben gefüllt mit Silberscheiben und es dauert ein bisschen, bis Simphiwe Mayeki genau die DVD gefunden hat, die er seinem Gast nun zeigen möchte. Unter "Titanic" und "Bee Movie" entdeckt er schließlich: "My African Dream". Auf dem Cover ist ein grinsender Typ mit Violine neben einer Art Affenbrotbaum zu sehen. Neben ihm steht eine schwarze Sängerin im weißen Kleid. Drüber leuchtet aber nur der Name des hellhäutigen Geigenspielers: André Rieu.

Simphiwe zeigt auf die schöne Unbekannte und freut sich. "Das ist Kimmy, eine Kollegin von mir. Die hat es geschafft!" Der Südafrikaner sitzt in seinem Wohnzimmer, direkt neben der weit geöffneten Eingangstür. Draußen sind spielende Kinder zu hören. "Von so einer Karriere träumen wir alle", sagt Simphiwe. "Oder kennst du Luzuko? Der hat auch Karriere gemacht. Er singt jetzt in Nürnberg. Im Opernchor. Ihr habt es wirklich gut, in Deutschland. In jeder Stadt ein Opernhaus."

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Geschafft oder nicht, das ist alles eine Frage der Sichtweise. Simphiwe hat es schließlich auch geschafft. Sein ebenerdiges Haus ist aus Stein gebaut und nicht aus Holz und Wellblech wie viele andere Hütten in den Townships. Die Townships, das sind slumartige Siedlungen, in denen rund um Kapstadt geschätzt zwei Millionen Menschen leben. Zu Zeiten der Apartheid haben die weißen Machthaber Menschen dunklerer Hautfarbe dorthin gezwungen. Zusammen mit seiner Frau Yandiswa, Tochter Ichumile und Baby Zingle teilt sich Simphiwe, 38, zwei Zimmer, eine Küche und ein Bad. Wenigstens muss er nicht, wie viele hier links und rechts der Autobahn, mit Dutzenden anderen vor öffentlichen Toiletten anstehen. Und die Straße vor seiner Tür ist geteert. Ja, in der Einfahrt steht bei den Mayekis sogar ein alter Mercedes, A-Klasse. Denn eines müsse man wissen, sagt Simphiwe: "Das Auto ist bei uns immer das Wichtigste." Warum? "Weil das Leben schon morgen vorbei sein kann."

"Manchmal zapfen sich die Jungen das mit Drogen vollgepumpte Blut gegenseitig ab."

Zur abendlichen Vorstellung wird der in klassischem Gesang ausgebildete Simphiwe mit dem Sammelbus abgeholt. Genauso wie die anderen Chorsänger der Cape Town Opera, Afrikas einzigen ganzjährig bespielten Opernhauses. In ein paar Stunden wird Simphiwe dort - nahe schicker Hotels, glänzender Autohäuser und teurer Restaurants - in Verdis "Rigoletto" singen. Im August ist Wagners "Der fliegende Holländer" dran und im November "Die Zauberflöte" von Mozart. Insgesamt besteht das Ensemble der Cape Town Opera aus mehr als 60 Künstlern und Technikern. Die meisten von ihnen sind schwarz.

"Do not stop", steht auf den Schildern an der Straße, gleich neben der Siedlung Gugulethu. "High Crime Area!" "Das Schlimmste ist", sagt Simphiwe, "dass du hier noch nicht mal der Polizei vertrauen kannst." Er streichelt sein Baby, das gerade auf dem Bauch seiner Frau schläft. Yandiswa, 32, war früher ebenfalls Sängerin. Heute arbeitet sie in einem Büro. "Selbst wenn du weißt, dass dein Nachbar mit Drogen dealt, hältst du besser den Mund", sagt sie. "Denn vielleicht steckt ja jemand von der Polizei mit drin. Und dann stehen die plötzlich bei dir vor dem Haus." Die hohe Arbeitslosigkeit, die vielen Einwanderer aus anderen Ländern, sie machen die Situation nicht leichter, finden die Mayekis. "Nach Einbruch der Dunkelheit geht man am besten gar nicht mehr raus." Viele Drogen, viele Abhängige, viele Überfälle. "Manchmal zapfen sich die Jungen das mit Drogen vollgepumpte Blut gegenseitig ab", sagt Simphiwe. "Bluetooth nennen sie das."

