Film über die Nachmauerjugend:Bierdosenorgien zur Frustbewältigung

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Desillusioniert, obwohl das Leben noch nicht mal richtig begonnen hat: Jonas Nay (Mitte) als Stefan im Kinofilm "Wir sind jung. Wir sind stark" (Foto: dpa)

Endstation Erwachsenwerden: Das Drama "Wir sind jung. Wir sind stark" erzählt vom Ausländerhass in Rostock-Lichtenhagen 1992. Lassen sich Parallelen zur Pegida-Bewegung ablesen?

Von David Steinitz

Der Soundtrack zum Postwende-Blues im Ostdeutschland der frühen Neunzigerjahre klingt im Kino derzeit so: Dem harten Krks von gemeinschaftlich aufgeknackten Bierdosen folgt ein aggressives Zzzsch des blubbernden Schaums und schließlich ein gieriges Glugluglug. Das Echo: Wenn die blühenden Landschaften nicht von alleine kommen, muss man sie sich eben herbeisaufen.

In diesen Wochen laufen gleich zwei sehr bierdosenbeseelte deutsche Filme an, die sich mit der Teenager-Tristesse der Nachmauerjahre beschäftigen. Auf der Berlinale im Februar - und kurz darauf regulär im Kino - startet Andreas Dresens "Als wir träumten". Der Film basiert auf dem gleichnamigen Roman von Clemens Meyer. Eine Coming-of-Age-Story über eine Gruppe ostdeutscher Techno-Kids in Leipzigs Trabantenstädten, die sich nach der Wende am wilden Leben probieren und gnadenlos scheitern.

In dieser Woche schäumen die Bierdosen und die Wut bereits bei Burhan Qurbani über, in seinem Drama "Wir sind jung. Wir sind stark". Eine fiktive Geschichte über die realen Ausschreitungen gegen vietnamesische Asylbewerber im sogenannten Sonnenblumenhaus in Rostock-Lichtenhagen im Sommer 1992.

Was sagt der Film über Pegida?

Beide Filme werden jetzt natürlich von der Tagespolitik eingeholt. Weil sie zumindest indirekt die Frage aufwerfen, ob aus der desillusionierten jungen Generation, die sie porträtieren, jene Pegida-Marschierer hervorgegangen sind, die sich heute Dresden und noch einiges mehr einverleiben wollen.

"Wir sind jung. Wir sind stark" verneint diese Frage genauso wenig, wie er sie bejaht: Der Film ist glücklicherweise keines der didaktischen Historien-Event-Movies geworden, mit denen viele TV-Sender so gerne Quote machen. Sondern er ist als Projektionsfläche angelegt - damit der Zuschauer zum Schluss auf sich selbst zurückgeworfen wird.

Die Handlung spielt an einem einzigen lauen Sommermontag, dem 24. August 1992, an dem die Ausschreitungen ihren von Molotowcocktails vernebelten Höhepunkt erreichen. Ein wütender Mob greift das Sonnenblumenhaus an, ein paar tausend Gaffer jubeln begeistert, die Polizei zieht sich panisch zurück. Bürgerkriegsähnliche Zustände im wiedervereinigten Deutschland.

Regisseur Qurbani, Sohn afghanischer Eltern und Absolvent der Ludwigsburger Filmhochschule, erlebte diesen Moment als Zwölfjähriger vor dem Fernseher. Ein Urschock, nach dem er sich zum ersten Mal fremd und gefährdet in seiner eigenen Heimat fühlte, und den er nun in seinem zweiten Spielfilm aus verschiedenen Perspektiven verarbeitet.

Im Mittelpunkt steht eine Gruppe Jugendlicher, die mehr oder weniger aus Langeweile und Perspektivlosigkeit nach rechts driften und schließlich Steine und Brandzünder werfen. Außerdem gibt es noch zwei weitere Handlungsstränge: den einer vietnamesischen Familie, eingepfercht in einem der kleinen Hochhaus- Apartments, während die Welt draußen in Flammen aufgeht; und die Geschichte einiger Lokalpolitiker und Polizisten, denen die Situation völlig entgleitet.

Zu viele Bierdosenfronten

Leider raubt dieses ausführliche Panorama, das möglichst viele verschiedene Sichtweisen abbilden will, der eigentlichen Kerngeschichte einiges von ihrer erschreckenden Kraft - weil einfach ein paar Bierdosenfronten zu viel eröffnet werden. Auch die schwelgerischen Bilder, in denen der Film inszeniert ist, schleifen trotz Schwarz-Weiß-Optik die ganze brutale Rauheit dieses Dramas manchmal etwas zu sehr ab.

Denn als Coming-of-Age-Totaldesillusionierung funktioniert der Film streckenweise erschreckend gut - vor allem wegen seiner Hauptdarsteller. Jonas Nay, Joel Basman und Saskia Rosendahl spielen den Kern der Teen-Truppe. Irgendwann, zwischen Bierdosenorgien im grauen Hinterhof und Bierdosenorgien an der stürmische Ostsee, genügen sie sich nicht mehr selbst als Opfer - auch Selbstmitleid kann auf Dauer langweilig werden.

Sie sind doppelt betrogen worden. Weil sowohl das Ende der DDR als auch das Ende ihrer Adoleszenz nicht wie erwartet einen Neuanfang markieren - sondern eben einfach nur ein Ende.

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Wir sind jung. Wir sind stark , D 2014 - Regie: Burhan Qurbani. Buch: Martin Behnke, Qurbani. Kamera: Yoshi Heimrath. Mit: Jonas Nay, Joel Basman, Saskia Rosendahl, Devid Striesow. Zorro, 123 Min.

© SZ vom 22.01.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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