Gleichberechtigung im Job:Männerjobs, Frauenjobs - was die Lohnlücke aufreißt

Gleichberechtigung im Job: Es gibt einen Zusammenhang zwischen dem Frauenanteil in einem Beruf und der Bezahlung. Forscher sehen in diesem einen Hauptgrund für den Gender-Pay-Gap.

Es gibt einen Zusammenhang zwischen dem Frauenanteil in einem Beruf und der Bezahlung. Forscher sehen in diesem einen Hauptgrund für den Gender-Pay-Gap.

Wenn über die geringere Bezahlung von Frauen gesprochen wird, schauen alle auf Kinderbetreuung und Teilzeit. Dabei gibt es einen weiteren Faktor, der sie noch stärker benachteiligt.

Von Sarah Schmidt

Wäre die Benachteiligung von Frauen im Berufsleben eine Krankheit, sie ließe sich mit einem diffusen Unwohlsein vergleichen. Schnupfnase und Gliederschmerzen - gar nicht so leicht zu sagen, ob der Patient direkt ins Bett gehört oder mit Aspirin und Nasenspray doch noch durch den Tag kommt. In diesem Bild entspricht die Berechnung der Lohnlücke dem Fiebermessen. Das vage Gefühl manifestiert sich zu einer konkreten Zahl.

Und diese Zahl bescheinigt dem deutschen Arbeitsmarkt richtiges Fieber, keine leicht erhöhte Temperatur. 21 Prozent verdienen Frauen hierzulande weniger als Männer. Nur in Estland und Österreich geht die Gehälterschere im europäischen Vergleich noch weiter auf.

Das größte Problem an der Misere: Das Fieber geht nicht runter, die Lohnlücke schließt sich nicht. Lange hat man gehofft, das Thema würde sich von selbst klären. Prinzip "phlegmatischer Optimismus". Wenn die Frauen bei der Bildung aufholen und ihre Berufstätigkeit als Vollzeitjob sehen und nicht als Übergangslösung, bis endlich der Richtige ums Eck kommt, dann, ja dann, werde sich das Thema mit der schlechteren Bezahlung schon von selbst erledigen. Immerhin hat sich der Gender Pay Gap so halbiert. In den 50er-Jahren lag die Lohnlücke noch bei mehr als 40 Prozent.

Inzwischen machen mehr Mädchen als Jungen Abitur, mindestens genauso viele junge Frauen gehen an die Uni und verlassen diese mit mindestens so guten Abschlüssen wie ihre Kommilitonen. Trotzdem klebt die Lohnlücke seit Anfang der 2000er Jahre hartnäckig bei gut 20 Prozent. Mit massiven finanziellen Nachteilen für die weibliche Hälfte der Bevölkerung.

Wenn es um die Gründe fürs Gender Pay Gap geht, wird der Fokus vor allem auf das Thema Kinderbetreuung gelegt. Schließlich sind es noch immer vornehmlich Frauen, die für die Familie längere Auszeiten vom Beruf nehmen und dann häufig in Teilzeit wieder in den Job zurückkehren - leider schadet beides noch immer der Karriere und dem Gehalt.

Doch es gibt einen weiteren Faktor, der die Lohnlücke mindestens genauso stark festbetoniert: die unterschiedliche Bezahlung in Berufen, die vor allem von Frauen gemacht werden, und in Berufen, die vor allem von Männern gemacht werden. Viele Frauen wenig Geld, viele Männer viel Geld - so lässt sich die Formel auf den Punkt bringen. Aktuellen Untersuchungen zufolge ist diese Benachteiligung auf Job-Level mittlerweile für mehr als die Hälfte der Lohnlücke verantwortlich.

Frauen im Job? Doppelt benachteiligt

Frauen werden im Arbeitsmarkt doppelt benachteiligt. Zum einen verdienen sie generell weniger als Männer, was am Abstand zwischen den beiden Graphen deutlich wird. Zum anderen liegt das Lohnniveau bei Berufen mit hohem Frauenanteil niedriger als in Männerberufen - zu erkennen am Abfall beider Kurven nach rechts hin. Einziger Sonderfall sind Berufe mit null Prozent Frauenanteil, meist geringqualifizierte Jobs, in denen körperlich gearbeitet und auch nur wenig gezahlt wird.

