Gehalt:Prämien für alle - oder doch nicht?

Gehalt: Früher wurde in vielen Firmen der Bonus auch bezahlt, wenn es dem Unternehmen schlecht ging.

Früher wurde in vielen Firmen der Bonus auch bezahlt, wenn es dem Unternehmen schlecht ging.

(Foto: imago stock&people)

Große Unternehmen schaffen zunehmend Bonuszahlungen für individuelle Leistungen ab. Doch viele Top-Führungskräfte wollen das nicht akzeptieren.

Von Martin Scheele

Uwe Schirmer ist ein besonnener Mensch. Beim Autozulieferer und Haushaltsgerätehersteller Bosch kümmert er sich um Grundsatzfragen im Personalbereich. Der Konzern mit seinen 389 000 Mitarbeitern braucht Innovationen wie der Mensch die Luf t zum Atmen. Weil zukunftsfeste Ideen heute vor allem im Zusammenspiel von Teams geboren werden, steigt der Anteil der Projektarbeit im Konzern stark. "Individuelle Boni wären da hinderlich", sagt Schirmer. Bosch hat daher im vergangenen Jahr erstmals auf individuelle Prämien verzichtet.

Nicht nur Bosch - auch SAP, Daimler, Eon, Infineon. Es sind große, prominente Unternehmen, die bei der Bezahlung ihrer Führungskräfte von Bonuszahlungen abrücken, die auf die persönliche Leistung abzielen. Stellt nun die Mehrheit der Firmen ihre Vergütungssysteme um? Wie begründen sie die Richtungsänderung?

Bei Bosch sah es so aus: Der Einzelbonus wurde früher auch dann bezahlt, wenn das Geschäftsergebnis schlecht ausfiel. 2008, im Jahr der großen Autokrise, betrug die Zielerreichung über alle Führungsebenen hinweg im Mittel mehr als 140 Prozent. "Zudem stieg die Zahl der Kriterien, wie die individuelle Zielerreichung zu messen ist, stark an", sagt Schirmer. Bei einem Werksleiter waren das bis zu 70 Zielerreichungskriterien, wie Produktivität, Qualität und Senkung von Beständen - viel zu kompliziert.

Die Folge waren lange Diskussionen, ob jemand 100, 105 oder 115 Prozent der Zielvorgabe erreicht hat. Schirmer holte sich die Rückendeckung von Bosch-Chef Volkmar Denner. Seit 2015 setzt sich nun bei den mehreren tausend Führungskräften der variable Anteil zu gleichen Teilen aus dem Gewinn des Konzerns und des jeweiligen Geschäftsbereichs zusammen. Früher trug allein die individuelle Komponente mit 40 bis 50 Prozent zum Gesamtgehalt bei.

Gehaltsänderungen sind eine sensible Angelegenheit. Laut einer Studie der Vergütungsberatung Willis Towers Watson sehen 63 Prozent der Arbeitnehmer keinen klaren Zusammenhang zwischen ihrer Leistung und ihrem Gehalt. "Viele Menschen sind gleichzeitig sehr feinfühlig für Ungerechtigkeit", sagt Christine Stimpel, Partnerin der Personalberatung Heidrick & Struggles in Düsseldorf. "Eine als unfair wahrgenommene individuelle Vergütung kann schnell zu einer Vergiftung des Arbeitsklimas beitragen."

Die Umstellung der Gehaltsstruktur bei Bosch kam einer kleinen Revolution gleich. Nicht zuletzt, weil das Unternehmen auch den Vertrieb einbezog. Im Vertrieb werden traditionell die höchsten Prämien ausgeschüttet. "Die Diskussionen dort waren am intensivsten, manche waren anfangs widerwillig", sagt Schirmer. Doch die Fluktuationsquote habe sich in diesem Bereich nicht erhöht: "Mehr als 80 Prozent unser Mitarbeiter sind mit ihrer Vergütungsstruktur zufrieden."

"Wir wollen die Gruppe stärken"

Das Beispiel Bosch macht mittlerweile Schule. "Es passt nicht mehr in die Zeit, individuelle Leistung messen zu wollen", teilt der Lufthansa-Konzern mit. "Wir wollen die Gruppe stärken." Seit diesem Jahr werden die flexiblen Gehälter für Führungskräfte zu 70 Prozent am Konzernergebnis und zu 30 Prozent am Ergebnis ihres Geschäftsfeldes bemessen. "Einzelleistungen können dennoch immer noch belohnt werden."

Das Beispiel Lufthansa passt zum Ergebnis einer Untersuchung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung und der Universität Köln. Demnach ist bei 265 befragten Führungskräften im Zeitraum von 2012 bis 2016 der Anteil der personenbezogenen Boni von 36 auf 33 Prozent zurückgegangen. Im gleichen Zeitraum stieg der Anteil des Teambonus von 17 auf 19 Prozent, der Unternehmensanteil erhöhte sich leicht von 47 auf 48 Prozent. "Besonders stark ist die Entwicklung im produzierenden Gewerbe", sagt Mitautor Professor Dirk Sliwka.

Flächendeckend ist aber das Ende der individuellen Vergütung noch nicht gekommen. "Im Lebensmitteleinzelhandel und in der Finanzindustrie sind diese Prämien die größte Komponente des Gesamtgehalts", sagt Personalexpertin Stimpel. "Individuelle Bonifikationen sind Instrumente, die unsere Leistungskultur widerspiegeln", teilt beispielsweise der Versicherungskonzern Allianz mit, der Prämien im Management und in vertriebsnahen Funktionen einsetzt. Michael Kramarsch von der Vergütungsberatung HKP weiß: "Nur rund 15 Prozent der Dax-Konzerne und nicht gelisteten Unternehmen vergleichbarer Größe und Komplexität rücken konsequent von individueller Performance bei der Bonusbemessung ab."

Manche Experten sehen die Entwicklung kritisch. "Mitarbeiter - und speziell die Topleister - verlangen nach Differenzierung. Auf lange Sicht wird sich ein Topleister nicht mit der gleichen Vergütung zufriedengeben wie ein Kollege, der Dienst nach Vorschrift macht", sagt Florian Frank von der Vergütungsberatung Willis Towers Watson. Man müsse sich dann aber überlegen, wie man die besten Leute weiterhin motiviert. "Nur durch ein höheres Grundgehalt ist das nicht sinnvoll, da dies zu einer Erhöhung der Fixkosten führt und die Leistung über die Jahre auch schwanken kann."

Ein Ausweg könnten die sogenannten Spot-Boni sein. Mit dieser Art der Gratifikation können herausragende Leistungen ad hoc honoriert werden, anlassbezogen, ohne mathematische Formeln bemühen zu müssen. Frank weist aber darauf hin, dass im Falle von Sachbezügen diese als geldwerter Vorteil versteuert werden müssen. Dann biete es sich an, dass die Firma die Besteuerung übernehme, da ansonsten die Wirkung der Sonderprämie verpufft. Sliwka meint: "Überraschende Bonuszahlungen können gerade zur Steigerung der Mitarbeiterzufriedenheit sehr wirksam sein." Allerdings stelle sich die praktische Frage, wie häufig man diese gewähren kann. Denn hier können "Gewöhnungseffekte" eintreten.

Auch bei Bosch gibt es das Instrument des Spot-Bonus. "Jeder Abteilungsleiter hat ein gewisses Budget", sagt Personaler Schirmer. "Ob er das ausschöpft und wie er es verteilt, liegt in seinem Ermessen."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: