Biennale: Italienischer Pavillon:Die Kunst ist nicht die Mafia

Peinlich berührt wandten sich viele Kunstkritiker vom italienischen Biennale-Pavillon ab, der mit einer Pornodarstellerin eröffnet wurde. Dabei ist er ein großer Angriff auf die Kunst der Gegenwart - und zugleich eine Lektion darüber, was Silvio Berlusconis Italien wirklich zusammenhält.

Thomas Steinfeld

Peinlich berührt wandten sich viele Kunstkritiker vom italienischen Pavillon auf der Biennale in Venedig ab, redeten von Kitsch, "Minestrone" und leeren Gesten, während die Kritikerin der New York Times gar von "unredeemable still-born schlock" sprach - von "heillosem, totgeborenen Ramsch". Das alles sind ästhetische Urteile. Diese Ausstellung aber ist über die Ästhetik hinaus.

54th International Art Biennale - June 2, 2011

Porno-Darstellerin Vittoria Risi wälzte sich zur Eröffnung des italienischen Pavillons auf einem Thron aus Kunststoffschläuchen.

(Foto: Getty Images)

Sie ist eine Offenbarung: an Bosheit und Rohheit, an Intriganz und an politischer Ranküne. Wer durch sie gegangen ist, hat das Ende der zeitgenössischen Kunst gesehen, buchstäblich. An nur einem Ort gewiss, aber die Biennale ist eine ihrer zentralen Schauplätze. Der Besucher könnte, nach dieser Erfahrung, die Art Basel, die größte Kunstmesse der Welt, nicht mehr ohne das Bewusstsein betreten, dass da in Venedig jemand kam, um dem Gewerbe die Grundlage zu entreißen. Und dass ihm dieses Attentat auf die Kunst gelang. Zugleich hat der Besucher eine Lektion darüber erhalten, was Silvio Berlusconis Italien tatsächlich zusammenhält.

Die Werke von zweihundertsechzig Künstlern sind in der langen Halle am nordöstlichen Rand des Arsenale ausgestellt, in einem wilden Sammelsurium, das etablierte Künstler neben völlig unbekannte stellt - und allen den Anspruch auf Bedeutung nimmt, sowohl durch die Organisation der Ausstellung wie durch ihre Präsentation. Diesen Punkt erreicht zu haben als repräsentative, die gesamte Nation umfassende ästhetische Anstrengung, ist das Verdienst des Kulturpolitikers und Fernsehmoderators Vittorio Sgarbi, des sogenannten Kurators dieser Veranstaltung.

Nach dem Modell der billigen TV-Shows

Wobei es ihm gar nicht darauf ankam, die zeitgenössische Kunst als prätentiöses, eitles, aber hohles Getue eigens zu diffamieren - vielmehr will er sie, nach dem Modell der billigen Shows, von denen das italienische Fernsehen lebt, als Spektakel des persönlichen Ehrgeizes und seiner Niederlagen vergesellschaften.

Es war dieser Mann, ein langjähriger Vertrauter des Ministerpräsidenten, der dem Biennale-Pavillon den Namen "L'arte non è cosa nostra" gab und ihn zum Zentrum von Hunderten von Kunstausstellungen machte, die gleichzeitig im ganzen Land stattfinden.

Der Titel ist doppeldeutig. "Die Kunst ist nicht unsere Sache" ist nur seine einfache Übersetzung. Denn "cosa nostra" ist ein Ausdruck für die Mafia. Und so bedeutet die Formel, dass die Kunst nicht "unsere Sache" sei, auch, dass sie bislang die Sache einer Mafia war, von der sie nun befreit werden soll. Die Mafia aber ist in Italien keine Metapher, sondern ein Problem staatlicher Autorität.

Wenn die Ausstellung die Mafia im Titel trägt und wenn Vittorio Sgarbi in mehreren Reden die zwei prominentesten Vertreter der italienischen Kunstkritik - Germano Celant, eine der Zentralfiguren der Arte povera, und Achille Bonito Oliva, einen der wichtigsten Kuratoren für Gegenwartskunst - direkt angreift, kriminalisiert er also die Repräsentanten und den Betrieb. Diese Angriffe ad personam geben der populistischen Zurückweisung der Gegenwartskunst, wie Marco de Michelis, Architekturhistoriker an der IUAV Universität in Venedig, erläutert, einen neuen Charakter.

Denn die Mafia - das sind in diesem Fall die Kuratoren, die Kritiker, die Sachverständigen, die Intellektuellen und, überhaupt, das gesamte gebildete Publikum. Sie sind das Kreuz, an das - wie in einer Skulptur, die es am kurzen Ende der gigantischen Halle verdeutlicht - das lebendige Italien als blutige Masse genagelt ist.