Diese Art der Benachteiligung wird sehr viel weniger diskutiert, doch gerade in Deutschland ist sie von großer Bedeutung: Die Geschlechtersegregation bei Berufen ist enorm stabil, das bedeutet, dass hierzulande besonders stark ausgeprägt ist, dass es bestimmte Männerberufe und bestimmte Frauenberufe gibt. Frauen werden Kindergärtnerin, Männer werden Elektroinstallateur. Frauen studieren Lehramt, Männer Maschinenbau. Diese klaren Geschlechterbilder sind fest in den Köpfen und Lebensläufen verankert.

Knapp 60 Prozent der berufstätigen Männer oder Frauen müssten ihren Job wechseln, wenn man in allen Berufen das gleiche Geschlechterverhältnis herstellen wollte wie das, das im Arbeitsmarkt insgesamt vorherrscht, haben Corinna Kleinert vom Leibniz-Institut für Bildungsverläufe in Bamberg und zwei Forscher-Kolleginnen berechnet.

Mehr Frauen in den Bereichen Jura, Medizin oder Gastronomie

Dass viele typische Frauenberufe niedriger entlohnt werden als typische Männerberufe, sei zu einem großen Anteil historisch bedingt, sagt Soziologie-Professorin Kleinert. Lange galt weibliche Berufstätigkeit in Deutschland schließlich nur als eine Art Übergangsbeschäftigung, bis sich die Frau als Hausfrau und Mutter ausschließlich ihrer Familie widmet. Der Job der Sekretärin oder der Krankenschwester wurden darum gar nicht erst darauf ausgelegt, langfristig Karriere zu machen und einen Lebensunterhalt zu sichern.

Doch was ist mit den Berufen, die vor wenigen Jahrzehnten fast ausschließlich von Männern übernommen wurden, mittlerweile aber ebenfalls einen hohen Frauenanteil haben. In den Bereichen Jura, Medizin, im Lehramt, aber auch im Bäckerhandwerk oder in der Gastronomie hat sich der Frauenanteil massiv erhöht. Wie wirkt sich das auf das Gehaltsniveau aus?

Corinna Kleinert und ihre Forscher-Kolleginnen haben Arbeitnehmer-Daten für Westdeutschland über 35 Jahre analysiert. Das Ergebnis ist deutlich: Steigt der Frauenanteil in einem Beruf langfristig um zehn Prozentpunkte, dann sinkt das Gehaltsniveau um vier Prozent.

Das liegt, so die Schlussfolgerung der Forscherinnen, allerdings nicht daran, dass die Arbeit in diesen Berufen generell an Wertschätzung einbüßt. Nein, stattdessen würden Frauen grundsätzlich schlechter bezahlt - und je größer der Anteil der schlecht bezahlten Personen in einem bestimmten Bereich, desto niedriger das Gehaltsniveau. Kleinert und ihre Kolleginnen sehen keine "generelle Entwertung von Berufen", sondern eine "generelle Entwertung von Frauen im Beruf".

Ab 60 Prozent Frauenanteil wird deutlich schlechter gezahlt

Daniel Oesch ist Professor für Sozialwissenschaften an der Universität Lausanne. Auch er forscht zum Thema Lohnlücke und Frauenanteil. Während Kleinert und Co. betrachtet haben, was passiert, wenn ganze Berufe "das Geschlecht wechseln", hat Oesch sich angeschaut, was passiert, wenn Einzelpersonen von einem männlich geprägten Beruf in einen weiblich geprägten Beruf wechseln oder andersrum.

Auch er stellt fest: Der Wechsel von einer Frauen- in eine Männerdomäne zahlt sich negativ aus. Ab einem bestimmten Schwellenwert sinkt die Entlohnung von Frauenberufen besonders drastisch, zeigen die Daten. Dieser Schwellenwert liegt bei 60 Prozent. "Bei diesem Wert wird aus einem geschlechtsneutralen Beruf ein typischer Frauenberuf. Dann ändert sich offenbar die Vorstellung darüber, was eine angemessene Entlohnung ist", sagt Oesch. Es gebe deutliche Hinweise darauf, dass Frauenberufe gesellschaftlich geringer geschätzt werden.

