Ausstellung: "Serious Games":MySchlachtfeld

Haben wir die Bilder vom Krieg inzwischen satt, können wir nicht genug von ihnen bekommen - oder lassen wir uns von ihnen manipulieren? Wie die sozialen Medien den Krieg wieder sichtbar machen, zeigt die Ausstellung "Serious Games" in Darmstadt.

Michael Moorstedt

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(Foto: Mathildenhöhe Darmstadt)

Haben wir die Bilder vom Krieg inzwischen satt, können wir nicht genug von ihnen bekommen - oder lassen wir uns von ihnen manipulieren? Wie Kriegs- zu Unterhaltungsbildern werden und wie die sozialen Medien den Krieg wieder sichtbar machen, zeigt die Ausstellung "Serious Games" in Darmstadt. Die Bilder. Zum ersten Mal kam der Krieg live und in Farbe in die Wohnzimmer der Welt. Mit den grün gefärbten Restlichtverstärkerbildern vom Dach des Al-Rashid-Hotels in Bagdad, die CNN während des zweiten Golfkriegs lieferte, vollzog sich ein ikonographischer Wandel. Im Gegensatz dazu blieb der Krieg in Afghanistan in den ersten Jahren weitgehend bilderlos oder erschöpfte sich in nichtssagenden, den Krieg allenfalls ästhetisierenden Aufnahmen. Bilder von Bodenkämpfen sah die Weltöffentlichkeit selten, schließlich waren die eingebetteten Reporter in ihrer Berichterstattung gänzlich auf das Wohlwollen der Koalitionsstreitkräfte angewiesen. "Das Verschwinden des Kriegstodes", schreibt der Flensburger Historiker Gerhard Paul, "entspricht dem postmodernen, militärischen Routinejob an Monitoren und Rechnern, in denen der Feind allenfalls als Pixel oder Koordinate erscheint." An diesem Punkt setzt auch die Ausstellung "Serious Games" in der Darmstädter Mathildenhöhe an. Text: Michael Moorstedt/SZ vom 21.6.2011/sueddeutsche.de/rus Alle Bilder entstammen der besprochen Ausstellung. Dieses Bild: Martha Rosler: Lounging Woman/aus der Serie: "Bringing the War Home: House Beautiful", 2004/Courtesy Galerie Christian Nagel, Berlin

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(Foto: Mathildenhöhe Darmstadt)

"Die Nachrichtenmedien treten dabei wie die Militärmaschinerie als Agenten einer oft verharmlosenden Virtualisierung des Krieges auf", schreibt Ralf Beil, Direktor der Museums, im Katalog. Wie weit diese Künstlichkeit schon vorangeschritten ist, sieht man bei Harun Farocki, der mit seiner Serie "Serious GamesI-IV" im Zentrum der Ausstellung steht. Er filmt kommentarlos, wie sich Soldaten mit Hilfe der virtuellen Umgebung eines Egoshooter-Spiels auf ihren Einsatz vorbereiten - und traumatisierte Veteranen, die mit einer ähnlichen Software ihre Erlebnisse zu verarbeiten versuchen. Der Besucher sieht, wie reales Kriegsgerät auf den Plätzen von Kairo zu Statuen wird, sieht abstürzende Flugzeuge im Vietnamkrieg als Großprojektion, sieht Sturmgewehre und Panzer als Motive von in Afghanistan geknüpften Teppichen. Bild: Harun Farocki, Ernste Spiele III: Immersion, 2009/ Courtesy: Gallery Thaddaeus Ropac, Paris/ Salzburg

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(Foto: Mathildenhöhe Darmstadt)

Diese Umwandlung von Kriegs- in Unterhaltungsbilder ist die zentrale Kritik der 23 Künstler, deren Arbeiten die Darmstädter Ausstellung zeigt. Nicht umsonst schreibt Gerhard Paul, die Inszenierung des Wüstensturms habe "mit dem dramaturgischen Bogen eines jeden Spielfilms" übereingestimmt. "Exposition - Ultimatum - Spannungssteigerung und Action-Phase - Happy End." Bild: Martha Rosler, The Gray Drape, 2008 © Matha Rosler/ Courtesy: Gallery Christian Nagel, Köln / Antwerpern / Berlin

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(Foto: Mathildenhöhe Darmstadt)

Doch beinahe exakt 20 Jahre und eine Medienrevolution nach dem zweiten Golfkrieg läuft die Kritik der Ausstellung seltsam ins Leere, zeigen die Bilder der Konflikte nicht mehr die "chirurgischen" Luftangriffe der westlichen Militärallianz, sondern auch das Chaos in den Straßen von Bengasi - nicht im Fernsehen, sondern online. Tausende Bilder und Videos aus Libyen, Ägypten und Syrien, aber auch aus Afghanistan und Irak geben im Internet ein Bild der Revolutionen im Nahen Osten ebenso wie des Kriegs gegen den Terror wieder, so, wie es die klassischen Medien niemals zeigen würden. Blutig, grausam, unmittelbar. Jeder Besitzer eines Kamera-Handys wird zum potenziellen Kriegsberichterstatter, und jeder technisch noch so wenig versierte Nutzer kann sich die Bilder auf Twitter oder YouTube ansehen. Bild: William E. Jones: Killed 2009/Courtesy of the artist and David Kordansky Gallery, Los Angeles, CA