Ein riesiges Opernensemble mit vier, fünf Programmen pro Jahr zu finanzieren, das sei in Südafrika kein leichtes Unterfangen, sagt Matthew Wild, künstlerischer Leiter der Cape Town Opera. "Die Leute interessieren sich hier mehr für Sport als für Oper. Jahr für Jahr fangen wir wieder bei null an." Wild ist ein anpackender, blonder Unternehmer-Typ. Um genügend Geld in die Kasse zu bekommen, wirbt das Team um Sponsoren und schickt Mitglieder des Opernchors jährlich sechs Monate auf Tournee. "Im Ausland treten Simphiwe und seine Kollegen dann zum Beispiel als ,African Angels' auf."

Im April gastieren die African Angels wieder in Deutschland - zum Beispiel in Frankfurt, München, Köln und Hamburg. Dort singen sie dann weniger Klassik, sondern schmettern in bunten Kostümen vor Ferienclub-Palmen Songs wie "Oh Happy Day" oder Operettenhaftes aus der "Fledermaus". Solche - wirklich grandiosen - Stimmen, so ein Programm, das erfüllt jedes Gemeindezentrum nördlich der Alpen mit exotischer Wärme.

Die Idee zu den "African Angels" wurde in den Niederlanden geboren, erklärt während der Rigoletto-Pause im Foyer Norbert Furnon-Roberts, ein Opernexperte, der in Hamburg zur Welt kam, jetzt aber in Südafrika zu Hause ist. Vor gut fünf Jahren sei die Anfrage dann in Kapstadt gelandet. Dort war bereits 1964 mit Smetanas "Die verkaufte Braut" die erste Oper aufgeführt worden. Damals noch in weißer Besetzung für ein weißes Publikum. Das mit der Besetzung habe sich glücklicherweise geändert und heute dürfe natürlich jeder in die Oper, der sich das Ticket leisten könne. "Ich verstehe nur nicht, warum kein Opernhaus bei euch auf die Idee kommt, zum Beispiel unsere komplette ,Rigoletto'-Inszenierung als Gastspiel zu übernehmen, damit die Sänger mal zeigen können, was sie wirklich draufhaben." Wahrscheinlich sei es für die Veranstalter schlicht lukrativer, Klischees zu bedienen.

Schwarze werden schlechter bezahlt und seltener angestellt

Schwarze und farbige Sänger haben es in der klassischen Opernbranche noch immer schwer. Gegen Ende seiner Karriere sagte einmal der afroamerikanische Sänger Simon Estes, 79: "Wenn der Schwarze gleich gut ist wie der Weiße, nehmen sie den Weißen. Wenn er besser ist, nehmen sie auch den Weißen. Wenn er viel besser ist, nehmen sie den Schwarzen, zahlen ihm aber weniger als dem Weißen."

Andererseits finden sich nicht nur in Südafrika auch Menschen, die selbst Mozart schon wegen seiner "kolonialistischen" Hautfarbe ablehnen. Rassismus und Ausbeutung haben Spuren hinterlassen. "Bei der Stückauswahl müssen wir immer unwahrscheinlich aufpassen, damit alle zufrieden sind", sagt Matthew Wild.

Simphiwe jedenfalls freut sich auf seine Auftritte als afrikanischer Engel. Er singt und verreist gern. Und wenn er nicht gerade probt, so singt er in der Township-Kirche. Gut drei Stunden dauert so ein Sonntagsgottesdienst. Hier hat Simphiwe schon als Kind das Singen gelernt.

Wie kam er ausgerechnet auf Oper? "Hat mir halt gefallen", sagt Simphiwe und kramt noch einmal in seinem Pappkarton. Nun zieht er zwei CDs in zerbrochenen Hüllen hervor: "Tannhäuser" und "Fidelio". Opernaufnahmen, die er sich auf einer Auslandstournee für ein paar Cent gekauft hat. Zu mehr reiche sein Geld nicht. "Aber ich liebe meine CDs", sagt er. "Mit ihnen lerne ich zu Hause."

Der letzte "Rigoletto"-Ton ist auf der Opernbühne noch gar nicht verklungen, da erheben sich schon mehr als 1000 (fast ausschließlich weiße) Kapstädter Opernbesucher von ihren Sitzen. Standing Ovations, Applaus und Jubel - besonders für Noluvuyiso Mpofu, die Darstellerin der Gilda. Klar, auch Noluvuyiso Mpofu träumt von einer internationalen Opernkarriere. "Sie wird schon bald an einigen europäischen Häusern vorsingen", meint Opernfan Norbert Furnon-Roberts. "Und sie könnte es schaffen. Ganz bestimmt."

© SZ vom 16.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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