Aus diesem ebenso militanten wie geistfeindlichen Ressentiment bezieht das Projekt seine Kraft, und um sie zu illustrieren, eröffnete Vittorio Sgarbi den italienischen Pavillon zusammen mit einer Freundin, der Porno-Darstellerin Vittoria Risi. Nackt wälzte sie sich vor zehn Tagen auf einem Thron aus bunten, prallen, glitschig wirkenden Kunststoffschläuchen, während Vittorio Sgarbi zu ihren Füßen erklärte, Italien habe von jeher viel mehr große Künstler besessen als jede andere Nation der Welt.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, wen der Kurator eliminiert hat.

Korrupt sind sie alle

Um die Mafia in der Kunst zu vernichten, hat Vittorio Sgarbi die wichtigste Figur des Kunstbetriebs eliminiert: den Kurator. Denn dieser ist, mehr noch als ein Theaterdirektor oder Intendant, die wählende und vor allem die ausschließende Instanz. Der Kurator macht - unter der modernen Voraussetzung, dass alle Kunst abstrakte Kunst ist, also der Erläuterung bedarf - die Kunst überhaupt erst zur Kunst.

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Die Intellektuellen sind das schwarze Kreuz, an das das lebendige Italien gefesselt ist. Die Installation "Italien gekreuzigt" von Gaetano Pesce ist über sieben Meter hoch und schließt die Halle im Norden ab.

(Foto: AFP)

Je strenger er dabei vorgeht, als desto erhabener sollen die erwählten Werke gelten. "Denn der Ausschluss schafft Bedeutung" erklärt der in Venedig lebende Philosoph und Künstler Wolfgang Scheppe. Was umgekehrt bedeutet, dass der Kurator immer auch einen Konsens über die Bedeutung eines jeden von ihm ausgewählten und präsentierten Werks herstellen muss, zumindest innerhalb des eigenen Gewerbes, innerhalb des Kunstbetriebs. In dem Augenblick aber, in dem die Herstellung von Sinn und Gemeinsinn durch die Kunst nicht mehr aufrechtzuerhalten ist, in dem der Anspruch der Kunst auf eine allgemeine Bedeutung nicht mehr geglaubt wird, bricht dieses System auseinander. Vittorio Sgarbi hat ganz auf diesen Augenblick gesetzt.

Tausend italienische Berühmtheiten, bekannte und weniger bekannte, Sportler, Designer und Philosophen traten, auf Vittorio Sgarbis Einladung hin, an die Stelle des Kurators und entschieden sich, nach Kriterien, die ihnen allein überlassen wurden, für jeweils einen Künstler. So verwandelten sich die ferne Verwandte, der Neffe des Arbeitskollegen, der Jugendfreund der Großmutter plötzlich, durch ein scheinbar demokratisches Dekret, in vermeintlich bedeutende italienische Künstler. So bedeutend, dass ihre Werke auf der Biennale ausgestellt werden.

Politische Performance

Ihnen allen widerfährt nun die Genugtuung, die Instanz ausgeschaltet zu sehen, der vermutlich die meisten von ihnen ihre Erfolglosigkeit zu verdanken meinten: der Verschwörung der Kunstrichter, der "Mafia" des Kunstbetriebs. Das sichtbare Ergebnis dieser politischen Performance, in der die Künstler nur als gleichgültiges Material vorkommen, verrät eine verblüffende Einsicht in die Gesetze des Betriebs: Ohne die Behauptung von Autorität - die Sache der als mafiös bestrittenen Institutionen - ist der Gegenstand von Kunstgenuss für das interessierte Publikum nicht zu haben. Und schon gar nicht die Verwandlung von Bedeutung in Wert - eine ökonomische Konnotation, die Angelegenheit eben der Art Basel ist, die der Biennale in Venedig wie eine geschäftstüchtige Wiedergängerin auf dem Fuß folgt.

Als Entschädigung für die lang erlittene Zurücksetzung dürfen die erwählten Künstler sich nun in einer Gesellschaft präsentieren, die auch dem schlimmsten Dilettanten Raum gewährt - so eng gehängt sind sie, in bis zu fünf Reihen übereinander, dass kein Kunstwerk einen Anspruch auf ausschließende Geltung erheben kann. Sie alle wurden befördert, um sich herabsetzen zu lassen, unter das Niveau, das sie vorher für sich reklamieren konnten (denn vorher durften sie zumindest hoffen).