"Es gibt keine großen Posen und Gesten und schon gar keinen Heldentod mehr", schreibt Gerhard Paul. Auf dem digitalen Kampfplatz würden die Bilder verschwinden. Der Krieg der Gegenwart sei "unsichtbar geworden" und bringe im "Unterschied zu den industrialisierten Kriegen der Vergangenheit keine ikonischen Verdichtungen mehr hervor, an die sich das kollektive visuelle Gedächtnis heften könnte". Heute sind die Daten dereguliert, und Nato-Soldaten posten Filme von Gefechten mit den Taliban auf YouTube. Hunderte Kriegsclips lassen sich auf der Videoplattform finden, sie sind meist nicht länger als ein paar Minuten und werden oftmals mehrere Millionen Male angeklickt. Unterbrochen vom Kanonendonner hört man dort die Flüche, das Lachen und die coolen Sprüche der Soldaten. Die Videos sind verwackelt, grobkörnig und meist aus der Point-of-View-Perspektive der Helmkameras aufgenommen. Sie sehen zwar aus wie Szenen aus einem Computerspiel, könnten aber nicht weiter davon entfernt sein. Mehr Echtzeit geht nicht. Und auch nicht mehr Echtheit. Bild: Oliver van den Berg: Kameras, 2007/Foto: Thomas Bruns, Berlin Courtesy of Oliver van den Berg/ Gallery Kuckei + Kuckei, Berlin

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(Foto: Mathildenhöhe Darmstadt)

Doch Kontext und Urheberschaft gehen im Raum zwischen Retweets und URL-Kürzungsdiensten oft verloren. Einmal hochgeladen, entwickeln die Daten ein Eigenleben, werden hundertfach kopiert und weiterverbreitet. Schon nach kurzer Zeit ist es für den Beobachter nicht mehr ersichtlich, wer diese Aufnahmen und Angaben gemacht hat - Soldaten, Zivilisten oder Reporter. Im schlechtesten Fall führt die vermeintliche Authentizität der Bilder dazu, dass Manipulationen noch weniger erkennbar sind. Bild: © Ingo Günther / Worldprocessor, ca. 2010/ Courtesy of the artist / Arteversum, Düsseldorf  

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(Foto: Mathildenhöhe Darmstadt)

Trotzdem werde Kriegsberichterstattung heute per Crowdsourcing betrieben, schreibt Jared Keller im Atlantic. Es bleibt die Frage, wie die klassischen Medien mit dem Input umgehen sollen. Nicht mehr die Banalisierung und Künstlichkeit der Bilder, wie sie in der Darmstädter Ausstellung kritisiert werden, sind das Problem. Sondern ein Zuviel an Grausamkeit. Schließlich ist der Smartphonebesitzer nicht nur alleiniger Produzent seiner Bilder, sondern auch sein alleiniger Zensor. "Very Intense", "Highly Graphic" oder "Brutal" warnen die Überschriften der Videos auf Twitter und YouTube. Wer weiterklickt, sieht blutig geschossene Kinder, abgetrennte Glieder, tote Menschen. Der Krieg nicht mehr als Spielfilm, sondern als Horror-Show. Bild: Jean-Luc Godard: Je vous salue, Sarajevo/Frankreich, 1993/Video/Courtesy of the artist   

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(Foto: Mathildenhöhe Darmstadt)

Jean Baudrillard schrieb in einer Reihe von Essays, der Golfkrieg habe "nicht stattgefunden". Für das westliche Publikum war das Geschehen nicht viel mehr als ein grünes Flackern auf seinen Bildschirmen, präsentiert von den vertrauten Gesichtern der Anchormen, die zwar betroffen über den Rand ihrer Brillen schauten, dann aber ansatzlos zum abendlichen Unterhaltungsprogramm überleiteten. Gerade die "sauberen" Bilder von Krieg und Leid, die in den westlichen Medien verbreitet würden, "führen zu einer Playstation-Mentalität der Desensibilisierung", schreibt Zeynep Tufekci, Soziologie-Professorin an der Universität von Maryland, in ihrem Blog technosociology.org. Fernsehen sei nach wie vor das Medium der Distanz. Die Bilder und Videos auf Twitter und YouTube versetzten den Betrachter auf "Bajonett-Distanz zum Geschehen", so Tufekci. Bild: Peggy Ahwesh: She Puppet USA, 200/Video/Courtesy of the artist

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(Foto: Mathildenhöhe Darmstadt)

Durch die sozialen Medien wird der Krieg wieder sichtbar. Gaukelten die Satellitenbilder und Überblicks-Fotografien noch vor einigen Jahren ein übersichtliches Schlachtfeld vor, ist der Blick darauf heute individualisiert. Der Betrachter nimmt nicht mehr die Perspektive der Smart Bombs ein. Sondern die des einzelnen Soldaten. Bild: Harun Farocki: Ernste Spiele III: Immersion, 2009/Courtesy: Gallery Thaddaeus Ropac, Paris/ Salzburg

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(Foto: Mathildenhöhe Darmstadt)

"Serious Games. Krieg - Medien - Kunst", Mathildenhöhe Darmstadt bis 24. Juli. Infos: www.mathildenhoehe.info. Katalog: HatjeCantz. Bild: Kota Ezawa: The History of Photography, Remix 2004-2006/Dia-Show/Courtesy Murray Guy Gallery, New York

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