Vienna Biennale:Roboter tuscheln hinter deinem Rücken

Christoph Niemann, Robot Morph, 2016 © Christoph Niemann.

Diese freundliche Gestalt, der "Robot Morph", begrüßt den Besucher der Wiener Schauen, sie stammt von Christoph Niemann.

(Foto: Vienna Biennale)

Ein in die Haut gepflanzter Chip, der das Auto öffnet und an der Kasse zahlt: Eine Ausstellung zeigt in Wien, wie Maschinen unsere Arbeit, unser Leben und uns selbst verändern.

Von Bernd Graff, Wien

Das Geburtstagskind hockt niedergeschlagen vor seinem Kuchen. Die Kerzen brennen, das lustige Hütchen sitzt, wo es sitzen muss, und alles ist rosa gestimmt. Warum dann die Trauer?

Die Videoarbeit des amerikanischen Künstlers Kevin Grennan verrät im Titel, warum dieses Geburtstagskind so traurig ist: "Android Birthday". Ach so, da hat ein Roboter Geburtstag. Und, klar, Humanoide atmen nicht und können, wie das Video darlegt, selbst unter größter Anstrengung keine Kerzen ausblasen.

Während das Video die Frustration dieses Maschinenwesens darstellt, sind Kaskaden von Fragen aufgeworfen: Haben menschenähnliche Roboter Geburtstage wie Menschen? Welche "Geburt" würde da begangen? Wollen, sollen oder dürfen Roboter überhaupt menschliche Rituale begehen? Wenn ja, wer stiftet sie dazu an? Ein menschlicher Ingenieur? Ein Algorithmus? Eine nachahmende künstliche Intelligenz? Und schließlich: Warum rührt dieses Puste-Versagen den Betrachter so an? Hat man Mitleid mit einem Artefakt?

Zu sehen ist dieses Video derzeit in Wien. Es ist eines der Exponate der zweiten Vienna Biennale, die gleich mehrere Lebens- und Überlebensbereiche behandeln will. "Roboter. Arbeit. Unsere Zukunft" lautet der überwölbende Titel für eine Reihe von Einzelausstellungen, die über die ganze Stadt verstreut sind. Beteiligt daran sind das Museum für angewandte Kunst, das Architekturzentrum Wien, die Universität für angewandte Kunst, die Kunsthalle Wien, die Wirtschaftsagentur Wien sowie das Austrian Institute of Technology.

Die sechs Projekte von "Care and Repair" in der Nähe des Wiener Nordbahnhofs etwa, die das Architekturzentrum beisteuert, erkunden zwar noch ihren verwunschenen Arbeitsraum im verwildert bewachsenen Norden, in dem sie stattfinden, wollen aber auch helfen, "unsere Zukunft zu reparieren". Die Zentrale der Biennale aber sitzt wie schon vor zwei Jahren im Museum für angewandte Kunst, dem MAK, und nicht in der Kunsthalle Wien im Museumsquartier. Hier finden sich auch die Ausstellungen: "Hello, Robot" und "Artificial Tears" im MAK, "Work it, feel it" in der Kunsthalle. Und alle sind sehenswert.

Irgendetwas Ungeheuerliches passiert gerade. Nur was, das wissen wir nicht genau

Man kann mit solchen Projekten auch zu viel wollen. Man kann sich verzetteln. Auf dieser Biennale flottieren nahezu alle Begriffe, Thesen und Diskurse, die die Gegenwart gerade zu Digitaltechnik, Robotik, menschliche Arbeit, den Körper und die Zukunft überhaupt umtreiben. Künstliche Intelligenz schwingt immer mit, Nachhaltigkeit, Humanität, Recycling, Gesellschaft und Gerechtigkeit konkurrieren mit Selbstoptimierung, Dystopie, Kapitalismus, Globalisierung und Klimawandel.

Alles will mit allem zusammengedacht werden, alles hängt mit allem zusammen. Dazu sorgen Drohnen, Cyborgs und Prothesen für jenen kühlen Schauder, den man bei der Hitze am Eröffnungstag gar nicht ungern verspürt hat. All das, so die Macher, soll man als Insignien einer "Neuen Moderne" begreifen. Das mit "Post-" war gestern. Natürlich findet sich keine Klammer, die diese Thementour de Force miteinander verbindet. Schultert man in Wien also nicht ein bisschen viel? Ja und nein.

Denn einerseits: Um etwa der Architektur und dem Design einen Unterschlupf unter das Digital-Dach gewähren zu können, wurde der Begriff des Roboters, der eigentlich nur einen arbeitenden Automaten bezeichnet, bis zur Unkenntlichkeit aufgeblasen. Gedacht wird der Roboter hier als funktionale Trias aus Chip, Sensor und Intervention. Was so viel heißen will wie: Alles, was digital und vernetzt ist, über irgendeine Art von Wahrnehmung und Regulations- oder Interaktionsmöglichkeit verfügt, soll Roboter genannt werden dürfen.

Darunter fallen dann eben nicht nur kulleräugige Humanoide, die immer noch eher die Fantasie als die Wirklichkeit bevölkern - auch das genannte Geburtstagskind wird von einer menschlichen Schauspielerin dargestellt -, sondern ganze Städte, alle Smartphones, Fabriken, Büros, Verkehrssysteme, das sich selbst regulierende Zuhause und "unzählige andere digitale Werkzeuge und Systeme", so Biennale-Chef Christoph Thun-Hohenstein in seiner Einführung. Diese definitorische Unschärfe hat hier jedoch einen guten Grund.