Und während es auch Intellektuelle gegeben haben soll, die ihre Wahl nach bestem Wissen und Gewissen trafen, so sind sie doch jetzt alle - und es sind berühmte darunter, Giorgio Agamben, Umberto Eco, Claudio Magris, Riccardo Muti oder Mario Botta (schwarze Nackte mit Cello, von Giuseppe Bergomi) - beschädigt, weil die Regie dem Nepotismus übergeben worden war. Wie man sich auch dreht und wendet: Als korrupt erscheinen sie alle.

In großen Teilen gleicht, was im italienischen Pavillon der Biennale zu sehen ist, einer Sammelausstellung in der Provinz - ein wenig mehr oder minder geschmacklose Pornographie, ein paar Großstadtansichten mit bunten Lichtern, etwas Landschaftsmalerei mit kubistischen Bauernhäusern, skurrile Basteleien, zwischendurch ein bisschen harmlose Blasphemie und jede Menge nach wildem Ausdruck heischender Expressionismus, dessen Grund und Inhalt sich nicht ermitteln lässt - kurz, Arbeiten, die berühmtere Werke nachahmen, ohne deren ästhetischen Anspruch zu erheben. Mitten in diesem Gewühl hängen, weit oben, nebeneinander, ein Porträt von Vittorio Sgarbi und eines von Silvio Berlusconi.

Und dann gibt es, in derselben Halle, eine dokumentarische Ausstellung zu den Schreckenstaten der Mafia, eine finstere Folterkammer des organisierten Verbrechens. In diesem unmittelbaren Nebeneinander zur Kunstausstellung bedeutet sie: So ist die Mafia, und sie ist es, die den Künstler des Volkes daran hindert, das zu sein, was er eigentlich ist.

Das Verfahren ist so wirkungsvoll, es trifft seinen Gegenstand, eben weil sich große Künstler und ihre Epigonen auf dem Feld der zeitgenössischen Kunst so ähnlich sind - und weil es so schwierig ist, über sie zu urteilen.

Dass es sich bei diesem oder jenem Werk, wie bei der Gegenwartskunst überhaupt, um etwas ungeheuer "Vielschichtiges" und "Komplexes" handele, erzählt einem noch jeder Kurator, auch der erfolgreichste, und gewöhnlich wird einem nicht erklärt, worin denn diese Komplexität bestehen soll. Das Wort aber bleibt stehen, als leerer Anspruch auf Bedeutung - dem, es geht nicht anders, eine leere Autorität entsprechen muss. Das Wort fordert für die Kunst ein unendliches Kontinuum der Reflexion, dessen Anwesenheit nie gewusst, sondern immer nur gespürt werden kann, weil kein Denken es ermessen können soll. Deswegen setzt die zeitgenössische Kunst eine Übereinkunft aller Beteiligten (und deren Bestätigung durch das Geld, also den Kunstmarkt) in einer ganz anderen Weise voraus, als es die ältere Kunst je tat.

Lesen Sie weiter auf Seite 3, warum der eindrucksvollste Künstler keiner mehr sein will.

Attentat auf die zeitgenössiche Kunst

Deswegen unterhält sie ein so empfindliches Verhältnis zur Kritik (und versucht gar, eben durch den Kurator, sich ihrer zu entledigen). Und deswegen steht sie dem Angriff Vittorio Sgarbis, der weder den Anspruch auf Bedeutung noch den Anspruch auf Autorität gelten lässt, so hilflos gegenüber, dass in Italien nicht eine prominente Stimme zu ihrer Verteidigung (und der Kritik an Vittorio Sgarbi) zu hören war. Denn wer wollte gegen die Korruption vorgehen, wenn doch alle allerseits verstrickt sind?

54th International Art Biennale - June 3, 2011

Kulturpolitiker und Kurator Vittorio Sgarbi.

(Foto: Getty Images)

Und was ist mit der Tradition, was ist mit den "fünftausend Künstlern" der italienischen Vergangenheit, die, wie Vittorio Sgarbi ausländischen Kritikern gern entgegenhält, nur eine armselige Handvoll an spätmittelalterlichen Meisterwerken im restlichen Europa gegenüberstehen?

Im Eingang zur Biennale hängen drei Gemälde Tintorettos, des frühen Bravourmalers, eines Meisters in der Kunst, den Betrachter durch Farbe und Räumlichkeit zu beeindrucken. Sie befänden sich dort, weil auch er ein "Außenseiter" sei, behauptet die Schweizer Kunsthistorikerin Bice Curiger, die Kuratorin der gesamten Schau. Tatsächlich stellen die drei Gemälde nicht nur die Frage nach der historischen Kontinuität, sondern übertragen ihre Bedeutung auf die Werke, die auf der Biennale zu sehen sind - und zwar auch dann, wenn diese Bedeutung eine leere Behauptung ist.

