Studieren in Mexiko-Stadt:Vom Lärm verfolgt

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Die Uni in Mexiko-Stadt ist eine der größten Hochschulen der Welt, zieht Touristen und Studenten an - und feiert dieses Jahr 100. Geburtstag. Wer hier studiert, braucht starke Nerven.

Florian Paulus Meyer

Autos hupen, Reifen quietschen, die reparaturbedürftigen Bremsen der Kleinbusse sägen an den Nerven. Dazwischen das Geschnatter auf den engen Fluren, das Pfeifen der alten Frauen, die gekommen sind, um Essen zu verkaufen, und die spitzen Töne der Alarmanlagen auf den Parkplätzen. Die Ciudad Universitaria, der Campus der Universidad Nacional Autónoma de México (Unam) im Süden von Mexiko-Stadt, kommt nie zur Ruhe, egal ob im Semester oder in den Ferien. Es ist wie in einem großen Bienenstock, es surrt und schwirrt den ganzen Tag.

Turm des Wissens: Bibliothek der Unam, Mexikos Hauptstadt-Uni, deren Campus zum Unesco-Weltkulturerbe zählt. (Foto: AFP)

Selbst im "Elfenbeinturm", der sechsstöckigen Hauptbibliothek, die mit einem Mosaik aus Mexikos Geschichte geschmückt ist, müssen die Studenten mit der ständigen Lärmkulisse leben, dabei schreiben, recherchieren, lernen. Der Campus von Mexikos bekanntester und größter Universität ist eben nicht nur ein großer Studiensaal und Schreibraum für Studenten, sondern auch Wohnzimmer, Küche, Naherholungsgebiet und Sportplatz für die ganze Stadt.

Mexiko-Stadt ist mit 20 bis 30 Millionen Einwohnern eine der größten Metropolen der Welt. Und auch die unter dem Kürzel Unam bekannte Hochschule ist eine der größten: Fast 300.000 Studenten lernen auf dem Campus und in den Zweigstellen im Tal der Hauptstadt (ähnlich groß ist etwa die Universität von Buenos Aires). Um mit den vielen Studenten fertigzuwerden, laufen die Vorlesungen und Seminare im Schichtbetrieb, von sieben bis 13 Uhr und 15 bis 21 Uhr. Denn die Hörsäle, Labors, Werkstätten und Computerräume reichen nicht aus, auch wenn sich die Fläche des Campus mit einer deutschen Kleinstadt messen kann.

Das Ensemble der Uni-Gebäude, Sportanlagen und Grünflächen wurde 2007 auf die Liste des Unesco-Weltkulturerbes aufgenommen; auch deshalb laufen immer wieder Touristen über den weiten Campus. Elf Buslinien verteilen Studenten und Dozenten über das Gelände. Das Kulturzentrum der Unam hat einen Konzertsaal, ein Museum für moderne Kunst, mehrere Kinos und ein Theater. Gleich daneben liegt das universitätseigene Naturschutzgebiet, dahinter ein Schwimmbad mit Sprungturm, ein Fußballstadion, mehrere Bibliotheken und unzählige Mensen. Das beste Restaurant ist im Institut für Architektur: Neben einer Auswahl an mehreren Tagesmenüs gibt es in dem lichtdurchfluteten Gebäude Tacos, Grillfleisch und Burger.

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In diesem Jahr feiert Mexiko den hundertsten Jahrestag der Revoution. In dieser Zeit wurde auch die Unam gegründet, die das Jubiläum entsprechend groß feiert. In Rankings schneidet die Unam gut ab, unter den Hochschulen Lateinamerikas ist sie eine der wichtigsten. Besonders freuen sich die Studenten, wenn Universitäten der Gringos, also der US-Amerikaner, schlechter dastehen.

Das Universitätsgelände der Unam lockt am Wochenende auch zahlreiche Touristen und Einheimische zum Picknick. (Foto: AFP)

Oscar Juárez ist 25 Jahre alt, hat seinen Bachelor in Politikwissenschaft an der Unam abgeschlossen und arbeitet jetzt für das Sozialministerium der mexikanischen Regierung. Demnächst will er sich für ein Masterprogramm einschreiben, wieder in der Universidad Nacional Autónoma de México. "Wer einmal hier studiert hat, bleibt der Unam treu", sagt er patriotisch. Doch die Plätze sind hart umkämpft. Um aufgenommen zu werden, muss Juárez neben zwei Empfehlungsschreiben und einem ausformulierten Forschungsprojekt auch einen Test über mexikanische Geschichte, über Politik und Statistik bestehen.

In dem Test könnte auch die Geschichte der Unam zum Thema werden, denn sie ist stark mit der Politik des Landes verbunden. Mehrere Streiks haben Studenten und Professoren hier schon ausgetragen, den bisher letzten großen im Studienjahr 1999/2000. Neun Monate fiel der Unterricht damals aus, bis die Bundespolizei den Streik am Ende auflöste.

Normalerweise begegnet man auf dem Campus der Unam keinen Polizisten, die Hochschule hat ihren eigenen Wachdienst. Diese "Vigilancia" fährt in blau-gold bemalten VW-Käfern mit rot blinkendem Alarmlicht auch am Wochenende durch die Ciudad Universitaria, die Universitätsstadt. Denn die Tore sind hier nie geschlossen, und der Campus ist gerade an Sonntagen ein beliebtes Ausflugsziel für ein Picknick; es ist ein grüner Fleck in der sonst staubigen, braungrauen Hauptstadt. Oder es treffen sich Hobbykicker, die nach einer Partie der Erstligamannschaft der Unam auf den Grünflächen weiterspielen wollen.

Kritik gibt es trotz des Jubiläums und einer erfolgreichen Fußballsaison allerdings auch: In seinem Buch "Die Reform der Universität und die Verwaltung der Unam" kritisiert Hugo Casanova vom Institut für Bildungsforschung, dass sich die Universität seit mehr als 60 Jahren zu wenig weiterentwickelt habe. Vor allem die Organisation der Institute und die Berufung des Führungspersonals entspreche nicht mehr einer Universität des 21. Jahrhunderts. Erste Veränderungen erkennt man aber bereits auf dem Campus: Die alten VW-Käfer der "Vigilancia" werden nach und nach durch moderne Kleinwagen ersetzt.

© SZ vom 26.07.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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