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Oeschs Studie zeigt einen deutlichen Unterschied zwischen Privatwirtschaft und öffentlichem Bereich: In der Privatwirtschaft ist die schlechtere Entlohnung von Frauenarbeit sehr viel ausgeprägter als bei staatlichen Institutionen. Eine deutsche Besonderheit: Ein größerer Teil der Löhne ist durch Tarifverträge bestimmt. Im Vergleich mit Großbritannien und der Schweiz, so Oesch, trage das eher dazu bei, dass die Unterschiede in der Bezahlung kleiner ausfallen.

Corinna Kleinert hingegen wendet ein, dass auch in den Tarifverträge viele Frauenberufe niedriger eingruppiert sind als Männerberufe. Diese Lohnungerechtigkeit sei damit für große Gruppen zementiert. Wann immer sich Gewerkschaften und Arbeitgeber an den Verhandlungstisch setzen, orientieren sie sich am bestehenden Tarifvertrag, am bisherigen Niveau. "Darum verändert sich da unheimlich wenig", sagt Kleinert. Was dazu führt, dass, selbst wenn für Lohnerhöhungen gekämpft wird, Fortschritte immer nur auf einem niedrigeren Niveau erreicht werden. "Gewerkschaften alleine sind vor allem dann gut für Frauen, wenn auch Frauen drin sitzen."

Das Ausbildungssystem zementiert die Berufswahl

Auch eine weitere Besonderheit des deutschen Arbeitsmarktes sorge für eine starke Segregation und damit ein zementiertes Lohngefälle: das Ausbildungssystem. "So lobenswert das in vieler Hinsicht auch sein mag, es führt dazu, dass sehr früh eine Berufsentscheidung getroffen wird", so Kleinert. Gerade als 16-Jährige, als 17-Jähriger sei man noch sehr viel stärker von den Erwartungen und Prägungen des Umfelds abhängig. Hier braucht es schon sehr viel Mut und Durchsetzungsvermögen als Mädchen zu sagen: "Ich werde Kfz-Mechanikerin." Im weiteren Verlauf sorge die Ausbildung dann für eine sehr starke Spezialisierung - was es später im Leben erschwert, noch einmal den Beruf zu wechseln.

Ist es angesichts dieser düsteren Aussichten also doch besser, wenn jede Frau auf eigene Faust ihr Gehalt verhandelt? Nein, gegen die Ungerechtigkeit des Systems könne eine Einzelne nur schwer etwas tun, sind Oesch und Kleinert überzeugt. Schließlich orientierten sich Frauen und Arbeitgeber immer am bestehenden Lohnniveau.

Tatsächlich nimmt die Lohnlücke weiter zu, je höher das Berufsniveau ist - und damit der Anteil der frei verhandelbaren Löhne. Das zeigen auch die Daten des Jobportals Experteer. Beim Berufseinstieg liegen die Frauen sogar noch minimal vorn. Doch schon ab der nächsten Entwicklungsstufe bekommen die männlichen Kollegen mehr Gehalt. Auf Projektmanagement-Level sind es bereits zehn Prozent mehr, beim Topmanagement schließlich knapp 30 Prozent. "Das deckt sich mit den Erkenntnissen der Forschung, dass tatsächlich ein gar nicht kleiner Teil der Lohnlücke auf die Topverdiener zurückzuführen ist", sagt Kleinert.

Schon die Gehaltserwartungen unterscheiden sich deutlich: Den Experteer-Daten zufolge spekulieren 48 Prozent der Männer mit mehr als fünf Jahren Managementerfahrung auf ein Jahresgehalt von mehr als 100 000 Euro. Bei den weiblichen Führungskräften mit vergleichbarer Qualifikation sind es nur 31 Prozent.

"Singuläre Maßnahmen wie ein Girls-Day bringen nichts"

Wenn sich die im wahrsten Sinne des Wortes geringere Wertschätzung von Frauenarbeit derart festgesetzt hat in den Tarifverträgen, auf den Gehaltskonten und nicht zuletzt in den Köpfen der Menschen, was kann man noch dagegen tun?