Sie dienen der Weihe auf dieselbe Weise, wie auch die vorindustrielle Monumentalität des "Arsenale", der Kriegsschiffsfabrik der Republik Venedig, der Weihe der darin ausgestellten Kunst dient oder die auf Beeindruckung angelegte Architektur des deutschen Pavillons. Und auf die Weihe, also auf die in geschlossenen Zirkeln hergestellte, aber öffentlich akklamierte Behauptung von Bedeutung, war es auch Vittorio Sgarbi angekommen - denn sie will er zerstören, um der völkischen Gemeinschaft willen.

Selbstentblößung

Warum aber haben sich diese Menschen, die Künstler und, mehr noch, die Prominenten und Intellektuellen (zumindest letztere müssten es ja besser wissen) zu einer solchen Selbstentblößung hergegeben? Weil sie, und zwar vor allem die Linken unter ihnen, den Affekt gegen die Eliten teilen.

Sie hätten es gern egalitär, und sie scheitern an Silvio Berlusconi, weil der eben diesen Egalitarismus zu seinem politischen Programm erhoben hat - als Gleichgültigkeit gegenüber allen Unterschieden außer denen des Geldes. Die italienische Kunst dagegen soll sein wie er: ein Emporkömmling, der von den etablierten Mächten um seinen Status betrogen wird, einer, der tut, was alle tun wollen, nur dass er sich dazu bekennt, während die anderen ihren Egoismus, ihren Materialismus und ihre Machtansprüche hinter einer Rhetorik des höheren, gemeinsamen Interesses verbergen.

Die Enttäuschung der bislang von allen großen Ausstellungen ausgeschlossenen Künstler entspricht dabei die Enttäuschung des aus allen diesen Ausstellungen sich ausgeschlossen fühlenden Publikums, das seinen schlichten Kunstgenuss in den dort herrschenden Affirmationszirkeln nicht gewürdigt sieht.

Als anti-elitäre Haltung eines selbstbestimmten Kunstbegriffs des Volkes aber tritt diese Kampfansage an die Fremdherrschaft der Wenigen in die Fußstapfen aller linken Ideale, die die Geschichte der pastoralen Idylle kommunistischer Sommerfeste mit Wein, Weib und Gesang hervorgebracht hat.

"Die Abschaffung von Kultur und Erziehung in Italien realisiert also die Ideale der egalitären Fraktion innerhalb der Opposition, weswegen ihr keine mehr erwächst", sagt Wolfgang Scheppe. Am Ende dieser Geschichte wird daher keine Revolte stehen, keine bessere Regierung und schon gar keine bessere Kunst, sondern der Bankrott.

Die Institutionen der Kunst kommen und gehen, ließe sich einwenden, und so auch die Biennalen. Wie groß also müsste die Tat eines Einzelnen sein, um tatsächlich die zeitgenössische Kunst aus ihren Festen zu heben? Nun, sie muss nicht allzu mächtig ausfallen: Der Zweifel, einmal aus den Fesseln seiner Institutionen entlassen, tut in der Kunst dieselbe Wirkung, wie er sie einst in der Religion hervorbrachte. Er ist wie das Wasser unter den historischen Bauten von Venedig, das eines Tages selbst die größte Pracht zu sich herunterziehen wird.

Das eindrucksvollste Werk der italienischen Kunst ist im Padiglione Centrale zu sehen und stammt von Maurizio Cattelan: Es besteht aus zweitausend ausgestopften Tauben, die, mitsamt nachgemachtem Kot, auf Heizungsrohren, Querstreben und Mauervorsprüngen sitzen. Nur - Maurizio Cattelan hatte dieses Werk schon einmal gezeigt, auf der Biennale des Jahres 1997.

Die Wiederholung aber widerspricht allem, was die Biennale sein will: das Neue in der Kunst, die vorderste Linie des ästhetischen Fortschritts, das nicht mehr Überbietbare schlechthin. Maurizio Cattelan nun lässt das absolute Verlangen nach Originalität nicht mehr gelten. Er sei kein Künstler mehr, sagt er - und zieht die Konsequenz aus dem Attentat Vittorio Sgarbis auf die zeitgenössische Kunst, noch bevor es seine Wirkung tatsächlich getan hat.

Maurizio Cattelan verzichtet also auf die Qualität von Kunst, die Vittorio Sgarbi ihr praktisch bestreitet: etwas zu bedeuten.

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