"MeToo"-Debatte:Die Kultur des Schweigens brechen

Dieter Wedel

Was Wedel angeht, ist nichts bewiesen. Aber es ist logisch, dass es Fälle von sexualisiertem Machtmissbrauch auch in der deutschen Film- und Theaterbranche gibt.

(Foto: Swen Pförtner/dpa)

Mit Dieter Wedel fällt zum ersten Mal ein Name in der deutschen Debatte über sexuelle Belästigung. Das ist Chance und Risiko zugleich.

Kommentar von Karin Janker

Mit den Vorwürfen von Vergewaltigung und sexueller Nötigung gegen den Regisseur Dieter Wedel ist die "MeToo"-Debatte in Deutschland angekommen. Erstmals nennen Frauen in der Berichterstattung um sexuelle Übergriffe einen Namen. Das erfordert Mut in einem Land, in dem Bundespräsident Joachim Gauck höchstselbst die Debatte, die vor fünf Jahren unter dem Schlagwort "Aufschrei" zu diesem Thema geführt wurde, mit dem Wort "Tugendfuror" deklassiert und niedergebügelt hat. Eine solche Reaktion fördert eine Kultur des Schweigens - von Frauen und Männern.

Was Wedel angeht, ist nichts bewiesen. Aber es liegt nahe, dass es Fälle von sexualisiertem Machtmissbrauch auch in der deutschen Film- und Theaterbranche geben muss. Das Phänomen Weinstein beschränkt sich nicht auf Hollywood. Dafür gab es mehr als bloß Hinweise: Die Schauspielerin Ingrid Steeger gab 2007 öffentlich preis, dass sie mehrmals von Kollegen vergewaltigt worden war.

Und sie war nicht die Einzige, die über die Alltäglichkeit der Brutalität in ihrer Branche sprach. Die Sache war nur: Es interessierte schlicht niemanden. Vielleicht weil die Namen der Täter nie fielen. In Deutschland hat das Nennen von Namen immer einen Ruch von Denunziantentum. Offenbar mehr jedenfalls als in den USA.

Die Fähigkeit, die eigene Macht zu hinterfragen, fehlt den meisten Männern

Dass jetzt mit Dieter Wedel zum ersten Mal ein Name fällt, ist Chance und Risiko zugleich: Einerseits bringt die Aufmerksamkeit durch die Prominenz des Beschuldigten eine notwendige Dynamik in die öffentliche Debatte.

Andererseits droht eben wegen dieser Prominenz ins Hintertreffen zu geraten, dass es abgesehen vom - auf Basis der Unschuldsvermutung zu prüfenden - Einzelfall um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe geht: sexualisierten Machtmissbrauch aufzudecken und seine Strukturen abzubauen.

Denn eine Diskrepanz sticht ins Auge: Die Frauen, die Wedel jetzt konfrontieren, betrachten ihre eigene Rolle in den Vorfällen durchaus ambivalent. Sie fragen sich, ob sie naiv gewesen sind und irgendwie selbst daran schuld sein könnten. Auf Seiten der Männer ist das anders: Angefangen beim ehemaligen Bundespräsidenten scheint vielen von ihnen die Fähigkeit, ihre eigene Macht zu hinterfragen, oft noch zu fehlen.

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