Ein simpler Trick wäre, dass mehr Frauen sich besser bezahlte Jobs in Männerdomänen suchen. Doch bei der Berufswahl anzusetzen, erweist sich als besonders kniffelig: "Die Forschung zeigt, dass diese Präferenzen unglaublich früh entstehen. Singuläre Maßnahmen wie ein Girls-Day oder ein Boys-Day ändern daran so gut wie nichts", sagt Kleinert. Und niemand will schließlich einem Mädchen vorschreiben, Ingenieurin statt Hebamme zu werden. Außerdem haben weiblich konnotierte Tätigkeiten ja durchaus einen hohen Wert für die Gesellschaft - unabhängig von der miesen Entlohnung.

Wem eine faire, gleichberechtigte Bezahlung von Frauen am Herzen liegt, sollte sich eher darauf konzentrieren, dass die Berufe, die vor allem von Frauen gemacht werden, fair bezahlt werden. Besonders groß ist das Missverhältnis im Bereich der Care-Arbeit. Da angesichts der Erfahrungen in den vergangenen Jahren nicht absehbar ist, dass sich das Problem über die Marktwirtschaft löst, sind Politik und Gesellschaft gefragt.

Von der Einführung des Mindestlohns zum Beispiel haben viele Frauen profitiert, wie sich nach dem ersten Jahr gezeigt hat - schließlich sind eine Reihe der am schlechtesten bezahlten Berufe weiblich besetzt. Auch wenn der Effekt sich nur am unteren Ende der Gehaltstabelle abspielt, hat sich die Lohnlücke immerhin um einen Prozentpunkt geschlossen.

Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) hat den Entwurf für ein Entgeltgleichheitsgesetz vorgelegt - das nun in den Mühlen der großen Koalition unterzugehen droht. Die Idee dahinter: Die Unternehmen sollen Rechenschaft darüber ablegen, was sie konkret tun, um "erwiesene Entgeltdiskriminierung" zu beseitigen. Zudem soll es mehr Transparenz darüber geben, für welche Arbeit wie viel gezahlt wird. In der Theorie beides geeignete Maßnahmen, um Frauen zu faireren Löhnen zu verhelfen. In der Praxis wird die Idee wohl an den fehlenden Sanktionsmöglichkeiten scheitern, mit denen Firmen zur Rechenschaft gezogen werden können, die sich nicht ans "Fair Pay" halten.

Symbolischer Wert, gesellschaftliche Debatte

Soziologin Corinna Kleinert setzt auf aktuelle Forschungsprojekte, die akribisch die Anforderungen verschiedenster Tätigkeiten aufschlüsseln. "Bislang wurde zum Beispiel psychische Belastung viel zu wenig berücksichtigt. Sind diese neuen Tools fertig, werden auch so unterschiedliche Jobs wie technische Berufe und Pflegeberufe vergleichbar." Das habe zwar vor allem symbolischen Charakter, so Kleinert, dennoch könnte eine gesellschaftliche Diskussion angestoßen werden.

Und die ist zwingend nötig - so tief wie die Geringerschätzung weiblich geprägter Berufstätigkeiten nicht nur im Wirtschafts- sondern auch im Wertesystem der Gesellschaft verankert ist. Wenn sich hier nichts tut, dann werden nicht nur die aktuell arbeitenden Frauengenerationen systematisch finanziell benachteiligt, sondern auch noch einige weitere. Geht es im bisherigen Schneckentempo weiter, wird es bis zur Lohngerechtigkeit zwischen den Geschlechtern nämlich noch bis zum Jahr 2133 dauern.

Pay-Gap-Rechner

Berechnen Sie mit unserem Tool, was die Lohnlücke für Ihr Gehaltslevel bedeutet. Werden Faktoren wie Teilzeit oder Bildungsniveau herausgerechnet bleibt eine Differenz von 7 Prozent (die sogenannte "bereinigte Lohnlücke"). So viel verdienen Männer durchschnittlich mehr als Frauen. Auf den ersten Blick mag das vielleicht als nicht besonders viel erscheinen, über einen längeren Zeitraum summiert sich dieser Unterschied jedoch zu stattlichen Summen. Aber sehen Sie selbst:

"Wie viel Gleichberechtigung brauchen wir noch?" Diese Frage hat unsere Leser in der achten Runde unseres Projekts Die Recherche am meisten interessiert. Das folgende Dossier soll sie beantworten.

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