Denn - andererseits - ist es so, dass unsere Gegenwart tatsächlich als ein Fiebertraum aus all den hier aufgeworfenen offenen Fragen begriffen werden kann, die einander im Immer-noch-wichtiger-Werden fortlaufend übertrumpfen: Irgendetwas Ungeheuerliches passiert gerade, und mehr noch wird passieren. Nur was, das wissen wir nicht genau. Gerade jetzt wurde ja diskutiert, ob man autonom fahrenden Autos besser kein Programm zur Auswahl der Unfallopfer implementieren sollte. Welch eine Frage! Sie übersteigt unsere Möglichkeiten des Begreifens.

"Mein erster Roboter": Manche Künstler probieren es mit Ironie

Entsprechend zeigen die Wiener Ausstellungen also weniger die autark handelnden Maschinen als vielmehr ihre irritierende Wirkung auf die ihnen ausgesetzten Menschen. Sie dokumentieren ästhetische Verarbeitungsversuche von Verunsicherung und struktureller Überforderung durch eine (über-)mächtige Technik. So steht diese Biennale gewissermaßen unter dem Diktum des späten Martin Heidegger: "Das Große des zu Denkenden ist zu groß."

Dieses Dilemma aus der Notwendigkeit, die Realität zu begreifen, und dem menschlichen Unvermögen, sich darin souverän zu behaupten, die Angst vor dem eigenen Bedeutungsverlust also, durchzieht die Ausstellungen zur Digitalisierung und Robotik. Sie führen in zahlreichen künstlerischen Empörungen immer wieder jenes "Uncanny Valley" vor Augen, in dem wir angesichts der neuen technischen Artefakte stecken: das "unheimliche Tal" voller Dinge, die Akzeptanz und Beteiligung fordern, von denen wir aber nicht wissen, wie wir diese herstellen sollen, wenn wir nicht wissen, was sie bedeuten.

Am stärksten wirkt da die Intervention von Mariechen Danz, die den Abdruck ihrer Hand von einem Roboter in einen Steinbrocken hat eingravieren lassen. Er ruft die Ikonografie der Höhlenmalereien des Cro-Magnon-Menschen auf. Es ist der Versuch, inmitten von Hightech erneut eine dauerhafte Spur des Ichs zu hinterlassen.

Mal versuchen es die Arbeiten aber auch mit Ironie wie die der Designer Dunne und Raby, die vier Roboterwesen entwickelt haben, die jedes auf andere Weise völlig neurotisch sind. Oder wie die "Slogans for the Twentyfirst Century" des Schriftstellers und Künstlers Douglas Coupland, grelle Protestschilder mit Aufschriften, die lauten: "Maschinen sprechen hinter deinem Rücken über dich" oder "Technologie bringt furchtbare Leute hervor".

Dann gibt es die Installation "Raising Robotic Natives" von Philipp Schmitt, Stephan Bogner und Jonas Voigt, die eine Kinderwiege mit Fläschchenhalterung für Roboterarme aufbaut, daneben das (fiktive) Kinderbuch: "Mein erster Roboter". Witzig ist auch der 60 Zentimeter hohe Robotermönch von Kim Kyung-hoon, der buddhistische Mantras brabbelt.

Das Home-Office und das Fitness-Studio durchherrscht derselbe Algorithmus

Wesentlich ernster, da unmittelbar am Menschen dran, sind die Arbeiten, die die Verschmelzung von Körper und intelligenter Maschine belegen, etwa das bereits in Serie produzierte "Exoskelett" der Firma Ekso Bioniks, das gelähmte Patienten stützt und ihnen robotergetriebene Fortbewegung ermöglicht, oder der xBT-Chip, der unter der Haut eingepflanzt wird, Haus- oder Autoschlüssel ersetzt und sich sogar zum Bezahlen verwenden lässt. Von einem Medizintechnik-Unternehmen stammt der "Dynamic Arm Plus", der an einer "Mensch-Maschine-Schnittstelle" in Brusthöhe implantiert wird und als intuitiv steuerbare Armprothese im Einsatz ist.

Hier wird die gesamte Mensch-Maschine-Metaphorik endgültig zur Kippfigur. Betrachtet man die klinisch-reine Installation eines Home-Office und Fitness-Studios von Juliette Goiffon und Charles Beauté mit dem Titel "Hours before Deadline", die aus zwei Yogamatten mit aufgedruckten Flussdiagrammen besteht, wird deutlich, dass der Verlust wesentlicher, vielleicht lebensnotwendiger Differenzen droht. Denn wie sich hier herausstellt, gehorchen die Arbeit mit Technologie und die Arbeit am Selbst denselben mathematischen Mustern: Eine Matte zeigt den Entscheidungsweg eines Computerprogramms, die andere den Aufbauplan für einen optimierten Körper. Es sind nahezu identische Diagramme. Eine grenzenlos gewordene Arbeit und eine rigide Leistungsdisziplin folgen denselben algorithmischen Prinzipien, heißt das. Ego und Arbeit werden eins.

Während die klassische Moderne versuchte, den Arbeiter dem Takt von Fließband und Maschine anzupassen (wie von Chaplin in "Modern Times" persifliert), versucht die "Neue Moderne", die Arbeit ganz im Arbeiter aufgehen zu lassen - und ihn in ihr. Es gibt kein Draußen mehr.

In keinem Werk wird diese Übernahme des Körpers durch Technik deutlicher als in dem Videoloop "Walking City" der Künstlergruppe Universal Everything. Es zeigt einen marschierenden menschlichen Körper, der mit jedem Schritt eine andere städtische Materialität annimmt, sie aufbaut und wieder abstößt: Gerüste, Fassaden, Kuben, Kacheln, Staub - alles geht fließend ineinander über. Nichts hat Dauer. Beständig ist nur der Zerfall. Sich selber treu bleibt allein der Marsch.

Vienna Biennale: diverse Orte in Wien. Bis 1. Oktober. Katalog 49,90 Euro.

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